Der neue Lehrer aus Pfarrweisach

Meine Großmutter aus Rentweinsdorf hat ihren Schwiegervater nicht gemocht. Das hat schon damals niemanden verwundert.

Von seiner Frau wird berichtet, sie habe immer, wenn sich der „alte gnädige Herr“ genähert habe, gesagt: „Kinderchen, geht ganz schnell weg, der liebe, liebe Vater kommt!“

Bei meiner Großmutter war der Grund der Abneigung genau feststellbar: Als er sie, die aus der Neumark kommende, blutjunge Frau den Arbeitern und Angestellten vorstellte, schloss er seine Rede mit den Worten: „Die wird fei jetzt schön gefunden!“

Er war ein großer Kommunikator, networker würde man heute sagen. Er legte Wert darauf, möglichst jeden im Landkreis Ebern persönlich zu kennen und sprach deshalb jeden an, den er noch nicht gesehen hatte.

Besonders gern tat er das in der Bahn. Das war damals noch ein dampfgetriebenes Ungeheuer mit drei bis fünf Personenwagen. Er stieg hinten ein und bis Bamberg hatte er sich nach vorn durchgearbeitet, mit jedem und jeder gesprochen. Es war seine Angewohnheit, Unbekannten die Frage zu stellen, ob er denn der neue Lehrer aus Pfarrweisach sei. Der antwortete dann, nein, er sei der neue Finanzamtsgehilfe aus Ebern mit Namen Österlein, ursprünglich stamme er aus Werneck und so fort.

Urgroßvater Gottfried war immer bestens informiert und hörte deshalb das Gras wachsen, was er durchaus auch in seinem Interesse zu verwerten wusste, wie ich in einer der Geschichten im Buch „Die Kloßköchin und der Pfarrer von Gerach“ berichtet habe.

Irgendwann wurde bei den Vettern in Eyrichshof beim Frühstück davon geredet, dass der Rentweinsdorfer im Zug immer den neuen Lehrer aus Pfarrweisach wähnte. „Und so suchete man mit Fleiß“ wann denn der gnädige Herr wieder den Zug nach Bamberg nähme.

An diesem Tag wurde in Eyrichshof in den ersten, den mittleren und in den letzten Wagen einer der Sommergäste gesetzt mit der strikten Anweisung, auf die Frage, ob er der neue Lehrer aus Pfarrweisach sei, mit „ja“ zu antworten.

In Rentweinsdorf stieg der „alte gnädige Herr“ wie gewohnt in den letzten Wagen und als er dort einen unbekannten jungen Mann antraf, war er freudig überrascht, endlich einmal auf die ewig gleiche Frage eine positive Antwort zu bekommen. Beim Kandidaten im mittleren Wagon roch er den Braten, ließ sich aber nichts anmerken und fragte zwischen Breitengüßbach und Bamberg auch noch den dritten Unbekannten, ob er der neue Lehrer aus Pfarrweisach sei. Der bestätigte dies und nach einem kurzen Gespräch war man auch schon in der Domstadt angekommen. Kurz vor dem Aussteigen beauftragte er den neuen Lehrer aus Pfarrweisach noch, herzliche Grüße nach Eyrichshof auszurichten.

Wenn der Urgroßvater weiterfuhr, etwa nach München, dann bestellte er sich vorher telegraphisch Verwandte und Bekannte an den Perron, wie man damals sagte. Wenn der Zug dann in Nürnberg hielt, war der alte Herr natürlich mit einer Zugbekanntschaft in ein rauschendes Gespräch vertieft. Auf dem Bahnsteig tippelten seine Cousinen Leonrod aufgeregt hin und her und fanden den lieben Gottfried nicht.

Als der Zug bereits angeruckelt hatte, besann sich dieser seiner Verwandtschaft, riss das Abteilfenster herunter und grüßte winkend und rufend die alten Jungfern.

Dann ließ er sich in die Polster seines Sitzplatzes sinken und sagte mit voller Überzeugung zu seinen Mitreisenden: „Ham jetzt die eine Freud g’habt, dass sie mich wenigstens noch ham sehen können!“

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