Mandeln raus!

Unsere Mutter hat Volkswirtschaft studiert. Bevor sie dieses Studium hätte abschließen können, musste sie in die Kriegsproduktion und baute in Schweinfurt Kugellager zusammen.

Das war auch gut so, denn wie sie selbst zugab, wäre ihr Examen ein Fiasko geworden, sie hatte nichts verstanden.

Ihre wahre Expertise lag allerdings auf medizinischem Gebiet, Spezialabteilung Diagnose.

Da ich an jedem Morgen mit Kreislaufstörungen umfiel, war es vollkommen klar, dass das nur am Blinddarm liegen konnte. Also wurde ich nach Bamberg gefahren, wo ein willfähriger Professor sofort bereit war, mir den Blinddarm herauszureißen. Dafür hatte er zwei Gründe:

  1. Ich war damals noch Privatpatient.
  2. Mutter zu widersprechen, war nicht ratsam.

Wie sich herausstellte, war der Blinddarm kerngesund, aber man fand damals, es sei eh besser, wenn der Appendix beseitigt worden wäre.

Blöd nur, ich fiel weiter beim Aufstehen hin, mir wurde schlecht, es war ein Elend.

Mutter ließ eine gewisse Schonfrist verstreichen und diagnostizierte dann, die Mandeln wären der Grund für meine Kreislaufstörungen.

Diesmal ging es in die Uni-Klink nach Erlangen. Auch dort fand sich ein willfähriger Professor.

Wir liebten die Stadt wegen einer noch heute bestehenden Institution: Das Café Mengin (sprich wie lies) neben dem Schloss. Dort gab es Eis und auf dem Trottoir lümmelten zwei Chow Chow Hunde herum, die bereitwillig ihre lila Zunge herzeigten. Wir erfuhren dort staunend, es handele sich bei der Familie Mengin um französische Hugenotten, deren Namen „Monshin“ auszusprechen sei. Das war natürlich Quatsch, denn am Haus, auf den Löffeln, auf Tellern und Servietten stand doch ganz deutlich „Café Mengin“.

Nach einem ausgiebigen Besuch beim Mengin wurde ich mit dem Versprechen eingewiesen, dass mich jeden Tag „wer“ besuchen werde, und auch ganz bestimmt ein Eis mitbringen würde, denn das sei bei Mandeloperationen das wichtigste Mittel für die Genesung.

Die Operation war grässlich, weil ich nur örtlich betäubt war. Der Doktor fummelte mir im Mund herum und ich konnte nichts sagen. Böse Zungen behaupteten später, Letzteres hätte mich besonders gestört.

Einen Tag nach der Operation kam Mutter und brachte tatsächlich ein Eis mit. Ich erkannte sofort: Es war das fuchziger Eis von Langenese. Ich fand das mickrig.

Tags darauf kam Vater mit einer riesigen Tüte Eis vom Mengin, ich schätzte für mindestens 2 Mark. Dafür konnte man sich schon mal operieren lassen.

Als meine Mutter nach Abgabe eines weiteren 50 Pf Bechers einmal der ärztlichen Visite beiwohnte, erfuhr ich, dass die entfernten Mandeln etwas zerklüftet, aber ansonsten kerngesund waren.

Am kommenden Tag, nach dem ich die zwei Mark Tüte verdrückt hatte, besprach ich das Dilemma mit meinem Vater, denn es war ja abzusehen, dass ich morgens weiterhin umfallen würde. Die Weisheit seiner Antwort habe ich tatsächlich erst sehr viel später begriffen: „Wenn du einmal verheiratet sein wirst, wirst du das alles sehr viel besser verstehen.“

Und tatsächlich, ich fiel weiter um, und so konsultierte Mutter schweren Herzens die Kinderärztin in Ebern.

Diese riet zu zehn Tropfen Efortil vor dem Aufstehen.

Und siehe, der HErr wirkte ein Wunder und mir wurde morgens nimmer schlecht.

 

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