Auf dem falschen Bein Hurra geschrien

Man kann dem deutschen Adel Vieles nachsagen, Gespür dafür, im richtigen Moment politisch das Richtige zu tun, gehört jedenfalls nicht zu den weitverbreitetsten Tugenden.

Unterdessen ist es hundert Jahre her, dass die Monarchie, eigentlich waren es ja mehrere Monarchien, in Deutschland abgeschafft wurde. Man könnte daher annehmen, dass auch diejenigen, die mit dem Kaiser fühlten und natürlich deren Nachkommen, unterdessen erkannt haben, dass die neue Staatsform, die Demokratie, allen, auch dem Adel, mehr Freiheit der Entfaltung, der Berufswahl und des Denkens beschert hat.

Wir alle wissen, dass die Weimarer Verfassung unter anderem auch von denen bekämpft und zum Scheitern gebracht wurde, die sich einfach nicht vorstellen konnten, dass ein Staat, wenn er nicht von der Aristokratie regiert wird, überhaupt funktionieren kann. Aristokratie ist griechisch, und heißt „Regierung durch die Besten“. Wollen wir milde sein, und der Sache nicht auf den Grund gehen…

Die Nazis hatten erheblichen Zulauf durch den Adel. Viele erhofften sich die Restauration der Monarchie, hofften wieder in Amt und Würden zu kommen und sahen dabei darüber hinweg, dass die Nazigrößen allesamt das waren, was man in den Schlössern des Landes hhhundsordinär nannte. Auch der Adelige Ribbentrop war ja eigentlich nicht vorzeigbar, handelte es sich bei ihm doch um einen gescheiterten Vertreter für Schaumwein.

Der deutsche Adel, mit wenigen umso rühmlicheren Ausnahmen, biss in den sauren Apfel und schloss sich dem Nationalsozialismus an, und dies, obwohl man diese Kerle unmöglich zum Tee einladen konnte. Nazis klopften an offene Türen, leckten das Messer ab und hatten auch sonst keine Manieren. Aber sie verhießen etwas: Deutschland wird wieder groß und mit ihm, die, die früher einmal groß waren. Da konnte man durchaus Hurra schreien.

Es gab ja auch die sogenannten „anständigen Nazis“. Denen konnte man, so dachten viele, folgen. Als diese schon bald kaltgestellt waren, oder resigniert hatten, war es zu spät.

Wer der Partei nicht beitrat oder gar austrat, hatte mit schweren Benachteiligungen zu rechnen, das ging beim landsässigen Adel über schlechte Zuteilungen an Saatgut oder, man stelle sich das vor, plötzlich gewannen die Schafböcke aus eigener Zucht keine Preise mehr.

Der militante Antisemitismus, war zwar unschön, aber latent war man schon immer gegen die Juden gewesen und wo gehobelt wird… Man redete sich das Unsägliche schön, zumal dann, wenn die eigenen Söhne auf dem Felde der Ehre nicht nur das Vaterland verteidigten, sondern dafür auch noch das Leben ließen. So konnte man verdrängen, dass die damals fast noch Kinder für ein verbrecherisches System starben. Die Orden der Unglücklichen liegen heute noch in Truhen und Barockkommoden.

Man müsste diesen Artikel nicht schreiben, gäbe es nicht erschreckende Parallelen zur Jetztzeit:

„Beatrix von Storch ist ja schließlich als Prinzessin geboren, anständiges Haus. Das ist doch eine Referenz und der Gauland zieht sich an wie ein schottischer Lord, der klopft bestimmt nicht an offene Türen.“

Die politische Akzeptanz fußt nicht auf dem Inhalt, sondern darauf, ob man sich über „den Benimm“ mit der Person identifizieren kann. Wenn das gesichert ist, spielt es nur noch eine untergeordnete Rolle, ob die Dame Storch an der polnischen Grenze auf Flüchtlinge schießen lassen will.

Konservatives Denken ist ein Synonym für den Adel. Da ist ja auch gar nichts dagegen einzuwenden.

