Merkel bricht das Grundgesetz?

Lieber Otto Hessen, lieber Philippe Matuschka.

Gestern hatten wir einen kleinen Disput, nachdem Otto in einem fb Beitrag festgestellt hatte, dass die Bundeskanzlerin das Grundgesetz gebrochen habe und dass nun ein anständiges Einwanderungsgesetz Not täte.

Ich schicke voraus, dass ich einverstanden bin was das Einwanderungsgesetz angeht. Wir hätten längst eines haben können, denn was damals Otto Schily als Innenminister vorgelegt hatte, ist in peinlichster Weise an den politischen Rankünen der Parteien gescheitert.

Uneins sind wir darüber, dass ich nach wie vor denke, dass es ein illegitimes Totschlagargument ist, wenn man in den Raum stellt, Merkel, oder er auch immer, habe das Grundgesetz gebrochen.

Wenn ein finsterer Geselle mit einem blutigen Messer in der Hand über einer noch warmen Leiche steht, dann ist er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Mörder.

Aber woran macht man den Verfassungsbruch eines Verfassungsorgans fest? Otto meinte, Merkel habe den Artikel 3 GG verletzt. Es geht in dieser Norm um die Gleichheit vor dem Gesetz. Wo und wie hat Merkel dagegen verstoßen?

Die Möglichkeiten das Bundesverfassungsgericht einzuschalten sind vielfältig wenn auch kompliziert. Es ist allerdings bemerkenswert, dass nicht einmal die schärfsten Gegner der Bundeskanzlerin den Weg nach Karlsruhe erfolgreich haben beschreiten können. Es ist legitim, wenn Bürger, Parteien, Bundesländer das Tun der Kanzlerin beim Verfassungsgericht auf seine Rechtmäßigkeit überprüfen ließen. Dazu gibt es ihn, den Rechtsweg.

Und natürlich ist es legitim, dass sich Bürger auch laut darüber Gedanken machen, ob ein Verfassungsorgan womöglich das Grundgesetz missachtet oder gar gebrochen hat.

Es steht dem Bürger allerdings nicht zu, „ex catedra“ zu verkünden Herr oder Frau Soundso habe das Grundgesetz gebrochen. Diese, Philippe nannte des „Deutungshoheit“, steht nur dem zu, der auf dieser „catedra“, dem Lehrstuhl, sitzt. Das ist in unserem Fall das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Mit gutem Recht liegt das Gewaltmonopol bei Staat und mit gutem Recht sind es die Gerichte, die entscheiden, ob jemand Gesetze bricht oder nicht.

Wenn wir beim finsteren Gesellen mit dem blutigen Messer in der Hand bleiben wollen, so führe jede Verurteilung, die nicht vom Gericht ausgesprochen wird, zur Lynchjustiz. „Zwirnd na nauf!“ schreit die Volksseele, wenn sie den Täter mit dem blutigen Messer findet.

Es grenzt an verfassungsrechtliche Lynchjustiz, wenn jeder Bürger das Recht hätte, über eventuelle Verfassungsbrüche zu urteilen. Natürlich kann man darüber diskutieren. Aber wir müssen uns dagegen wehren, dass der Satz „Herr A, B oder C hat die Verfassung gebrochen“ zur wohlfeilen Münze der demokratischen Auseinandersetzung wird.

Damit verwildert man die politische Diskussion und legitimiert die Schreier in der politischen Arena, die auf derartiger Verwilderung ihr Süppchen kochen.

Wir leben in schwierigen Zeiten und gerade jetzt ist es ungemein wichtig, auf die Wortwahl zu achten.

Mit Erschrecken beobachten die mündigen Bürger wie Otto, Philippe und ich, was plötzlich verbal möglich geworden ist.

Um so mehr müssen wir, die mündigen Bürger, Otto, Philippe, ich und viele, viele andere darauf achten, den richtigen Ton zu finden, denn der macht die Musik.

