Vorweihnachtszeit

Als Kind habe ich die vorweihnachtliche Zeit gehasst. Mein ganzes Sehnen und Trachten war auf den Heiligen Abend eingestellt und der kam und kam nicht. Stattdessen musste man auswendig lernen. Zuerst „a Versla“ für den Nikolaus und dann ganze Sentenzen aus der Weihnachtsgeschichte, weil Mutter einen zum Krippenspiel als zweiten Hirten eingeteilt hatte:

„Und die Hirdden kehrden wiedä um, briesen und lobbden Godd für alles, was sie gehörd und gesehen haddn.“

Statt Schlitten zu fahren, auswendig lernen! Da half kein Protest, da half gar nichts, zumal alle Freunde als Hirten, Verkündigungsengel oder Könige unter derselben Knute ihrer jeweiligen Mütter standen.

Als ich nach Oberbayern ins Internat kam, lernte ich, dass die Adventszeit die „stade“, die ruhige Zeit sei. Tatsächlich habe ich die vorweihnachtliche Zeit nie wieder so ruhig, so erwartungsfroh und musikalisch erlebt wie im Landheim Schondorf. Wir lernten bis dahin vollkommen unbekannte Weihnachtslieder: In dulce jubilo oho, auf Latein und sogar einen Jodler (Tjo tjo iri…) Auswendig lernen musste ich nichts, habe aber im Chor, als Körper der Musik miterleben dürfen, wie es ist, wenn man Teile des Weihnachtsoratoriums selbst singt

Der Nikolaus und sein Krampus kamen in den Speisesaal. Das war nicht beängstigend. Es war lustig. Lehrer und Schüler wurden verbal und meist auf hohem Niveau an den Ohren gezogen oder einfach verhohnepiepelt. Als Schülerpräses bekam ich einmal einen Preis für meine – pars pro toto – Verdienste um den Sport. Dabei war der Blesi, der Sportlehrer, schon froh, wenn ich nicht vom Reck fiel.

In den ersten Jahren sollten wir Geschenke für unsere Eltern basteln. Da mir die Ideen fehlten, riet mir „Freuln Trost“, eine Maus aus Balsaholz zu schnitzen. Als sie fertig war, hatte sie einen langen Schwanz aus Leder und niedliche Öhrchen aus dem gleichen Material. Ich packte das süße Ding in eine kleine Schachtel und stellte sie meiner Mutter auf den Gabentisch. Vergessen hatte ich, dass sie Panik vor Mäusen hatte. Ein gellender Aufschrei störte den Frieden des Weihnachtszimmers und Vater vermahnte mich, bei meinen Geschenken künftig etwas mehr nachzudenken.

Im kommenden Jahr habe ich ihr einen roten Topflappen gehäkelt, den ich Jahre später vollkommen unbenutzt in einer Schublade wiederfand.

Am Abend vor der Fahrt in die Ferien stieg immer die große Weihnachtsfeier in der Turnhalle. Nachdem der Chor gesungen hatte, hielt der Boss eine Rede, bei der keiner zuhörte, zumal alle wussten, dass sie eh in den kommenden Grünen Heften abgedruckt werden würde. Statt aufzupassen, schauten wir gebannt auf Plätzchen, Erdnüsse und Mandarinen auf den Tischen vor uns. Aber bis er Boss endlich fertig war, blieben das alles verbotene Früchte. Später wurde sogar Kaffee serviert. Wenn man ehrlich sein will, war es ein entfernt nach Kaffee schmeckendes milchiges Gesöff. Coffein muss es aber enthalten haben, denn ich erinnere mich, dass ich in der letzten Nacht vor der Heimfahrt nie schlafen konnte.

Ich habe mich an all das erinnert, weil meine geliebte Frau Brigitte heute beim Käffchen stöhnte, bald ginge ja die Plätzchenbackerei wieder los, und für die Enkeltochter müsse ja auch noch ein Adventskalender mit Inhalt gebastelt werden. Ich hatte früher immer denselben Adventskalender. Am 5. Dezember war ein roter Apfel im Türchen und am 6. ein Nikolaus – natürlich. So viel zum Inhalt.

Aber auch für mich haben die Vorbereitungen heute begonnen: Ich habe Einladungen verschickt, denn am 6. Dezember kommt bei uns der Nikolaus ins Haus.

Um Spekulationen vorzubeugen: Es bin nicht ich, der ihn gibt.

 

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