Es ist schon ein paar Jahrzehnte her, da rief eine entfernte Cousine meine Mutter an und bat sie, für ihren Sohn, nennen wir ihn Michael, zu beten, damit er morgens aufstünde, denn sonst ginge sein Weingut bachab.
Die so Aufgeforderte kommentierte die Sache beim Mittagessen wie folgt: „Erstens hat der liebe Gott Besseres zu tun, als dafür zu sorgen, dass der Michael aufsteht und zweitens denk ich, dass er gar nicht aufstehen will, also weshalb soll ich beten? Wenn der nicht will, geht das das Weingut flöten, ob ich bete oder nicht. “
Genau so war es dann auch.
Ich habe mich danach etwas mit dem Gebet befasst und dabei gelernt, dass es drei Grundsätze gibt, die man beim Beten beachten muss:
- Wenn ich für jemanden bete, muss dieser das wollen.
- Das Gebet muss konkret sein.
- Man darf nicht für Unmögliches beten.
Das Letzte ist am einfachsten zu verstehen: „Mach dass meine Puppe sprechen kann“ ist eine nicht erfüllbare Bitte, mit ihr darf Gott nicht belästigt werden.
Der erste Punkt ist schon schwieriger, kann aber etwas flapsig und damit um so verständlicher in diese Worte gefasst werden: „Ich darf nicht gegen den manifesten Willen eines anderen anbeten.“
Und unter zwei ist nicht anderes gemeint, als dass ich nicht diffus in die Welt hinaus beten darf, in der Hoffnung, dass der liebe Gott schon weiß, was ich damit meine.
Bis hier her wäre meine Mutter mir gefolgt, ab jetzt wahrscheinlich nicht mehr.
Vor wenigen Tagen stand ein Aufruf im facebook, der davon berichtete, am 3.1. 2020 hätten zwei Frauen einen Termin zur Abtreibung und wir sollten alle dafür beten, dass der Eingriff verhindert werde.
Wie kämen wir dazu?
Wir wissen nicht, für wen wir beten sollen. Muss sich der liebe Gott diese beiden Frauen raussuchen unter den leider vielen Frauen, die am 3.1.2020 einen Abtreibungstermin haben?
Offenbar haben sich die beiden Frauen zu dem Eingriff entschieden, also beteten wir gegen deren manifesten Willen an.
Der Entschluss, ein ungeborenes Leben abtreiben zu lassen, ist etwas so entsetzlich Grauenvolles, dass ich mir als Mann nicht zutraue, dessen Dimension auch nur annähernd begreifen zu können.
Ob dieser Entschluss mit Gott oder ohne Gott getroffen wurde, weiß keiner und niemand ist in der Lage, aufzustehen, um diese Frauen zu verurteilen.
Sogar dann nicht, wenn jemand zutiefst davon überzeugt ist, dass dieser Entschluss eine Sünde ist.
Sünde ist stets etwas Höchstpersönliches.
- Aha! Ich darf also einem Mörder mit gezücktem Messer nicht in den Arm fallen?
- Doch, denn Mord ist ein Verbrechen.
- Und Tötung ungeborenen Lebens ist kein Verbrechen?
- Nein, es ist kein Verbrechen. Bitte vergesst nicht, dass das weltliche Strafrecht vor dem religiös Verwerflichen steht. Glaube ist freiwillig, Gesetztestreue ist die Pflicht jedes Staatsbürgers.
Natürlich finde ich Abtreibung nicht gut. Aber wer sind wir Christen, um anderen vorschreiben zu wollen, wie sie zu leben haben?
Und was überhaupt nicht geht ist die Einlassung eines fb Freundes, der anbot, Geld zu zahlen, wenn die Abtreibung unterbliebe.
Christentum per Scheckbuch, das ist einfach pervers!