 

 

Schimpfen in Franken. (Von Todschlägen, Flöhen, Schweinezähnen, Verreckern und nicht ausgebildeten Schlingeln)

Natürlich können Franken schimpfen wie alle anderen auch, aber ich empfinde das fränkische Gezeter immer erheblich freundlicher, weniger blasphemisch und erheblich versöhnlicher als das, was in Altbayern abgeht.

Flüche und Beschimpfungen, in denen das Wort „Sakrament“ vorkommt, habe ich überhaupt erst kennengelernt, als ich mit zehn Jahren Oberbayern ins Internat kam.

Das hat später noch eine Steigerung erfahren, als ich in Spanien Flüche lernte, die Spirituelles mit primären oder sekundären geschlechtlichen Merkmalen oder Neigungen koppelten.

Das geht in Franken alles weniger aggressiv zu, ja fast schon resignierend. Wenn einer „irrt“, den Straßenverkehr behindert oder wenn vom Nachbarbalkon zu laute Musik herüberschallt, dann beschimpft der Franke nicht etwa den Urheber dieser Ungemach, sondern kommentiert lediglich vor sich selbst oder seiner Umgebung dies:

„Leud gäbs zern derschlogn!“ Da dies in die Tat umgesetzt ganz offenbar wenig gemeinschaftsfördernd wäre, schiebt der Raunzer schnell noch nach. „Wemmer ner Zaid hädd!“

Es ist nicht wirklich böse gemeint, der Humor koaliert hier mit der Verzweiflung, weil man ja sowieso nichts dagegen unternehmen zu kann.

Als die bizzelböse Austragsbäuerin, der aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Schwiegertochter einmal so richtig die Meinung sagen wollte, keifte sie: „Nix hasda miedgabrachd, blos Läus und Flöh!“ Aber kann man das so stehen lassen? Muss man dem nicht durch Überhöhung ins Absurde die Schärfe nehmen? Deshalb murmelte sie, als der Widerhall der Beschimpfung verebbt war. „Und die warn grang!“

Auch das Wort „Sauzahn“ wird nicht nur dazu verwendet, einen Schuft, Betrüger oder Tunichtgut zu charakterisieren. In dem Begriff steckt eine gute Portion Bewunderung, weil der Sauzahn das tut, was man sich selbst nicht zu tun getraut: Er rebelliert gegen die gegebene Ordnung. Wie früher den Räuber in seiner Höhle umweht den „Dens Porcae“, so seine korrekte Einordnung in die biologische Systematik, ein Hauch von Romantik und Steppenwolf.

Ein weites Feld ist der „Fregger“ eine mundartliche Ableitung des Verreckers, eine unschöne Bezeichnung, in hochdeutschem Munde. In Franken allerdings gibt es diese Spezies im Diminutiv, und ein Freggerla ist meistens ein niedliches, rosiges Neugeborenes.

Sogar ein „elender Fregger“ hat nicht die Bedeutung, die es hätte, würde man so einen Mitmenschen in Hannover bezeichnen. Hier nähert sich der Miser mori miserabilis (s.o.) dem Dens Porcae. Auch einem elenden Fregger haftet etwas an, das ihn sympathisch wirken lässt, so dass man ihm eigentlich alles verzeiht. Ein seltenes etymologisches Beispiel dafür, dass eine pejorative Steigerung sich in ihr Gegenteil verkehren kann.

Anders verhält es sich, wenn dem Übeltäter „Fregger, elender“ nachgerufen wird. Da ist es doch ratsam, sich den Augen des Zürnenden zumindest bis zur Brotzeit am Abend zu entziehen.

Wenn der Schimpfende allerdings ungewollt das trifft, von dem der Beschimpfte im Tiefsten seines Inneren weiß oder wähnt, dass es wahr ist, dann wird es brenzlich.

Mein Bruder hat einmal die Beamten einer Polizeistreife „ungalernda Schbitzbuhm“ genannt. Sie fühlten sich ertappt, zeigten ihn wegen Beamtenbeleidigung an und er kam mit einem Strafbefehl davon.