Es wundert und schmerzt mich aber ungemein, mit ansehen zu müssen, wie ganz viele Adelige, die im Normalfall eine gute Bildung genossen haben, schon wieder auf dem falschen Bein Hurra schreien, weil sie im Ultrakonservativismus ihr Heil wähnen.

 

 

Der Souverän

„Im Namen des Volkes ergeht das folgende Urteil…“ Und zwar deshalb, weil das Volk der Souverän ist, also der „Öberschde“. Das steht nicht nur in der deutschen Verfassung, dem Grundgesetz, das steht sogar in der Verfassung Spaniens, einem monarchischen Staat.

„Das Volk“, das sind alle zusammen, die die Staatsangehörigkeit eines Landes haben. Das Volk wählt diejenigen, die in dessen Namen Gesetze erlassen oder über sie entscheiden. In keinem demokratischen Staat ist jemand eine höhere Instanz als das Volk.

Aber was darf das Volk? In letzter Zeit wird es immer mehr Mode, zu behaupten, das Volk dürfe alles. Alles und Jedes könne durch Volksabstimmung geändert werden, die Mehrheit entscheidet.

Es gibt wenige Länder, in denen das Volk über alles direkt entscheiden kann. Herausragendes Beispiel ist die Schweiz. Dort hat sich dieses Verfahren bewährt, gerät aber zunehmend ins Wanken, nachdem rechtsgerichtete Politiker ihr Süppchen auf der Volksmeinung kochen und dem Wähler suggerieren, man könne auch über die Grundmauern der Demokratie abstimmen.

In Deutschland haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes solchen Tendenzen einen Riegel vorgeschoben: In Artikel 19,2 GG steht: „In keinem Fall darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden“.

Menschenwürde, freie Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Gewaltenteilung, Bekenntnisfreiheit, Meinungsfreiheit, Schutz von Ehe und Familie, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Postgeheimnis, Freizügigkeit, Berufsfreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Eigentum, Asylrecht und Petitionsrecht, all das sind Grundrechte. In diese Grundrechte darf der Staat – wenn überhaupt – nur mittels eines Gesetzes eingreifen.

Die Grundrechte bilden die „essentials“ eines demokratischen Rechtsstaates und stehen nicht zur Disposition des Souveräns. Eine demokratische Verfassung hindert in aller Regel den Staat, Selbstmord zu begehen und er hindert den Souverän und die von ihm gewählten Vertreter daran, den demokratischen Rechtsstaat umzubringen.

In einer repräsentativen Demokratie übt der Souverän seine Macht durch freie, geheime und unabhängige Wahlen aus. Wie wichtig es ist, dass möglichst jeder sein Wahlrecht ausübt, haben wir erst in diesen Tagen bei den „mid term“ Wahlen in den USA erlebt. Was passieren kann, wenn man denkt, der Staat, die Demokratie und die Wahlen gingen einen nichts an, hat die städtische Jugend Großbritanniens erlebt. Ihr haben nationalistische nach gestern gewandte Wähler den Weg in eine moderne weltumspannende Zukunft verbaut. Viele wachten nach er Brexit Entscheidung morgens auf, wischten sich den Schlaf aus den Augen und merkten, dass niemand anders als die Nichtwähler, sie selbst, schuld dran waren, dass die dümmste Entscheidung des Vereinigten Königsreichs zwar mehrheitlich aber ohne sie gefallen war.

In einem totalitären Staat erscheint es ratsam, sich weg zu ducken, um möglichst wenig aufzufallen. Es gibt keine Pflicht zum Heldentum. Für Demokraten ist es allerdings Recht und Pflicht, aufzustehen, mitzumachen sich Gehör zu verschaffen und denen, die mit der Ausübung staatlicher Macht beauftragt wurden, auf die Finger zu schauen

Souverän zu sein, ist toll. Aber sowas gibt es nicht zum Nulltarif.

Demokratie ist anstrengend.

