Der Apostelfloh

Irgendwann in den 30er Jahren hatte sich mein Großvater in Thüngen vor der Sommerhitze in sein Arbeitszimmer geflüchtet.

Es wird wohl nicht nur das Wetter gewesen sein, auch die Verwandtschaft ging ihm gehörig auf die Nerven. Die kam nämlich jeden Sommer heuschreckartig über das Thüngener Schloss. Meine Mutter sagte noch kurz vor ihrem Tod, das schönste in ihrem Leben sei der Thüngener Sommerbetrieb gewesen. Zwischen zwanzig und dreißig Vettern und Cousinen, das war für die Jungmannschaft natürlich wunderbar, für meine Großeltern war es wohl ein jährlich widerkehrender Albtraum.

Nun, Großvater, wir nannten in Groga, hatte sich in seinem Arbeitszimmer versteckt, als sich die Tür auftat und zu seinem namenlosen Ärger einer seiner Schwäger erschien. Dieser war Direktor des CVJM, war entsprechend fromm und hatte deshalb den Spitznamen Apostelfloh.

Es war mit dem Kerl aber auch nicht auszuhalten! Von Landwirtschaft verstand er nichts und auf die Jagd ging er auch nicht. Über was konnte man ihm denn um Himmels willen reden?

Nach fruchtlosen Gesprächsversuchen seitens des Apostelflohs schwiegen sich die beiden Herren an, als sich die Tür auftat und Bertha das Arbeitszimmer betrat. Sie war Grogas Schwester. Ihr Zeigefinger soll länger gewesen sein als ihr Mittelfinger, was darauf zurückgeführt wurde, dass sie damit immer herumfuchtelte, und bestimmte, wo`s langging.

Sie war verheiratet mit einem Prälaten der württembergischen Landeskirche, und man hätte denken können, wenigstens sie habe sich mit dem Apostelfloh etwas zu sagen.

Dem war aber nicht so, denn sie hatte ein Buch gefunden, aus dem sie ihrem Bruder unbedingt vorlesen wollte. Der ahnte nichts Gutes und griff zur Main Post.

Es handelte sich um ein Buch, in dem Stilblüten, unfreiwilliger Humor aber auch Poesie von Ludwig II (Kühl und labend war der Abend, Abendbrot gegessen habend) der Nachwelt überliefert wurden.

Meist waren es leicht schlüpfrige Geschichten, es soll aber auch starker Tobak darunter gewesen sein, der, beim Erzählen der Geschichte natürlich nicht wiederholt wurde.

Jedenfalls war das Vorgelesene so erstaunlich, dass Groga die Main Post sinken lies und ebenso wie der Apostelfloh gespannt zuhörte

Verbürgt ist lediglich dieser Brief an die Stadtverwaltung:

„Unsere Wohnung hat Schimmel und ist feucht. Jetzt ist unsere Tochter schwanger. Wer kommt nun für den Schaden auf?“

Tante Bertha merkte offenbar gar nicht, dass sie für damalige Zeiten geradezu Unerhörtes vorlas und freute sich am aufflammenden Interesse der beiden Zuhörer.

Als sie endete stöhne der Apostelfloh auf und sagte:

„Während meiner zwölf Jahre als Kürassier in Pasewalk habe ich nicht solchen Unflat gehört, wie heute Nachmittag von der Frau Prälatin.

 

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