Der Arbeitstag begann damit, dass aus der Werkstatt eine Lötlampe geholt wurde. Mit ihr erhitzte man vorn einen Glühkopf. Dann schraubte der Traktorfahrer das Lenkrad ab und befestigte es seitlich am Schwungrad. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass die Lötlampe ihre Arbeit verrichtet hatte, drehte er mehrmals kräftig am Lenkrad und dann machte es zum ersten Mal Blubb. Gleichzeitig stieg eine kleine schwarze Rauchwolke aus dem senkrechten Auspuffrohr, das wir Schlot nannten.
Nach dem ersten ersterbenden Blubb drehte der Traktorfahrer weiter kräftig über das Lenk- am Schwungrad und irgendwann bequemte sich der Motor mehrere aufeinanderfolgende Blubbs zu produzieren, wobei jeder von einer einzelnen schwarzen Wolke begleitet wurde.
Das Lenkrad kam wieder an seinen eigentlichen Platz. Der Motor lief nun den ganzen Tag, egal ob gepflügt wurde, Heuwagen zu transportieren waren, die Zuckerrüben an die Bahn gebracht werden mussten oder ob Mittagspause war.
Die meisten werden es erraten haben, wir sprechen hier vom Lanz Bulldog. Das war ein zunächst graues, später blau lackiertes Ungetüm, in erster Linie für den landwirtschaftlichen Gebrauch. Aber auch Zirkusunternehmer nutzten ihn, um damit ihre unzähligen Wagen,mit den Tieren, das Zelt und die Akrobaten durchs Land ziehen zu können. Der Zirkus-Lanz hatte ein festes Dach und – für einen Traktor ungewöhnlich – normale Straßenreifen.
Der Lanz Bulldog hatte nur einen Zylinder und deshalb produzierte er nicht ein dröhnendes Motorengeräusch, vielmehr war, natürlich besonders im Leerlauf oder wenn schwere Last zu ziehen war, jede Auf und Ab Bewegung des Kolbens einzeln zu hören.
Ein Bulldog war das Synonym für Traktor, egal, ob er von Hanomag, Schlüter, Porsche, Magirus-Deutz, MAN, Fahr, McCormick, Fendt, Kramer oder Güldner stammte. Der Lanz aber war natürlich die Mercedes Klasse.
Mähdrescher gab es damals noch nicht und wenn die Getreidegarben auf hochbeladenen Anhängern von einem Bulldog auf den Hof gezogen wurden, dann stand dort der andere und trieb mit einem Treibriemen über das Schwungrad die Dreschmaschine an. Die stammte auch von der Firma Lanz und bestand zum größten Teil aus rosa eingelassenem Holz: Verkleidung, Schüttelroste und die Ballenpresse waren daraus gemacht, nur das Gestänge war aus Metall gefertigt.
Gedroschen wurde in der Scheune. Es konnte ja jederzeit zu regnen beginnen. Während heute der Mähdrescher eine Staubwolke hinter sich lässt, standen die Frauen und Männer, die an der Dreschmaschine arbeiteten und das Getreide in Säcke füllten den ganzen Tag über im dichten Staub, der mit viel Bier, an besonders heißen Tagen mit noch mehr Limo weggespült wurde.
Die Firma Lanz war eine Institution, ohne sie war Landwirtschaft gar nicht denkbar. Als die Firma plötzlich von John Deere aufgekauft wurde, hielt ich das für ein Sakrileg, meine Liebe und Verehrung zu diesen wunderbaren Krachmachern wurde zu einem ersten Opfer der Globalisierung.
Später kamen dann Mähdrescher auf den Hof, zunächst kaufte man die selbst, Lohndrusch ist eine spätere Erfindung.
Ich erinnere mich an meinen Großvater in Thüngen, der ein leidenschaftlicher Landwirt war und der seine Not hatte, seine fünf Töchter unter den Hut zu bringen. Beim „Käffchen“ nach dem Mittagessen sinnierte er über mehrere Prätendenten nach und war besonders von einem sehr angetan. Mein Vater, zufällig zu Besuch, hielt dagegen, das sei ein widerlicher Kerl, unzuverlässig, Weiberheld und Säufer. Das sah der Großvater durchaus ein, ließ sich aber nicht von seiner Meinung abbringen.
„Er hat aber drei Mähdrescher“ argumentierte er, das hob alles andere auf.