Das letzte Semester hatte ich in Lausanne studiert und suchte nun in München eine Bleibe.
Durch die Hilfe eines Kommilitonen, den ich aus der Zeit im Internat in Schondorf kannte, fand ich ein sehr kleines Zimmer in der Ainmillerstrasse 22, Rückgebäude. Für Pfleiderers war die Wohnung zu groß und deshalb vermieteten sie die beiden vorderen Zimmer an Studenten. Wir teilten uns mit der kleinen Familie, Flur, Wohnungstür und Gegensprechanlage.
Frau Pfleiderer hatte eine grelle Stimme und rief mehrmals am Tag die kleine Tochter Sylvia, die auf dem Hof spielte, hinauf in den dritten Stock: „Sillfiiia kimm uffi, d’Mama hat s’Essn fertig.“ Das Mädchen scherte das im Normalfall wenig, so dass die Rufe nach Sillfiia immer lauter, gellender und zorniger wurden. Dem nachbarschaftlichen Verhältnis war dies alles nicht zuträglich.
Der Kommilitone, der im größeren Zimmer wohnte, fuhr übers Wochenende immer zu seinen Eltern und überließ mir dann großzügig die Nutzung seiner Bude.
An einem Samstag hatte ich einen Freund eingeladen. Er hieß auch Hans und war der Erbe eines bedeutenden Münchner Bankhauses. Auch er war Schondorfer.
Ich hatte ihn neugierig gemacht, indem ich ihm erzählte, ich könne Käsefondue zubereiten. Wie das theoretisch geht, hatte ich im Kanton Vaud gelernt, wo uns der eine Professor zu ausgedehnten Abendessen lud, der andere deutsch-juristische Skitage organisierte, was beides nicht ohne „fondue de fromage“ abging.
Wie gesagt, ich wusste, wie das in der Theorie ging, hatte aber weder Rechaud noch Caquelon.
Nach langem Grübeln kam ich auf die Idee, das Fondue im Tauchsiedertopf zuzubereiten.
Zunächst brachten wir den Weißwein zum Kochen und fügten dann ganz langsam geriebenen Emmentaler, Gruyère und Appenzeller (je ein Drittel) hinzu.
Es war köstlich, wir tunkten das Brot in die Masse und wenn diese zu steif geworden war, steckten wir den Tauchsieder so lange in die Steckdose, bis das Zeug wieder blubberte. Dabei besprachen wir die Probleme dieser Welt und je mehr wir die Flaschen Kalterer See aus dem Tengelmann leerten, desto mehr waren wir uns darüber bewusst, dass wir diese Probleme auch lösten.
Irgendwann bemerkten wir, dass der Tauchsieder wohl nicht mehr zu retten sei, Gleiches galt für den Topf, an dessen verkalkten Wänden sich der Käse festgesetzt hatte. Wir trösteten uns damit, dass ein Tauchsieder nicht viel kosten könne. Hans fand nun, dass der Heimweg doch ziemlich beschwerlich sei und schlief auf dem Bett im Zimmer des Mitbewohners ein.
Am Sonntagmorgen klingelte es an der Tür. Da ich wusste, dass es mir nicht gelten konnte, blieb ich im Bett, hörte aber, wie die Tür des Nebenzimmers aufging, und Hans in die Gegensprechanlage rief: „Schleichts eich, Saubande, bleede, ich brauch mei Ruah.“
Als ich gegen Mittag aufstand, umkreiste mich ein neunschwänziger Kater, Hans war bereits gegangen, aber Frau Pfleiderer erwartete mich erbost. Es war nämlich der Tag von Sillfiiias Erstkommunion, und diese sollte dazu genutzt werden, die zerstrittene Familie wieder zu einen. Sie habe genau gehört, wie ich ihre Schwester durch die Gegensprechanlage beleidigt hätte, nun sei der Streit bis ans Lebensende vorprogrammiert und ich solle so schnell wie möglich meine Siebensachen packen und verschwinden.
Und wieder kamen mir meine Verbindungen aus Schondorfer Tagen zugute: Ein Klassenkamerad hatte in der Habsburgerstraße 12 eine riesige Wohnung gemietet.
Dort hing seine bedeutende Kunstsammlung an den Wänden, und weil er selten da war, war es ihm ganz Recht, dass ich dort einzog. Ich glaube, im Versicherungsvertrag stand, dass die Wohnung, in der die Kunst hing, bewohnt sein müsse.
Und so habe ich die nächsten vier Jahre in Begleitung der Herren Richter, Baselitz und Warhol zugebracht. Noch heute assoziiere ich öffentliches Recht mit Marylin Monroe, das büffelte ich im Wohnzimmer, Strafrecht war im Esszimmer dran, Mao schaute zu, und dann hing da noch die Serie „Flowers“. Naja, ich lernte ja nicht überall Jus.