Volksabstimmung in der Schweiz

Neulich saß ich mit einem sehr guten Freund zusammen und wir sprachen über den Katalonien Konflikt. Als Schweizerbürger hatte er sogleich eine Lösung an der Hand: „Wir würden wählen – aber alle.“

Es ist absolut bewundernswürdig, wie sehr die direkte Demokratie jedem Schweizerbürger selbstverständlich geworden ist. Niemand käme auf die Idee, dass bei einer Loslösung eines Teils nur dieser Teil abstimmt, es ist immer das Ganze. In Katalonien geht man mit demokratischen Scheuklappen davon aus, dass die Unabhängigkeit dieses spanischen Landesteils nur die Katalanen etwas anginge.

Wie gesagt, ich bewundere die Schweizer direkte Demokratie und hauptsächlich bewundere ich die gelebte Natürlichkeit, mit der die Schweizer damit umgehen.

Das hat allerdings seine Grenzen. Für mich war das Minarett Verbot (2009) eine erste Grenzüberschreitung. Es ist schon sehr fragwürdig, wenn in einem Land, in dem aus geschichtlichen Gründen die religiöse Toleranz sozusagen erfunden wurde, es einigen Menschen verboten wird, sichtbare Symbole ihrer Religion aufzustellen. Wie geht es dann mit der Gleichbehandlung konform, wenn ein Kruzifix am Wegesrand steht?

Und wie ist es juristisch-systematisch? Was hat das Verbot, ein Minarett zu errichten, in der Verfassung verloren? Das gehört – wenn schon – in die Bauordnung.

Das Problem der direkten Volksabstimmung ist, dass sich mit Hilfe populistischer Parolen die Vorstellung breit gemacht hat, alles sei durch einen Wahlgang einer Veränderung feil.

Das Wissen darüber, dass es in einem demokratischen Rechtsstaat unverhandelbare Grundpfeiler gibt, ich denke an Gewaltenteilung, Gleichbehandlung aller, Unabhängigkeit des Richteramtes, dieses Wissen scheint unter der Euphorie über alles und jedes abstimmen zu können, unterzugehen.

Heute lese ich in der Zeitung, in der Schweiz solle über einen Volksentscheid in der Verfassung festgeschrieben werden, dass Bauern, die Kühe mit Hörnern halten, eine Subvention bekommen. Was hat das in der Verfassung zu suchen? Es würde genügen, im Tierschutzgesetz festzuschreiben, dass das schmerzhafte Kappen der Hörner und das Veröden der Wundstellen verboten wird. Außerdem kann man Kuhhörner wegzüchten, wenn sie denn wirklich im Stall so sehr stören. Also ich jedenfalls halte es für ausgesprochen Blödsinn, zu behaupten, die Milch von Kühen mit Hörnern schmecke besser oder sei gar gesünder.

Die Verfassung ist ein zu hohes Gut, als dass man sie zum Popanz des Zeitgeistes verkommen lassen kann.

Ob es sich bei den Hornliebhabern um Spinner handelt, kann ich nicht beurteilen, der Verdacht drängt sich einem aber auf. Ich gebe aber zu, dass die Welt nicht untergeht, wenn in welcher Verfassung auch immer drinsteht, dass Kühe Hörner haben müssen. Aber wo führt das hin?

Irgendwann wird das Volk womöglich darüber abstimmen wollen, dass in der Schweizer Verfassung festgehalten wird, dass Streichhölzchen nur mehr blaue Zündköpfchen haben dürfen. Das Beispiel ist mit Absicht derart absurd gewählt, aber vor vierzig Jahren hätte sich auch noch keiner in der Schweiz träumen lassen, einmal über Minarette oder Hörner abstimmen zu sollen.

Vox populi, vox Rindvieh, also Vorsicht beim Umgang mit Volksabstimmungen.

Bürger

Gestern hat sich in einem offenen Brief an Söder und Aiwanger der „Kleinunternehmer“ Wolfgang Buck dagegen verwahrt, dass diese Herren den Begriff „bürgerlich“ für sich und ihre beiden Parteien vereinnahmen.

Übrigens der Kleinunternehmer ist der erfolgreichste, der beste Liedermacher und Sänger Frankens.

Es gibt wenige Worte in der deutschen Sprache, die durch die Jahrzehnte derartigen Wandlungen unterworfen waren, wie der Begriff des Bürgers.

