No tengas miedo, mi amor.

Natürlich hatte die zweijährige Valeria Angst. Aber ihr Vater hatte ihr gesagt, er werde sie sicher durch den breiten Fluss tragen, am anderen Ufer erwarte sie alle ein besseres Leben.

Während die Mutter und Ehefrau drüben angekommen ist, sind der Vater und die kleine Valeria ertrunken.

Bei allem Schrecknis kann es beinahe tröstlich erscheinen, dass die beiden nicht getrennt wurden, denn solange der Vater in der Nähe war, konnte das Mädchen seinen Worten trauen: „No tengas miedo, mi amor.“

Wasser ist ein gefährliches Element geworden. Seit Jahren ertrinken Verzweifelte im Mittelmeer und nun müssen wir mit Schrecken erfahren, dass auch der Rio Grande eine menschenfressende Bestie geworden ist.

Weder das Mittelmeer noch der Fluss sind daran schuld. Verantwortung tragen wir Menschen, die wir es zulassen, dass andere Menschen derart verzweifelt sind, dass sie ihr Leben aufs Spiel setzen, nur um der gegenwärtigen Misere zu entkommen.

Und wenn die tapfere Kapitänin Carola Rackete ihre aus dem Meer gefischten Passagiere aus menschlicher Notwendigkeit auf Lampedusa gegen den Willen des italienischen Innenministers an Land setzt, dann droht ihr eine jahrelange Gefängnisstrafe, weil opportunerweise soeben die Gesetze entsprechend verändert wurden.

Und wenn dem 45. Präsidenten das Foto der ertrunkenen Valeria vorgehalten wird, dann fällt dem nichts Besseres ein, als zu schimpfen, daran seien die Demokraten im amerikanischen Kongress schuld.

In Europa können wir auf den EuGH bauen, der mit Sicherheit die italienische inhumane Gesetzgebung kassieren wird, aber auf was kann Amerika bauen?

Eigentlich ist mir zum Kotzen, aber wenn ich an die vielen kleinen Valerias denke, dann ist der Drang zu weinen stärker.

Damit aber ist es nicht getan. Wir müssen aktiv werden. Wir dürfen nicht zuschauen, wie andere Menschen ertrinken.

 

 

Liebe Gesundheitsapostel

Ich gestehe es frei, dass ich nicht zu denen gehöre, die ihr Leben dem Verzehr von Körnern oder der allgegenwärtigen Leibesertüchtigung geweiht haben.

Ich gehöre keiner der vielen Fraktionen an, die ewige Gesundheit, ständiges Wohlsein und bella figura eterna predigen. Ich schreibe diese Zeilen an Euch, liebe Gesundheitsapostel, nicht aus einer Position der Konkurrenz, ich weiß nämlich nichts besser als ihr. Wenn ich einmal ganz, ganz ehrlich sein sollte, dann weiß ich sogar nicht einmal etwas von Gesundheit, Erhaltung der Lebensqualität etc.

Ich bin einfach nur ein Konsument Eurer Ratschläge, die Ihr mir meist ungebeten zukommen lasst. Deshalb vermute ich bei Euch ein gewisses Sendungsbewusstsein, weshalb ich mir erlaube Euch „Apostel“ zu nennen.

Um es vorauszuschicken: Ich weiß, dass jeder von Euch auf seine Methode schwört und sie für alleinseligmachend erachtet.

Allerdings lehrt uns die Vielzahl der angebotenen Methoden, Lebensweisen und Ernährungsprogramme, dass alle richtig aber auch alle falsch sein können.

Meine These ist die, dass die allermeisten Ratschläge tatsächlich richtig sind, aber sind sie auch zielführend?

Da habe ich erhebliche Zweifel.

„Ich wüsste nicht, was aus mir geworden wäre, hätte ich vor 30 Jahren nicht auf alle tierischen „Fette verzichtet.“

Richtig! Das weiss nämlich niemand!  Allerdings verbreitet der obige Satz den Eindruck, der betreffenden Person, würde es heute ganz mies gehen, sie ginge am Stock, hätte Gicht und röche befremdlich, hätte sie damals nicht die Entscheidung weg vom tierischen Fett getroffen.

