Spielschulden sind Ehrenschulden

Ein entfernter Verwandter meines Urgroßvaters diente nicht in Franken, sondern in der k.u.k. Armee als Oberleutnant. Er war in Galizien stationiert, wo es im Winter kalt, im Sommer heiß, immer aber langweilig war.

Man vertrieb sich die Zeit beim Spiel, und nachdem der Oberleutnant all sein Geld „verjeut“ hatte, stellte er fest, dass er bei seinem Regimentskommandeur riesige Spielschulden hatte, die er mit seinem mickrigen Sold nie werde abbezahlen können.

Der Kommandeur war mit einer sehr begüterten Wienerin verheiratet und hatte es wirklich nicht notwendig, auf der Bezahlung der Spielschulden zu bestehen. Dennoch bestellte er den Untergebenen zu sich und machte ihm in einem Privatissimum klar: „Spuilschuidn san Ehrnschuidn.“

Da der Schuldner wusste, dass an eine Bezahlung gar nicht zu denken war, kam diese Bemerkung einer Aufforderung zum Selbstmord gleich.

Unser armer Oberleutnant machte qualvolle Tage und Nächte durch, als ihn nach einer Woche der Kommandeur erneut einbestellte. Wieder begann er seine Rede mit dem schon bekannten Satz. „Spuilschuidn san Ehrnschuidn,“ und der junge Mann dachte schon, als nächstes werde ihm ein Revolver gereicht, als er freundlich gebeten wurde, Platz zu nehmen. Der Adjutant reichte Cognac und Zigarren und nachdem dieser sich zurückgezogen hatte, begann der Kommandeur zu sprechen.

Er machte darauf aufmerksam, wie viele wertvolle Leben das Laster des Spiels schon gekostet habe, er verstand auch die Seelenpein derer, denen es materiell unmöglich war, die Ehrenschuld abzutragen, um dann zu wirklichen Grund seiner Einladung zu kommen. Er habe in Wien eine einzige Tochter, Erbin des beträchtlichen Vermögens ihrer Mutter. Diese Tochter, ein reizendes Geschöpf übrigens, sei bisher unverheiratet, und wenn der Kamerad Oberleutnant die junge Dame heiraten würde, wolle der Kommandant auf die Zahlung der Spielschulden verzichten, darüber hinaus bot er eine ansehnliche Mitgift aus.

Ohne zu zögern oder gar zu überlegen, schlug der erleichterte junge Mann ein. Noch ehe er nach Wien fahren konnte, um seine Braut kennenzulernen, wurde die Verlobung in der Wiener Presse angezeigt, da gab es kein Zurück mehr.

Es stellt sich heraus, dass die Braut unbeschreiblich hässlich war. Als der Brautvater die Schockstarre des Bräutigams bemerkte, flüsterte er ihm ins Ohr „Spuilschuid san Ehrnschuidn.“ Der junge Mann entspannte sich und bald schon wurde Hochzeit gefeiert.

Die Ehe soll sehr glücklich gewesen sein. Mit dem riesigen Vermögen der frühversterbenden Mutter zog man sich nach Bamberg in eine Villa am Schillerplatz zurück. Dort wuchsen die drei Töchter auf, die durch die Bank nach der Mutter geraten waren. Sie hatten deren Aussehen und deren Wiener Akzent geerbt, nicht aber deren Vermögen. Der klägliche Rest desselben musste ja auch noch dreigeteilt werden. Keine hat je geheiratet. Immerhin blieb ihnen die Villa am Schillerplatz. Bekannt als „die drei Schillerplätzchen“ waren sie in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Schrecken so manchen jungen Mannes. Die Schillerplätzchen fühlten sich mit allen noch so entfernt Verwandten ganz nah verwandt, und wenn ein fescher Leutnant seine Dame auf der Langen Gasse in Bamberg ausführte, konnte es passieren, dass drei ältere Damen auf ihn zustürmten, und riefen „Geh her, kriegst an Schmatz.“ Das war für die Beziehung zu der jeweiligen jungen Dame in den seltensten Fällen förderlich.

Unser Vater wurde öfters mit einem „Schmatz“ bedroht und erzählte uns Kindern die Geschichte immer wieder, um uns vor den Gefahren des „jeuens“ zu warnen.

Immerhin: Keinen von uns fünf Geschwistern hat je die Versuchung des Glücksspiels gepackt.

Kommentar verfassen