Neulich saß ich in Palma im Kino. Im Vorspann wurde ein Film der Regierung der Balearen gezeigt, der Toleranz, Verständnis und Respekt für Transgender Menschen, also für Leute mit unbestimmtem Geschlecht, einforderte.
Als der Film zu Ende war, sagte neben mir eine alte Dame zu ihrem Mann: „Wunderbar, aber dass wir bald unsere Miete nichtmehr bezahlen können, das ist denen keinen Film wert.“
Tatsächlich räumt der Gerichtsvollzieher auf Mallorca an jedem Tage, den der liebe Gott werden lässt, vier Wohnungen wegen ausgebliebener Mietzahlung. Das sind am Tag im Schnitt 16 Einzelschicksale, im Jahr um die 5.000. Schuld daran ist zum großen Teil die Vermietung von Wohnraum an Touristen. 100 € am Tag bringt halt mehr als eine reguläre Monatsmiete. Die Stadtverwaltung von Palma hat unterdessen etwas dagegen diese Praxis unternommen, aber die Maßnahmen greifen nicht richtig, zumal auf dem Rest der Insel tausendfach Airbnb angeboten wird.
Die Dame neben mir hatte vollkommen zu Recht den Eindruck, dass mit dem Film etwas Gutes getan werde, aber dieses Gute ging an ihrer Lebenswirklichkeit vorbei. „Für mich tut keiner was“, blieb im Hinterkopf hängen.
Dabei Ist es einerlei, ob das „etwas tun“ im Zuständigkeitsbereich der Regierung, der Stadtverwaltung oder der Tarifpartner liegt. Der Eindruck bleibt: „die da oben haben ich vergessen.“
Das Einkommensniveau auf den Balearen lag zum Jahrtausendwechsel bei 114 % dessen, was im übrigen Europa verdient wurde. Heute stehen wir hier bei 95%. Das ist genau 1% realer Einkommensverlust pro Jahr bei steigenden Preisen, steigenden Mieten und trotz steigender Tarifabschlüsse. Fast 20% Einkommensverlust. Und das alles, wo jedermann sieht, dass der Tourismus boomt, dass die Umsätze der Gastronomie und des Einzelhandels steigen, von denen der Hoteliers gar nicht erst zu reden. Fast 20% Einkommensverlust, das muss man erstmal verkraften können, da treten Respekt und Verständnis für Transgender Menschen in den Hintergrund.
Der Eindruck entsteht, dass die Regierung auf billig Sympathien erheischt, die Probleme der Mehrheit aber nicht anfasst.
Auf nationaler Ebene ist es nicht anders. Da wird seit Monaten über die Umbettung der sterblichen Reste Francos gestritten. Nach dessen Tod, wusste jeder Spanier, dass der Stein auf seinem Grab etwa eineinhalb Tonnen wiegt. Der kommt nicht mehr raus, war der tägliche Kommentar beim café con leche in der Bar. Nun soll er also doch und der arbeitslose Jugendliche, der nur noch schemenhaft weiß, um wen es sich bei jenem Franco, handelt, fasst sich an den Kopf und denkt, dass hier Nebelwände hochgezogen werden, mit denen die Regierung ihre Unfähigkeit verbirgt, etwas zu tun, wovon die arbeitsuchende Jugend etwas hat.
Überall bleibt der Eindruck zurück, es werde mit viel Aufwand an Zeit, Energie und Geld etwas Wohlfeiles getan. Niemand kann etwas Essentielles dagegen haben, aber all das berührt das Leben der Mehrheit in keiner Weise.
Das Gefühl, von denen da oben vergessen worden zu sein, ist allgegenwärtig und niemand muss sich wundern, wenn die Vergessenen in Scharen zur spanischen Vox oder zur deutschen AfD überlaufen.
Die machen zwar auch nichts, aber sie sagen, sie würden was machen und sie finanzieren keine sympathischen Filme für Minderheiten.
Natürlich ist der Minderheitenschutz wichtig, die Verfassung gebietet es. Bedauerlich aber ist es, dass immer wieder Parteien mit durchaus vernünftigem Programm gibt, die ihre sichtbare Aktivität auf Minderheiten werfen, ohne daran zu denken, dass in einer Demokratie erst einmal eine Mehrheit dazu gebracht werden muss, diese Parteien zu wählen, damit sie sich unter anderem auch den Minderheiten zuwenden können.