Beim Empfänger der Nachricht bleibt ein schlechtes Gewissen, denn ja, die Pirellis, der Schmerz im rechten Knie, das Magengeschwür und die nachlassende Beweglichkeit, das wäre sicher nicht so schlimm geworden, hätte man beizeiten die eigene Lebensweise umgestellt.

Ein schlechtes Gewissen zu generieren, ist ja gut und schön, viel schlimmer finde ich die Wirkung der verschiedenen Lehrmeinungen auf die innere Verfasstheit derer, die ihnen nachfolgen.

Wie? Die sind doch alle bumperlxunt!

Ja, körperlich. Aber im Hirn dieser Menschen hat sich der Gedanke festgesetzt, sie lebten ja so gesund, dass sie gar nicht krank werden könnten.

Ich habe es selbst erlebt: Da bekommt jemand eine Krebsdiagnose, ist noch nicht schlimm, muss aber operiert werden.

Dann beginnt eine Lauferei von Arzt zu Arzt, weil der Diagnose nicht stimmen kann, denn wer gesund lebt, kann bekanntlich nicht krank werden, das haben alle Ratgeber auch so rübergebracht.

Wertvolle Zeit geht verloren, schreckliche Zweifel beherrschen die Tage und besonders die Nächte des Kranken.

Es ist eine Qual für den Betroffenen und es ist eine Qual für dessen Umfeld, dies mit ansehen zu müssen.

Was ich damit sagen will?

Liebe Gesundheitsapostel, werdet demütiger, tut nicht so, als ob nur Ihr den Weg des Guten kennt und lasst erkennen, dass die Fährnisse des Lebens auch dem feil sind, der gesund, bewusst, bewegt und cerealophag lebt.

Im Übrigen: Langes Leben ist kein Gut an sich. Ich halte mich da an die amerikanische Erklärung der Unabhängigkeit:

Life, Liberty and pursuit of Happiness.

Abenteuer beim Hartleb.

Mein Vetter Schorsch und ich trafen uns am Bahnhof in Bamberg. Nachdem mein e-bike in der Woche zuvor geklaut worden war, hatte ich mir ein Kurzausgabe mit kleinen Rädern gemietet, meine beiden Satteltaschen wirkten unelegant und klobig.

Als sich die Türen des ICE aus München öffneten, schob Schorsch eine mittlere Lokomotive auf den Bahnsteig: riesige breite Reifen, schwarz-matte Lackierung und auf dem Tender zwei Satteltaschen und zwei Rucksäcke. Ich kam mir deutlich „underequipped“ vor.

Den kulturellen Teil der Reise hakten wir gleich am ersten Tag ab: Bamberg in 22.000 Schritten.

Dann ging es den Baunachgrund hoch, Wasser, Zuspruch und Übernachtung gab es bei Verwandten. Über Pfarrweisach und Totenweisach erreichten wir schließlich Maroldsweisach. Alle drei Orte liegen an der Weisach, nur wer Herr Marold war, weiß keiner.

Ohne dem Ort nahe treten zu wollen, kann behauptet werden, dass die größte, wenn nicht einzige Attraktion des Ortes der Hartleb ist. Das ist eine Wirtschaft mit Brauerei. Letztere beliefert nur die Wirtschaft selbst und hat deshalb keine Abfüllanlage. Wer dem Hartleb sein Bier dennoch zu Hause genießen will, der kauft beim Wirt einen Dreiliterbembel, der am Zapfhahn befüllt wird.

Dem Hartleb seine Mutter stammt aus Losbergsgereuth und hat mit mir in Rentweinsdorf zusammen goldene Konfirmation gefeiert. Das sollte sich später als unser Glück herausstellen.

Schorsch bestellte eine Forelle und bekam ein vorzügliches Schnitzel. Die Dame, die dann seine Forelle aß, sagte, auch diese sei köstlich gewesen. Ich bestellte Wildschweinbraten und bekam Wildschweinbraten, auch vorzüglich. Obwohl alles sehr schnell serviert wurde, gelang es mir zwei Seidla vom Hartleb seinem süffigen Bier zu trinken.

Nach beendetem Mahl, während ich mit der Wirtin Erinnerungen an die Goldene Konfirmation austauschte, stellte Schorsch fest, dass sein Rad vorne einen Platten hatte. Aus dem ersten Rucksack holte er einen Ersatzschlauch und perfektes Werkzeug und aus der linken Satteltasche eine Luftpumpe, die er aber dann doch nicht fand.