Erfunden wurde der Begriff in Frankreich: „Le citoyen“ hier, „le sujet“ dort. Der freie selbstbestimmte Bürger als Gegenentwurf zum unterdrückten und fremdbestimmten Untertanen. Die französische Revolution von 1792 brachte den Begriff des „citoyen“ in alle Munde Europas.

Die damals am Drücker saßen, erschraken und versuchten den Begriff zu diskreditieren, die anderen kämpften dafür, Bürger werden zu können.

Gerade im deutschen Sprachraum wurde so getan, als sei alles Bürgerliche spießig, Bürger gleich Bourgeois. Es war denen, die den Staatsbürger unter allen Umständen verhindern wollten, klar, dass dieser nicht per se wächst, sondern nur in einem demokratischen, rechtsstaatlichen Umfeld gedeiht, und den fürchteten „die am Drücker“ wie der Teufel das Weihwasser.

Deshalb ist es so perfide, wenn ausgerechnet Söder und Aiwanger den Begriff des Bürgers usurpieren, denn es sind ja genau deren beide Parteien, denen heute noch das „Dimpfige“ anhängt, was man über lange Zeit dem Bürgertum überstülpen wollte.

Dreiviertelsprivatiers, stiernackerte Schützenkönige, bräsige Honoratioren, und zu Geld gekommene Bauunternehmer, dieses tümelnde Bild des Deutschen wurde als Bürger verunglimpft.

Meine Verwandtschaft konnte sich garnicht genug tun damit, davor zu warnen, bürgerlich zu heiraten. Ich habe es getan und warte seither vergebens auf die Strafe des Himmels.

Machen wir uns nichts vor: Es ist noch nicht allzu lange her, dass Deutsche begannen, sich als Bürger zu empfinden. Noch der Adenauerstaat war trotz des geltenden Grundgesetzes an sich ein Untertanenstaat.

Es war wohl die Spiegel Affäre zu Ostern 1962, die die Menschen aufgerüttelt hat und die sie für ihre Bürgerrechte auf die Straße gehen ließ. Eben deshalb, weil sie merkten, dass sie ohne funktionierenden Rechtsstaat niemals würden Bürger sein können.

Bürger zu sein, ist ein Privileg. Wer in autokratisch regierten Ländern lebt, wer entrechtet ist, wer hungert oder gefangen gehalten wird, weil er anders denkt, dem wohnt zwar qua Naturrecht der Keim des Bürgers inne, aber er kann dies Privileg nicht ausleben, weil es seine Lebensbedingungen nicht zulassen.

Das ist der Grund, weshalb es so wichtig ist, klarzumachen, dass Bürger nicht die Anhänger einzelner Parteien sind, sondern alle, die in einem demokratischen Rechtsstaat leben.

Das ist der Grund, weshalb es gilt, dieses universelle Recht, Bürger zu sein, zu verteidigen und vor dem Zugriff interessierter Kräfte zu beschützen.

Das ist der Grund, weshalb es mich freut, wenn sich aufrechte Bürger dagegen verwahren, dass ein vermeintlich „bürgerliches Lager“ die Deutungshoheit des Begriffs des Bürgers für sich beansprucht.

Was diese Parteien wirklich wollen ist der selbstzufriedene, dimpfige, gehorsame und lenkbare Wähler.

Danke, singender Kleinunternehmer!

 

Der lügt beim Beten!

Man sagt, nirgendwo werde mehr gelogen als vor Gericht und im Beichtstuhl. Früher gab es noch eine dritte Instanz: Nirgend wurde so viel gelogen wie beim Lastenausgleich. Für die Jüngeren: Das waren Zahlungen, die die Bundesrepublik den deutschen Flüchtlingen zukommen ließ, die in ihrer Heimat Eigentum verloren hatten. Es heißt, allein der schlesische Wald habe sich damals verdoppelt und niemand habe je geahnt, wie viele Furniereichen und andere Werthölzer dort gestanden hätten.