Der Rechtsfrieden

Martin Suter beschreibt in seinem Buch „Small World“ wie eine Mutter ihren leiblichen Sohn gegen ein „Miterziehungskind“ austauscht, diesen zum Millionenerben macht, und den eigenen Sohn zu einem kümmerlichen Leben verurteilt.

Schreiendes Unrecht, gar keine Frage. Bei der Danksagung am Ende des Buches erwähnt der Autor unter anderen einen befreundeten Rechtsanwalt aus Zürich, der ihm dargelegt hat, dass trotz der offenbaren Rechtswidrigkeit des Handelns der Dame dieses mit der Zeit rechtmäßig wird, weil der allgemeine Rechtsfrieden wichtiger sei, als das individuelle Recht auf Gesetzmäßigkeit.

Juristen unter meinen Lesern ahnen es schon, ich spreche vom Recht auf Restitution enteigneten Eigentums in der ehemaligen DDR.

„Einigkeit und Recht und Freiheit“, das erhofften sich alle Deutschen auch für die Landsleute, die diese Tugenden im Osten des Landes bis zur Wende nicht genießen konnten. Viele im Westen erhofften sich aber auch unter dem Begriff „Recht“, dass sie in ihre Eigentumsrechte bezüglich Wald, Wiese und Wehrburg wiedereingesetzt würden.

Bis heute diskutiert man darüber kontrovers, ob es ein schreiendes Unrecht gewesen sei, dass im Einigungsvertrag vom 31. August 1990 ausgeschlossen wurde, Enteignungen durch den DDR rückgängig zu machen.

Es wird sogar darüber spekuliert, ob der damalige West-Verhandler Schäuble fälschlicherweise behauptet habe, für die Sowjetunion sei das Restitutionsverbot „conditio sine qua non“ gewesen.

Die Diskussion ist müßig, denn eine generelle Restitution wäre schon allein deshalb nicht möglich gewesen, weil so manches Rittergut dem Flächenfraß zum Opfer gefallen war. Auch in der DDR wuchsen die Städte und auch dort wurden Wiesen zu Gewerbeflächen umgewidmet. Faktisch wäre nur die Rückübereignung von enteignetem Wald möglich gewesen.

Immerhin etwas, ruft es da aus der gequälten Seele Vieler, die ihre Hoffnungen, das Jagdrevier des Großvaters im Thüringer Wald zurückzubekommen, schon allzu früh begraben mussten.

Natürlich wäre die Ungleichbehandlung „Wald ja, Acker nein“ schon für sich allein ein Verstoß gegen das Grundgesetz gewesen.

Andererseits muss man sich nur einen kleinen Moment lang vorstellen, was passiert wäre, wenn die ehemaligen Eigentümer mit Singsang und Gepränge wieder auf dem Rittergut, dem Hof in der Magdeburger Börde oder dem Jagdschlösschen in der Altmark erschienen wären. Der sowieso schon schwierige Beitritt der ehemaligen DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes wäre wohl überhaupt nicht geglückt. Tausende und Abertausende wären aus angestammten Eigentumsverhältnissen verdrängt worden.

Der Satz in der Präambel des Grundgesetzes „die Einheit und Freiheit Deutschlands (seien) vollendet“ wäre eine manifeste Lüge.

Die Kunst demokratischer Politik ist in erster Linie die Schaffung und Einhaltung von Recht und Gesetz.

Wichtiger aber als die Verschaffung von Recht für jeden Einzelnen von uns ist die Wahrung des Rechtsfriedens für alle. Das bedeutet eben auch, dass Rechte, die jahrelang galten, obwohl ihr Ursprung womöglich auf Unrecht basierte, unangetastet bleiben müssen, weil eine Wiederherstellung des „status quo ante“ neues Unrecht schaffen würde.

Die Wiedereinsetzung in unrechtmäßig genommenes Eigentum Weniger wäre eine nur schwer begründbare Enteignung Vieler gewesen. Dem Rechtsfrieden hätte sie aber niemals gedient.