Was ist eigentlich Bildung?

Neulich habe ich einige Zeit auf einem der Berliner Trödelmärkte verbracht und mich über mich selbst amüsiert, weil ich die Symbole auf dem zu Massen angebotenen Porzellan mühelos erkannte, über die in Gläser eingeschliffenen Wappen regierender Häuser referieren konnte, aber keine Ahnung hatte, wozu das viele technische Gerät nütze sei, geschweige denn, wie man es zu bedienen hat.

Ich bin das typische Produkt einer bildungsbürgerlichen Gesellschaft, in der es wichtig war, dass die jungen Leute eine breit gefächerte Allgemeinbildung hätten, denn das für den Broterwerb notwenige Spezialwissen, käme ja sowieso später obendrauf. Um es verkürzt darzustellen, unseren Eltern war es wichtiger, dass wir Konversation machen und uns anständig benehmen konnten, als dass Wert darauf gelegt wurde, an dem enormen Fortschritt von Wissenschaft und Technik, den es ja auch schon vor 50 Jahren gab, teilzuhaben.

Heute besprechen wir Alten, dass es eine Schande sei, dass junge Spanier schon nicht mehr wissen, wer Franco war, dass Rapper vollkommen geschichtsvergessen menschenverachtende Sätze über Auschwitz in ihren Texten unterbringen, aber keiner mehr weiß, wann denn die Keilerei bei Issus sattgefunden hat.

Und wenn gefragt wird, wer denn zu Jesu Geburt Landpfleger in Syrien war, kommt beileibe nicht „Cyrenius war’s“ als Echo zurück. Kurz, das quasi enzyklopädische Wissen, das wir alle beim bestandenen Abitur mehr oder weniger intus haben, kann bei heutigen Schülern nicht mehr abgefragt werden.

Nun frage ich mich natürlich, wozu meine Bildung gut war. Unzweifelhaft hat es mir stets Vergnügen bereitet, Kultur zu konsumieren und zu verstehen. Sicherlich hat es meine Lebensfreude und -qualität verbessert,  und es war mir stets wichtig, zumindest was die europäische Geschichte angeht, diese zu verstehen und sie anderen erklären zu können.

Aber hat es was gebracht?
Bildung wird vermittelt, damit das angereicherte Wissen nutzbringend wieder in den gesellschaftlichen Kreislauf eingebracht wird. Da habe ich vollständig versagt. Etwas übertrieben behauptet mein Bruder (er lebt in Bremen, mehr ist dazu nicht zu sagen) wir seien alle Sumpfblüten des Spätkapitalismus. So ganz unrecht hat er nicht, denn zu Beginn der Bonner Republik war der Zugang zu Bildung noch strikt an Einkommen und Status gekoppelt. Zum Erstaunen der bildungsbeflissenen Eltern entwickelten sich deren Sprösslinge nach links und daran krankt die SPD bis heute, denn gebildete Bürgersöhne und -töchter mit SPD Parteibuch, das war eigentlich nicht im Sinne des Erfinders.

Unterdessen hat sich das grundlegend geändert. Wenn heute von Bildung gesprochen wird, dann sind damit Fertigkeiten, vulgo „tools“ gemeint, die den jungen Menschen dazu befähigen, wenigstens einen Teil dessen, was jährlich an „neuem Wissen“ hinzukommt zu verstehen und zu bewältigen. Das Wissen der Menschheit ist unterdessen so immens angewachsen, dass das noch vor einigen Jahrzehnten gängige Konzept von Bildung einfach nicht mehr greift.

Ich finde das gut. Ich kam mir sowieso schon seit Jahren mit meiner tollen Allgemeinbildung lächerlich vor. Ich bin ja nichtmal im Stande, meinen PC wieder in Ordnung zu bringen, wenn ich aus Versehen auf‘s „falsche Knopferl druckt hab“.

Ich finde es gut, dass Zugang zur heute gefragten Bildung über Grips läuft. Ich finde es gut, wenn heute Expertise vor Benimm geht und Fleiß mehr wert ist als Herkunft.

Aber nehmt’s mir nicht übel, ich werde mich nicht mehr ändern und ich werde mich nach wie vor freuen, wenn ich Höchster Porzellan auf dem Trödelmarkt erkenne, oder wenn ich weiß, weshalb an der Festung im brandenburgischen Senftenberg das sächsische Wappen prangt.

Wahrscheinlich hat mein Bruder mit der Sumpfblüte doch Recht.

 

 

Kommentar verfassen