Das Parlament in Wien hat der Regierung Kurz das Misstrauen ausgesprochen.
Nun muss Bundespräsident van der Bellen den bisherigen Bundeskanzler unverzüglich entlassen und eine allseits geachtete Persönlichkeit zum neuen Bundeskanzler bestellen, der dann bis zu Neuwahlen im September ein Kabinett bildet, das aus Experten besteht.
Ideal ist das nicht, aber so sieht es die österreichische Verfassung vor.
Es ist müßig, erneut auf der österreichischen Seele herumzutrampeln, indem hier noch mal vorgekaut wird, was da alles in den vergangenen Tagen geschehen ist.
Deshalb bleiben wir auf dem Boden des Verfassungsrechts und fragen uns:
Könnte das in Deutschland auch so passieren?
Es konnte. In der Weimarer Republik konnte das Parlament so wie heute in Wien geschehen, einer Regierung das Misstrauen aussprechen, ohne dafür zu sorgen, dass sofort eine handlungsfähige Regierung bereitstand. Wohin das führte, wissen wir.
Das Wissen um diese Entwicklung ist der Grund, weshalb es in der verfassungsgebenden Versammlung vor 1949 nie umstritten war, dass wenn schon das Misstrauensvotum des Parlaments notwendig und legitim sei, dann aber auf jeden Fall ein Mechanismus gefunden werden musste, der die Unregierbarkeit des Landes verhinderte.
Deshalb heißt es bis heute im Artikel 67 des deutschen Grundgesetzes:
„Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Misstrauen nur dadurch aussprechen, dass er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt…“
Das konstruktive Misstrauensvotum war in die Welt gesetzt, ein Instrument, das der Bundesrepublik bisher eine erstaunliche Stabilität verliehen hat. Erst zwei Mal wurde Art 67 GG angewandt:
Am 24. April 1972 scheiterte Rainer Barzel (CDU) mit einem konstruktiven Misstrauensantrag gegen Willy Brandt (SPD), und am 1.10.1982 hatte damit Helmut Kohl (CDU) gegen Helmut Schmidt (SPD) Erfolg.
In Österreich ist nun das Misstrauen erstmals nach 1945 einem Bundeskanzler und seiner Regierung ausgesprochen worden.
Die Last des Staates liegt nun für einige Tage allein auf den Schultern des Bundespräsidenten van der Bellen.
Für Staatsrechtler wird es nun höchst interessant sein, zu beobachten, wie sich die Situation bis zu den Neuwahlen entwickelt.
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