Es war äußerst schwierig, den Mantel von Felgen zu lösen, zumal Schorsch den Verdacht hegte, der klobige Reifen könne eine zarte Seele haben. In einem unbewachten Moment trat ich mit dem Absatz auf den blöden Reifen und schon löste er sich vom Felgen. Unterdessen hatte die Wirtin ihrem Sohn das mit der goldenen Konfirmation erzählt, was ihn offenbar milde stimmte. Er erbot sich, uns seinen Kompressor zur Verfügung zu stellen. Nachdem wir den neuen Schlauch auf die Felge und unter den Mantel gepfriemelt hatten, schritten Schorsch und der Hartlebs Wirt in die Werkstatt, und füllten den Reifen mit Luft. Als beide wieder auf die Terrasse kamen, war das Monster wieder platt. Offenbar hatten wir einen nach Innen gerichteten Splitter übersehen.

Nun holte Schorsch aus dem zweiten Rucksack ein Reifenflickset heraus, während ich erneut den Moment nutzte, um mit dem Hacken auf den Reifen zu treten. Unterdessen hatten wir das Interesse der Gäste auf der Terrasse erweckt, von wo aus nun Ratschläge kamen:

„Erschd müssdä aaraua“.

Schorsch hatte Schmirgelpapier dabei. Ich bereitete derweil den Flicken vor. Nun holte Schorsch aus dem Vulkanisierkästchen die Vulkanisierpaste heraus und drückte auf die Tube. Nichts tat sich. Auch hineinstechen half nicht mehr, das Zeug, offenbar noch Qualität aus dem 20. Jahrhundert, war eingetrocknet. Zum Amüsement aller Gäste ging Schorsch nun von Tisch zu Tisch und fragte, ob jemand zufällig Vulkanisierpaste dabeihätte. Am Stammtisch wurde er bei einem älteren Herrn fündig, der uns das begehrte Gut lieh, aber fand, damit habe er ein Recht auf Beratung erworben:

„Ihä müssd den Schlauch drühm nein Brunna haldn, somsd wissdä doch ned, wu des Loch is.“ „Naa,mir ham scho draufgschbedsd.“ Ich wiederholte die Übung und zeigte ihm, wo die Spucke Blasen schlug.

Nach einer guten Stunde schweißtreibender Arbeit war alles getan, der Vulkanisierpastenspender bekam sein Seidla und wir fuhren nach Birkenfeld, dem Ziel unserer Etappe.

Zum Abendessen erschien Schorsch geduscht mit schicker Hose und Sakko. Jetzt wusste ich, wozu er die rechte Satteltasche brauchte. Ich kam zwar auch geduscht, aber statt kurzer nur mit zerknitterter langer Hose.

 

 

Tante Franzis hätte niemals AfD gewählt.

Tante Franzis zu widersprechen war milde ausgedrückt unklug. Sie sprach nur und immer ex catedra, was sie mitnichten von ihren sieben Schwestern unterschied. Allerdings war sie die Jüngste und deshalb nahmen die Geschwister sie bis ins hohe Alter nicht ernst.

Das war der Grund, weshalb sie ihre Weisheiten an ihren Enkeln und Neffen ausließ. Eines Tages, es war kurz nachdem die NASA einen unbemannten Satelliten auf den Mond geschossen hatte, erklärte sie uns:

„Wenn man den Mond mit einer Stecknadel berührt, dann verändert sich bei uns das Wetter.“

Sie meinte das Klima. Wetter oder Klima, das war in Franken ebenso synonym wie Qualm und Dampf.

Wir tippten uns im Geiste an den Kopf und dachten „die Tante Franzis spinnt.“

Unterdessen hat sich herausgestellt, dass sich das Klima tatsächlich verändert und ich überlege, ob wir damals der Tante Unrecht angetan haben.

Mit dem Stecknadelpiekser hat sie sich deutlich als Anhängerin der Theorie geoutet, nach der der Klimawandel menschengemacht ist. Das beruhigt mich ungemein, denn somit ist klar, dass Tante Franzis ganz bestimmt nicht AfD gewählt hätte.

Mir geht das AfD Gerede über den Klimawandel, beziehungsweise um sein Nichtvorhandensein zunehmend auf die Nerven und zwar deshalb, weil das Hauptargument ist, er könne nicht menschengemacht sein.

