Martin Suter beschreibt in seinem Buch „Small World“ wie eine Mutter ihren leiblichen Sohn gegen ein „Miterziehungskind“ austauscht, diesen zum Millionenerben macht, und den eigenen Sohn zu einem kümmerlichen Leben verurteilt.
Schreiendes Unrecht, gar keine Frage. Bei der Danksagung am Ende des Buches erwähnt der Autor unter anderen einen befreundeten Rechtsanwalt aus Zürich, der ihm dargelegt hat, dass trotz der offenbaren Rechtswidrigkeit des Handelns der Dame dieses mit der Zeit rechtmäßig wird, weil der allgemeine Rechtsfrieden wichtiger sei, als das individuelle Recht auf Gesetzmäßigkeit.
Juristen unter meinen Lesern ahnen es schon, ich spreche vom Recht auf Restitution enteigneten Eigentums in der ehemaligen DDR.
„Einigkeit und Recht und Freiheit“, das erhofften sich alle Deutschen auch für die Landsleute, die diese Tugenden im Osten des Landes bis zur Wende nicht genießen konnten. Viele im Westen erhofften sich aber auch unter dem Begriff „Recht“, dass sie in ihre Eigentumsrechte bezüglich Wald, Wiese und Wehrburg wiedereingesetzt würden.
Bis heute diskutiert man darüber kontrovers, ob es ein schreiendes Unrecht gewesen sei, dass im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 ausgeschlossen wurde, Enteignungen durch den DDR rückgängig zu machen.
Es wird sogar darüber spekuliert, ob der damalige West-Verhandler Schäuble fälschlicherweise behauptet habe, für die Sowjetunion sei das Restitutionsverbot „conditio sine qua non“ gewesen.
Die Diskussion ist müßig, denn eine generelle Restitution wäre schon allein deshalb nicht möglich gewesen, weil so manches Rittergut dem Flächenfraß zum Opfer gefallen war. Auch in der DDR wuchsen die Städte und auch dort wurden Wiesen zu Gewerbeflächen umgewidmet. Faktisch wäre nur die Rückübereignung von enteignetem Wald möglich gewesen.
Immerhin etwas, ruft es da aus der gequälten Seele Vieler, die ihre Hoffnungen, das Jagdrevier des Großvaters im Thüringer Wald zurückzubekommen, schon allzu früh begraben mussten.
Natürlich wäre die Ungleichbehandlung „Wald ja, Acker nein“ schon für sich allein ein Verstoß gegen das Grundgesetz gewesen.
Andererseits muss man sich nur einen kleinen Moment lang vorstellen, was passiert wäre, wenn die ehemaligen Eigentümer mit Singsang und Gepränge wieder auf dem Rittergut, dem Hof in der Magdeburger Börde oder dem Jagdschlösschen in der Altmark erschienen wären. Der sowieso schon schwierige Beitritt der ehemaligen DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes wäre wohl überhaupt nicht geglückt. Tausende und Abertausende wären aus angestammten Eigentumsverhältnissen verdrängt worden.
Der Satz in der Präambel des Grundgesetzes „die Einheit und Freiheit Deutschlands (seien) vollendet“ wäre eine manifeste Lüge.
Die Kunst demokratischer Politik ist in erster Linie die Schaffung und Einhaltung von Recht und Gesetz.
Wichtiger aber als die Verschaffung von Recht für jeden Einzelnen von uns ist die Wahrung des Rechtsfriedens für alle. Das bedeutet eben auch, dass Rechte, die jahrelang galten, obwohl ihr Ursprung womöglich auf Unrecht basierte, unangetastet bleiben müssen, weil eine Wiederherstellung des „status quo ante“ neues Unrecht schaffen würde.
Die Wiedereinsetzung in unrechtmäßig genommenes Eigentum Weniger wäre eine nur schwer begründbare Enteignung Vieler gewesen. Dem Rechtsfrieden hätte sie aber niemals gedient.