Schuhkauf

Die Notwendigkeit, uns Kindern neue Schule zu kaufen, war den Eltern natürlich ein stetiger Dorn im Auge, denn wir wuchsen, die Schuhe aber nicht. Ich musste zunächst die zu klein gewordenen Schuhe meines älteren Bruders auftragen, von dem meine Mutter behauptete, er litte am Schweißfuß. Seine Replik: „Leiden tu ich da garnich.“

Wenn seine Schuhe für mich noch zu groß waren, wurde vorne solange Watte hineingepresst, bis sie passten. Später wurden die Zeiten besser und ich bekam eigene neue Schuh. Die kaufte man bei Valentin Schmidt, „bei‘n Schmidtla in Äbern“. Das Geschäft gibt es heute noch, zwischen Sparkasse und Kirche. Dort gab es für Buben eigentlich nur diese kackbraunen Schuhe, die auch der Förster trug. Einmal konnte ich mich durchsetzen und bekam schwarze Haferlschuhe. „Die werd’n jedsd aber emal gepfleechd“ sagte die Mutter.

Viel beliebter als „das Schmidtla“ war der Scharrenbroich am Grünen Markt in Bamberg. Da gab es nämlich eine Rutsche, die vom Erdgeschoß in die Kinderabteilung nach unten führte. Das war fast so schön wie Kirchweih. Vater rutschte einmal mit, wusste aber nicht, dass man schneller vorwärtskam, wenn man sich auf einen kleinen bereitliegenden Teppich setzte. Ich kannte den Trick und fuhr ihm mit Karacho in den Rücken. Er wand sich vor Schmerz, denn mein Schuh traf ihn gerade dort, wo die Kugel von seinem Bauchschuss wieder rausgekommen war. Er wand sich vor Schmerzen und zur Strafe bekam ich keine neuen Schuhe.

Dass wir beim Scharrenbroich auch wirklich neue Schuhe bekämen, war nicht so sicher. In erster Linie hing es davon ab, ob Mutter davon ausgehen konnte, dass ihr Status als „Dame“ nicht ins Wanken geriet. Das geschah einmal, als sich beim Anprobieren herausstellte, dass meine beiden großen Zehen aus den Strümpfen schauten. Großmutter nannte derlei „Fleischmann schaut aus Wollmanns Laden.“ Bevor die Verkäuferin mit den neuen Schuhen ankam, hatte Mutter mir befohlen, meine alten Treter wieder anzuziehen und wir verließen unter fadenscheinigen Erklärungen das Etablissement.

Schlimmer war es, als ich in der Hochpubertät das Waschen auf das Rituelle der Handlung reduzierte. Es war Winter, ich hatte lange Lederhosen mit den obligaten dicken Wollstrümpfen an. Als die Verkäuferin hochbepackt mit Schuhschachteln kam, zog ich meine Winterstiebel aus und ein durchaus beachtliches Gerücherl verbreitete sich in den Hallen. Mutter erbleichte, dann wurde sie dunkelrot und zerrte mich, Entschuldigungen ans Personal richtend, aus dem Geschäft. Der Grüne Markt war voller Menschen, es war vor Weihnachten und Mutter pfiff mich coram publico an, so dass kein Hund mehr ein Stück trocken Brot von mir genommen hätte. Wie man nur so rücksichtslos zu Mutter und Verkaufspersonal sein könne, sicherlich hätte ich mich seit Wochen nicht gewaschen. Langsam bildete sich ein interessierter Kreis um uns. „Meinä wäschd sich fei aa ums verreggn ned,“ meinte eine Dame mit Hut, während eine Matrone fast eingegriffen hätte, denn „a södds Bübla ka mer doch ned so zamscheisn vor ölla Leud.“

Von all dem unbeeindruckt, wurde Mutter immer wütender und verstieg sich zu der rhetorischen Frage, was denn nun die Verkäuferinnen bei Scharrenbroich von der Gesamtfamilie Rotenhan halten müssten? Leider beantwortete ich die Frage: „Bei Scharrenbroich kennen sie uns nicht, aber all die Leut um uns rum, die haben jetzt einen Eindruck von der Gesamtfamilie Rotenhan.“ Dafür fing ich eine Schelle und bis Ostern keine neuen Schuhe.

Um Peinlichkeiten zu vermeiden, gab mir in der Karwoche Mutter „ein Geld“ und ich sollte beim Scharrenbroich allein Schuhe kaufen. Ich kam dann mir Knautschlack-Slippern wieder, was die Sache auch nicht besser machte.

„Die werd‘n jedsd aber emal gepfleechd,“ sagte Mutter, als sie wieder normal atmen konnte.

 

 

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