Es ist eine alte Tradition in Deutschland, dass der Mensch zuerst einmal nach seinem Benehmen beurteilt wird.
Das war ganz besonders in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg zu beobachten: Da wurde reihenweise die Mitgliedschaft in der Nazi Partei verharmlost. Es war wichtiger, dass er oder sie „wahnsinnig anständig“ waren, dass er oder sie ja an sich gar keine Nazis waren und damals nur deshalb eingetreten sind, weil das für den Betrieb so notwendig gewesen war. Rohstoffe, Saatgut oder Zwangsarbeiter wurden halt nur an die Betriebe verteilt, deren Direktoren oder Eigentümer sich zum nationalsozialistischen Gedankengut bekannten. Das tat man eben am besten dadurch, dass man Parteigenosse wurde.
Alle verstanden, dass das mit der Partei doch gar nicht soo ernst gemeint war. Die Partei selbst aber konnte immer wieder darstellen, wie groß ihr Rückhalt in der Bevölkerung war, denn von den Beigetretenen hat natürlich keiner öffentlich gemacht, dass er nur beigetreten sei, damit der Gauleiter oder welcher andere an sich als Emporkömmling verachtete Nazi auch immer, nicht weiter in den Betrieb hineinpfuschen konnte.
Ein Volk von Opportunisten. Ich will nicht über die urteilen, die damals so handelten, denn in meinem Leben ist mein persönliches Heldentum noch nicht auf die Probe gestellt worden.
Aber man kann über die urteilen, die nach dem Krieg, die Freundschaft mit Verwandten und Bekannten weiter laufen ließen, obwohl bekannt war, dass der als Offizier Kameraden verpfiffen hat, was denen manchmal sogar das Leben gekostet hatte.
Als Kinder haben wir jeden Abend dafür gebetet, dass ein Verwandter aus der russischen Gefangenschaft zurückkäme. Kaum war er zurück, sagte er gegen Mitgefangene aus, die sich in den Gefangenenlagern gegen die Nazis gewendet hatten, was zum Teil zum Verlust der Pension führte. Der Kontakt zu ihm wurde aber keineswegs abgebrochen, der Onkel XY sei schließlich ein ausgemachter Herr.
Was nun in Hessen passierte, dass ein NPD Mann Ortsvorsteher von Waldsiedlung werden konnte, fußt auf einer ähnlichen Denke: Der Mann kann ja nicht nur mit dem Computer umgehen, er hat auch Manieren und solange er seinen Job als Ortsvorsteher gut macht, ist es egal, was er sonst noch vorhat.
Benehmen wird scharf getrennt von politischer Orientierung. Das ist ja bei der Storch, der Wedel und dem Gauland von der AfD nicht anders, das sind doch alles anständige Leute aus gutem Hause! Mit denen kann man ruhig mal zu Abend essen, sie auf die Jagd einladen, im gleichen Tennisclub spielen oder sie bei den Rotariern reden lassen.
Es wird so getan, als könne ein Rechtsextremer, ein Nazi oder Rassist, durchaus nett sein. Man kann ihn sogar zum Ortsvorsteher wählen.
Es darf keine Toleranz gegenüber denen geben, die unseren freiheitlichen Rechtsstaat torpedieren und abschaffen wollen.
Diese ganze Waldsiedlungs-Affaire zeigt, dass es in weiten Teilen Deutschlands und bei den dort lebenden Menschen noch immer nicht angekommen ist, dass die Garantie der Menschenrechte und die demokratischen Freiheiten nicht einfach nur da sind, so selbstverständlich wie das eigene Auto, das vor der Haustür steht. Nein, sie sind eben nicht selbstverständlich, sie sind verletzlich und müssen gehegt werden.
Nur wenn wir uns Tag für Tag klarmachen, dass wir die Segnungen unserer Verfassung verinnerlichen müssen, dass der Umgang mit ihnen ein pfleglicher sein muss, erst dann besteht die Hoffnung auf deren Erhalt.
Damit aber nicht genug. Die Tatsache, dass wir in einem freiheitlichen Rechtsstaat leben macht es uns zur Aufgabe, für diesen kämpferisch einzustehen und nicht den leisesten Verdacht aufkommen zu lassen, wir könnten dessen Feinde aus gesellschaftlicher Konvenienz tolerieren oder sie gar gewähren lassen.
Sie sind ganz auf meiner Linie. Danke vielmals.