Merkel bricht das Grundgesetz?

Lieber Otto Hessen, lieber Philippe Matuschka.

Gestern hatten wir einen kleinen Disput, nachdem Otto in einem fb Beitrag festgestellt hatte, dass die Bundeskanzlerin das Grundgesetz gebrochen habe und dass nun ein anständiges Einwanderungsgesetz Not täte.

Ich schicke voraus, dass ich einverstanden bin was das Einwanderungsgesetz angeht. Wir hätten längst eines haben können, denn was damals Otto Schily als Innenminister vorgelegt hatte, ist in peinlichster Weise an den politischen Rankünen der Parteien gescheitert.

Uneins sind wir darüber, dass ich nach wie vor denke, dass es ein illegitimes Totschlagargument ist, wenn man in den Raum stellt, Merkel, oder er auch immer, habe das Grundgesetz gebrochen.

Wenn ein finsterer Geselle mit einem blutigen Messer in der Hand über einer noch warmen Leiche steht, dann ist er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Mörder.

Aber woran macht man den Verfassungsbruch eines Verfassungsorgans fest? Otto meinte, Merkel habe den Artikel 3 GG verletzt. Es geht in dieser Norm um die Gleichheit vor dem Gesetz. Wo und wie hat Merkel dagegen verstoßen?

Die Möglichkeiten das Bundesverfassungsgericht einzuschalten sind vielfältig wenn auch kompliziert. Es ist allerdings bemerkenswert, dass nicht einmal die schärfsten Gegner der Bundeskanzlerin den Weg nach Karlsruhe erfolgreich haben beschreiten können. Es ist legitim, wenn Bürger, Parteien, Bundesländer das Tun der Kanzlerin beim Verfassungsgericht auf seine Rechtmäßigkeit überprüfen ließen. Dazu gibt es ihn, den Rechtsweg.

Und natürlich ist es legitim, dass sich Bürger auch laut darüber Gedanken machen, ob ein Verfassungsorgan womöglich das Grundgesetz missachtet oder gar gebrochen hat.

Es steht dem Bürger allerdings nicht zu, „ex catedra“ zu verkünden Herr oder Frau Soundso habe das Grundgesetz gebrochen. Diese, Philippe nannte des „Deutungshoheit“, steht nur dem zu, der auf dieser „catedra“, dem Lehrstuhl, sitzt. Das ist in unserem Fall das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Mit gutem Recht liegt das Gewaltmonopol bei Staat und mit gutem Recht sind es die Gerichte, die entscheiden, ob jemand Gesetze bricht oder nicht.

Wenn wir beim finsteren Gesellen mit dem blutigen Messer in der Hand bleiben wollen, so führe jede Verurteilung, die nicht vom Gericht ausgesprochen wird, zur Lynchjustiz. „Zwirnd na nauf!“ schreit die Volksseele, wenn sie den Täter mit dem blutigen Messer findet.

Es grenzt an verfassungsrechtliche Lynchjustiz, wenn jeder Bürger das Recht hätte, über eventuelle Verfassungsbrüche zu urteilen. Natürlich kann man darüber diskutieren. Aber wir müssen uns dagegen wehren, dass der Satz „Herr A, B oder C hat die Verfassung gebrochen“ zur wohlfeilen Münze der demokratischen Auseinandersetzung wird.

Damit verwildert man die politische Diskussion und legitimiert die Schreier in der politischen Arena, die auf derartiger Verwilderung ihr Süppchen kochen.

Wir leben in schwierigen Zeiten und gerade jetzt ist es ungemein wichtig, auf die Wortwahl zu achten.

Mit Erschrecken beobachten die mündigen Bürger wie Otto, Philippe und ich, was plötzlich verbal möglich geworden ist.

Um so mehr müssen wir, die mündigen Bürger, Otto, Philippe, ich und viele, viele andere darauf achten, den richtigen Ton zu finden, denn der macht die Musik.

 

 

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