Als in Rentweinsdorf die Flurbereinigung durchgeführt wurde, gab es einen Schieberfahrer, also einer, der die Planierraupe bedient, der meinem Vater immer vorjammerte, wie viel Wald er im Riesengebirge verloren habe. Das Abfragen einiger forsttechnischer Minima brachte ans Licht des Tages, dass der Mann keine Ahnung hatte. Mein Vater erklärte mir damals, als wir wieder in seinem VW Käfer saßen, in Schlesien habe es garkeinen richtigen Wald gegeben, das wäre hauptsächlich „Pusch“ gewesen.

Ostelbische Großgrundbesitzer wurden zu Schieberfahrern, es gab noch in den Fünfziger Jahren interessante Berufsträger:

Als im Rentweinsdorf die Amis, dann die „displaced people“, so nannte man die durch die Kriegswirren verschleppten oder gestrandeten Menschen, und schließlich auch noch die Insassen des Altersheims ausgezogen waren, blieben Wanzen und anderes Ungeziefer zurück, das zwangläufig dort auftritt, wo viele Menschen eng und bei ungenügenden sanitären Verhältnissen zusammenleben müssen.

Kammerjäger wurden gerufen. Beim gemeinsamen Mittagessen stellte sich heraus, dass der Chef Oberst im Generalstab gewesen war und sein ihm untergebener Mitarbeiter Generalleutnant. Meine Mutter war durchaus angetan und meinte, sie habe gleich gemerkt, dass die sich zu benehmen wüssten. Mein Vater hielt sich zurück, denn, er sagte immer, es habe ihm gereicht, den Krieg einmal zu verlieren, das müsse nun verbal nicht noch einmal passieren. Außerdem nahm er ihnen die behaupteten Heldentaten nicht ab.

Ähnliches passierte, wenn Verwandte oder Freunde, die nach Argentinien oder „Deutsch Süd-West Afrika“ ausgewandert waren und nun auf „Heimaturlaub“ vorbeischauten.

Einer behauptete, er brauche drei Tage zu Pferde, um seinen Besitz zu umreiten. Der andere sagte ganz bescheiden, er wisse nicht, wie viele Schafe er besitze, aber die Wachhunde habe er neulich durchzählen lassen. Man sei auf knapp 3.000 gekommen.

Als Jahre später einer meiner Brüder nach Argentinien reiste, besuchte er den reichen Schafszüchter. Er fand ihn vor einem stattlichen Haus in der Pampa ohne Strom und fliessend Wasser. Die Schafe mögen 3.000 gewesen sein, die Wachhunde konnte man an den Fingern beider Händen abzählen.

Weniger angeberisch dafür aber unangenehmer empfand ich Besucher aus dem heutigen Namibia. Die redeten nicht nur wie die Nazis, das waren auch welche. Ich war empört und meine Mutter sagte: „Ist doch gut, wenn einer wirklich das sagt, was er denkt.“ Ich aber blickte in Abgründe.

Und dann kam einer, der sich geschickt in die frommen Zirkel in Franken eingeschleust hatte, um dort Wertpapiere des schillernden Amerikaners Bernie Cornfeld unter die Leute zu bringen. Dem Ami traute man nicht, denn der ließ sich im Hawaii Hemd mit mehreren leicht bekleideten Frauen fotografieren.

„Nicht mit einer von denen ist er verheiratet“, wähnte meine Mutter.

Aber der Mittelsmann war fromm, deshalb traute man ihm und kaufte die Papiere. Als sich herausstellte, dass diese nichts wert waren, sagte mein Vater resignierend:

„Der lügt beim Beten!“

Hochzeit, hohe Zeit, manchmal sogar höchste Zeit.

Als sich neulich ein verzweifelter Bräutigam der Einmischungen seiner Mutter mit dem Argument zu erwehren versuchte, dies sei immerhin seine Hochzeit, konterte Frau Mamá so: „Du irrst, das ist die Hochzeit meines Sohnes!“

Dieser Satz macht klar, wie hoch politisch und gleichermaßen sensibel der Tag der Verbindung zweier junger Menschen ist. Wenn man in den sozialen Medien Fotos von Hochzeiten studiert, wird deutlich, dass dieses Ereignis oft dazu verwendet wird, die Bedeutung, die Vornehmheit und das „savoir être“ der beteiligten Familien darzustellen. Wenn es nicht der familieneigene Palazzo ist, wird einer gemietet, zum Polterabend Smoking, zur Hochzeit mit nachfolgendem Empfang Cut und zur Braut Soirée Frack.

