Was ist eigentlich Ehre?

Als Kinder hatten wir ein Gesellschaftsspiel, das hieß Karriere. Zu unserem Amüsement verlor dabei unser Vater immer, weil er sich weigerte, unter den Rubriken Ruhm und Ehre Pünktchen zu sammeln.

Er sagte stets, Ruhm sei abzulehnen und Ehre habe man, man könne sie nicht erwerben. Ich nehme an, dass das mit seinen Erfahrungen im Krieg zu tun hatte, wo unter fragwürdigen Vorzeichen beides zu bekommen war.

Es war dann auch nur konsequent, dass er, als er den bayerischen Verdienstorden bekommen sollte, nach München schrieb, man solle doch den damit bedenken, der nach ihm drangekommen wäre. Der oder die würden sich ganz bestimmt mehr darüber freuen als er.

Der Ehrbegriff wird regional unterschiedlich wahrgenommen. In Spanien und Italien versteht man darunter etwas anderes als in Nordeuropa, Muslimische Familien definieren sich, so scheint es, ausschließlich über die Ehre, die schon dann verletzt ist, wenn eine Tochter nicht so heiratet wie der Vater oder die Familie es vorsehen. Wir wissen, dass es um diesen Ehrbegriff willen schon zu Morden gekommen ist und fragen uns zu Recht, wie weit es überhaupt möglich ist, unseren säkularen Ehrbegriff mit den Vorstellungen derer, die im Zuge der Globalisierung zu uns kommen und zu uns kommen werden, in Einklang zu bringen.

In unseren Ländern, die von Reformation und Aufklärung geprägt sind, ist Ehre etwas, das mit der Menschenwürde einhergeht. Ehre und Menschenwürde bekommt jedes Kind in die Wiege gelegt. Beide können und dürfen nicht weggenommen werden.

Ehre ist der Anspruch jedes Menschen so behandelt zu werden, wie jeder Mensch von andern behandelt werden will: mit Respekt. Das bedeutet Verständnis für die Ähnlichkeit oder Andersartigkeit unserer Mitmenschen. Das bedeutet auch, dass niemand, auch nicht Verwandte, versuchen dürfen, in den Lebensentwurf eines Einzelnen einzugreifen.

Im Gegensatz zur Menschenwürde, die auch dem gebührt, der sich unwürdig benimmt, kann man seine Ehre verlieren. Wer seine Ehre verliert, ist immer selbst daran schuld, da Dritte nie eines anderen Ehre aberkennen können.

Ehre ist ein zartes Pflänzchen, das jeder selbst pfleglich behandeln muss. Die Menschenwürde kann mit Füssen getreten werden, aber selbst der Gefolterte und der Folterer behalten sie. Der Gefolterte behält seine Ehre, der Folterer nicht.

Wenn das, was ich hier schreibe, richtig ist, dann braucht die Ehre keine Anerkennung. Sie ist eine Selbstverständlichkeit für die und den, die sich morgens im Spiegel anschauen können.

Damit sei niemandem die Freude und der Stolz abgesprochen, wenn der Bundespräsident sich anschickt, nicht zu pieken, wenn er den Orden ans Revers heftet.

Dennoch sind Ehrungen eigentlich eine peinliche Angelegenheit. Wenn jeder Mensch selbst dafür zu sorgen hat, dass er die Ehre nicht verliert, dann ist das Manifest machen derselben durch öffentliche Herausstellung eigentlich ein weißer Schimmel.

Manchmal kommt mir der Gedanke, die Allgemeinheit müsste einen Mechanismus haben, auf die zu zeigen, die die Ehre verloren haben. Aber das verbietet die Menschenwürde.

Dafür bin ich dankbar.

 

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