Damit provozieren die Rechtsradikalen regelmäßig alle, die sich wegen des Klimawandels Sorgen machen und schwupps, schon redet man nichtmehr darüber, ob denn das Klima sich tatsächlich wandele oder nicht, sondern nur noch darüber, wer daran schuld oder nicht schuld sei.

Das ist kindisch, so wie wir auf dem Sandhaufen immer auf den anderen gedeutet haben, wenn wieder mal etwas kaputt gegangen war. (Der war’s!)

Es ist ziemlich egal, wer am Klimawandel schuld ist. Feststeht: Er ist da!

Immerhin hat das gesteigerte Interesse am Klimawandel dazu geführt, dass es Kräfte bindet. Man schimpft zwar weiter auf die Dame Merkel aber nicht mehr wegen der Flüchtlinge, Islamisierung und Volksaustausch.

Die Klärung der Schuldfrage beim Klimawandel führt aber keinen Schritt weiter. Lassen wir also diese Diskussion und konzentrieren wir uns darauf, zu überlegen, was getan werden muss.

Tante Franzis hätte auch hierzu eine ex catedra Meinung gehabt. Aber sie ist schon lange tot.

 

 

Der totgefahrene Hase

Im Juli 1967 überfuhr ein Mann auf dem Weg zur Frühschicht einen Hasen. Da das im Wald zwischen Rentweinsdorf und Salmsdorf passierte, war klar: „Der Hos ghörd den Rodenhon“. Der Fahrer nahm den Hasen mit. Nach der Arbeit, sprich acht Stunden im Auto an der Sonne, brachte er das tote Tier zum Förster Elflein, wie sich’s gehört.

Nachdem der Hase ausgenommen war, wollte der Forstmann das wilde Tier dem Haushalt meiner Eltern zuführen, wurde aber auf dem Schlosshof von unserer Großmutter abgefangen, die den Hasen an sich nahm. Eine ihrer Töchter lebte im Schwelm, irgendwo im Ruhrpott oder so. Klar, dort lebte man recht und schlecht und Hasenbraten gab es auch nie.

Der Hase wurde wie er war, in zwei Ausgaben des Fränkischen Tags gewickelt, in einen Karton gesteckt und am nächsten Tag, einem Freitag, zur Post getragen.

Zugestellt wurde das Tier erst am Montag, da war es schon sechs Tage tot. Das Paket roch und als die Empfängerin es auspackte, kam ein stinkender, von Maden befallener Feldhase zum Vorschein.

Es war ekelhaft. Mit der einen Hand klemmte sie sich die Nase zu mit der anderen warf sie das ganze Paket in die Abfalltonne. Bald schon beschwerten sich die Nachbarn und so musste im eher kleinen Garten ein Begräbnisplatz für den Hasen gefunden werden. Das Verpackungsmaterial wurde verbrannt.

Nachdem all dies vollbracht war, rief unsere Tante ihre Mutter an und verpasste ihr einen Anpfiff, der noch lange Wellen schlagen sollte. Sie habe die ewige Fürsorge bis an die Hutschnur, das sei erniedrigend, wenn man andauernd suggeriert bekäme, es ginge einem schlecht und Mann und Kind nagten am Hungertuche, und dann auch noch mit der Post einen toten Hasen zu schicken! Nein, sie verbäte sich das und wenn das nicht aufhöre, würde sie ihre Enkel niemals wiedersehen, das volle Repertoire halt.

Großmutter war geknickt und gleichzeitig erbost, denn so konnte man mit ihr nicht umspringen. Zu unserem Vater sagte sie, sie habe es doch nur gut gemeint. Der machte die Sache auch nicht besser, indem er ihr antwortete, gut gemeint sei das Gegenteil von gut.

Die alte Dame schmollte und wollte die Schmach nicht auf sich sitzen lassen. Was macht man in so einer Situation? Man schreibt an den Postminister. Das war damals Werner Dollinger, aus Bad Neustadt. Zwar war er nicht der Abgeordnete des Wahlkreises Bad Kissingen, aber immerhin lebte er in seinen Grenzen.

Sie berichtete ihm von dem Missgeschick, von dem verdorbenen Hasen, von der späten Zustellung erst am dritten Tag und das das alles doch ein Skandal sei. Der Brief gipfelte in der Feststellung, beim Kaiser sei derlei nicht vorgekommen.