Dass auf den Erinnerungsfotos gelächelt wird, ist eigentlich verwunderlich, denn Hochzeiten pflegen weit um sich greifende Verärgerungen vorauszugehen.

Wer denkt, zur Hochzeit könne man einladen, irrt. Zur Hochzeit muss eingeladen werden. Seltsamerweise spielen da unverheiratete oder verwitwete, eher entfernt verwandte Tanten eine ungeahnte Rolle. Sie müssen eingeladen werden, weil der Schleier der Braut, das Diadem oder was auch immer aus ihrer Familie stammt, weil ihr weiland Bruder Patenonkel des Vaters des Bräutigams war, oder weil man sie beerben will. Der Möglichkeiten sind da keine Grenzen gesetzt.

Mit der Einladung dieser Damen ist es allerdings noch nicht getan, sie müssen beim Diner am Abend der Hochzeit auch noch von einem wichtigen männlichen Teil der Familien geführt werden, womit klar ist, dass für die etwas jüngeren Damen nur noch die zweite Wahl an Tischherren übrigbleibt. Weitere Fâchés sind vorprogrammiert.

An sich kann man ja schon froh sein, wenn die beiden „Gegenfamilien“ nach gehabtem Polterabend nicht beleidigt zur Kirche schreiten. Denn bei den Aufführungen werden die Brautleute gnadenlos durch den Kakao gezogen, was so mancher Frau Mamá durchaus nicht in den Kram passen muss. Lauterwerdendes Tuscheln der Brautmutter mit dem in der Kirche neben ihr sitzenden Vater des Bräutigams ist oft Ausdruck dieser Verstimmung, während zu Wagners Hochzeitsmarsch der Brautvater mit Tränen der Rührung in den Augen seine Tochter dem am Altar wartenden Jüngling zuführt, dem er am Abend zuvor in weinseliger Stimmung zugerufen hatte: „Du darfst mich jetzt Pappi nennen!“

In Franken nimmt man mit gewissem Recht an, die Bratwurst zum Empfang nach der Kirche heile alle Wunden. Allerdings nur dann, wenn die Braut von hier stammt, und die Familie des Bräutigams, die von auswärts kommt, gute Miene zum fleischigen Spiel macht. Vorhandene Verstimmungen können umgekehrt durchaus verstärkt werden, wenn in Schleswig Holstein, der Heimat der Braut, an sich ein Sektempfang mit Häppchen geplant war, der Bräutigam aber seine Freunde bat, aus Franken mitgebrachte „Brodwöschd“ auf den ebenfalls mitgebrachten Grill zu legen. Nicht nur weht dann ein nicht autochthoner Duft durch den alten Lindenbestand des von einem Linnéschüler angelegten Parks, die Meute ruft dann auch noch – horribile est dictu – nach Bier, weil Sekt zur Bratwurst nicht schmeckt.

Bis zum Ball am Abend (white tie) sind so manche Verärgerungen verflogen, es sei denn man muss die unerträgliche Tante Berta zu Tisch führen. Danach beginnt die Gesellschaft zu tanzen. Der weise Brautvater hat natürlich dafür gesorgt dass für die bereits erwähnten alten Damen an strategischem Ort bequeme Sitzgelegenheiten bereitgehalten werden, denn nun verwandeln sich die ungeliebten aber unvermeidbaren Ladies in das, was sie am besten können: Sie bilden den Drachenfels. Alle nehmen für sich in Anspruch, über einen untrüglichen Züchterblick zu verfügen. „Ex catedra“ wird somit entschieden, ob es für die Braut bereits höchste Zeit war.