Und was machte der Postminister? Nicht etwa beauftragte er seinen Referenten der wohl etwas wirren Absenderin klarzumachen, dass nach dem Postbeförderungsgesetz tote Tiere nicht verschickt werden dürfen.

Nein, damals wussten Postminister noch, was sich gehörte. Er schrieb einen persönlichen Brief und entschuldigte sich namens der Bundespost für den ungeheuerlichen Vorgang.

Großmutter hatte nichts anderes erwartet.

Das Sündenschmierchen

Das Frühstück war die einzige Mahlzeit, zu der man nicht pünktlich kommen musste, aber das war reine Theorie, denn am Werktag mussten wir um 8 Uhr in die Schule gehen und am Sonntag war um 9 Uhr 45 Gottesdienst.

Zum Frühstück gab es immer Brötchen. Im Dorf gab es damals noch zwei Bäcker, der Wills Beck und der Horns Beck.

Die Eltern tranken Nescafé und wir bekamen Malzkaffee aus dem Hause Kathrein. Davon wurde immer zu viel gebraut, damit am Nachmittag in der Küche eine emaillierte Kanne stünde, an der wir unseren Durst löschen konnten. Ich liebte es, verbotenerweise aus der Tülle zu trinken, und wurde zu meiner Verwunderung nie erwischt.

Als Aufstrich gab es Butter und Marmelade. Beides durfte nur ganz dünn aufgetragen werden. Nur Pflaumenmus durfte zentimeterdick drauf. Das lag daran, dass unser Vater im Krieg einen Österreicher kennen gelernt hatte, dem immer alles „Powidl“ war. Und wenn das wieder mal passierte, dann fragte er hernach „Wissen’s was dös is? – Pflaumenmus.“ Immerhin hatte dieser Herr unserem Vater erklärt, dass Powidl nur dann nicht honiggleich vom Brot rinnt, wenn man es mit der Schale einkocht, dann wirken die eingerollten Schalenreste wie kleine Tragebalken. Und so gab es bei uns ungezählte 1 Liter Weckgläser mit Powidl, den wir allein wegen der erlaubten Menge liebten.

Am Sonntag gab es für die Erwachsenen ein Ei. Wir Kinder kamen in diesen Genuss erst nach der Konfirmation. Begründung? Gab es keine, es war einfach so.

Wenn Gäste kamen, wurde manchmal zum Frühstück Käse serviert. Das grenzte in unseren kindlichen Augen an Dekadenz, obwohl wir Käse natürlich nicht mochten.

Einmal war Onkel Ullo zu Besuch und am Sonntag gab es Eier, Emmentaler, Quark und Powidl.

Onkel Ullo strich sein Brot genüsslich dick mit Butter, was wir schon bedenklich fanden, dann packte er Powidl drauf, das durfte er ja, aber dann – Sakrileg – strich er sich noch Zieberleskäs drauf, so hieß Quark damals noch in Franken. Wir Kinder beobachteten das Spektakel mit offenem Mund, so etwas hatte es noch nicht gegeben.

Vater, Onkel Ullo war sein Vetter, schmunzelte, aber Mutter blitzte ihren Mann aus bösen Augen an. Wollte sie so die Verschwendung ahnen oder dachte sie nur an das schlechte Beispiel für die Kinder?

Als der Gast weg war, erklärte uns unser Vater, dass der Onkel nach dem Krieg in Schlesien alles verloren hätte, die Flucht sei furchtbar gewesen und im Westen habe er nie Fuß fassen können, deshalb könne man ihm am Sonntag mal sowas gönnen.

Mutter sagte nur „Dass ihr bloß nicht auf die Idee kommt, euch solche Sündenschmierchen zu machen“.

Die Idee hatten wir schon, aber das Wort hatte uns bislang gefehlt. Und nun versuchten wir bei jedem Frühstück, ein Sündenschmierchen zuzubereiten. Dick Butter genügte schon, oder zwei verschiedene Marmeladen und, schwierig nicht erwischt zu werden, Zucker auf die Butter und darauf Marmelade. All das waren Sündenschmierchen und wenn wir unentdeckt blieben, war der Hochgenuss noch „höcherer“.