„Und die Helene hat sich ja wieder so unvorteilhaft angezogen, kein Wunder, dass sie keinen Mann findet, das arme Kind.“ Nebenbei, das arme Kind ist in den Vierzigern und lehrt politische Wissenschaften an der Uni in Heidelberg, wo man sich erzählt, um ihr Liebesleben müsse man sich keine Sorgen machen.

Und das Brautpaar? Naja, das verschwindet irgendwann einmal in Richtung Flitterwochen, was niemand so richtig bemerkt, denn eigentlich sind sie bei dieser Manifestation der Eitelkeiten lediglich Mittel zum Zweck.

Dieselstinker

Im Juli 2010 habe ich in Spanien ein Auto gekauft, einen Peugeot 3008 Diesel E4. Es handelt sich dabei um eines der hässlichsten PKWs auf dem Markt, aber das Ding ist praktisch, sparsam, sicher und läuft und läuft und läuft. Ich hatte noch nie ein Auto, das mir so wenige Probleme gemacht hat wie dieser Peugeot. Er hat unterdessen 108.000 km auf dem Buckel .Reparaturen, die über das Auswechseln der Scheibenwischer hinausgingen, blieben bisher aus.

Diesel E4 war damals der letzte Schrei, noch dachte niemand an Software – Manipulationen oder ähnlich verstörendem Schnickschnack. Mein Auto ist ein ganz ehrlicher alter Diesel, der damals legal zugelassen wurde, und unterdessen mit Berliner Nummer immer noch legal auf den Straßen Europas herumkurvt.

Nun lese ich in der Zeitung, die Umweltministerin (SPD) wolle auch solche Dieselfahrzeuge, die ohne Manipulationen vor Jahren legal zugelassen worden sind, auf Kosten der Hersteller umrüsten.

Dass ich einmal einen CSU Verkehrsminister verteidigen würde, hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Aber wo bleibt das Recht, wenn ein Hersteller, dessen Produkt vot Jahren legal zugelassen wurde, heute zur Kasse gebeten wird, nur weil sich seit der legalen Zulassung die Gesetze geändert haben? Das würde doch bedeuten, dass alle Heizungen, Eisschränke und Spülmaschinen, die heute nicht mehr den unterdessen geltenden Umweltvorschriften entsprechen, auf Kosten der Hersteller nachgerüstet werden müssten.

Geht`s noch?

Jeder, der legal einen Konsumgegenstand erwirbt, hat Anspruch darauf, diesen solange gebrauchen zu dürfen, bis er nicht mehr hält. Es sei denn, ein Gesetz verbietet die ehemals legale Nutzung, was ein enteignungsähnlicher Eingriff wäre, und der Staat müsste Entschädigung zahlen.

Deshalb hat der Verkehrsminister (CSU) Recht, wenn er sagt, bei Dieselfahrzeugen, die ohne manipulierte Software hergestellt und zugelassen wurden, kann es keine vom Hersteller zu zahlende Nachrüstung geben.

Allerdings: Anreize zum Kauf eines neuen Autos, das kann es sehr wohl geben, da paaren sich Marketing und Umweltschutz zu einem guten Zweck.

Noch einmal: Wenn die Politik einen Hersteller dazu verdonnern will, dass er ein vor Jahren legal auf den Markt gebrachtes Produkt nun auf seine Kosten nachrüstet, nur weil ebendiese Politik unterdessen die Vorschriften geändert hat, dann muss die juristische Beratung unserer Regierung ihr zweites Staatsexamen bei Neckermann (macht’s möglich) erworben haben.

Ich oute mich hier als Dieselstinker, denn ich werde bis auf Weiteres mein legal erworbenes Auto nutzen. Natürlich sagt mir mein Gewissen, dass es besser wäre, einen E4 Diesel von der Straße zu nehmen. Es sträubt sich aber in mir und in meinem Geldbeutel alles dagegen, zu etwas gezwungen zu werden, nur weil ich vor acht Jahren ein Auto gekauft habe, das damals alle Normen und Vorschriften erfüllte und heute noch „pfenningguad“ ist.

Nun komme ich mir vor wie das ewige Mauerblümchen beim Kostümball: Ich warte auf Anreize!