Als 1803 mit dem Reichdeputationshauptschluss der Winzigstaaterei in Deutschland ein Ende gesetzt wurde, verloren auch die fränkischen Barone ihre Selbständigkeit ans Königreich Bayern.
Mit gewissem Recht misstraute man den neuen Landesherrn, denn nachdem ganze Museen, Kircheneinrichtungen und Bibliotheken nach München gekarrt worden waren, wusste man nicht, was als Nächstes dran sein würde. Man versuchte nun den Besitz der Familien zu retten oder besser gesagt, zu sichern. Man schuf Fideikommisse oder Kondominate. Miteigentümer am „Zeuch“ waren alle männlichen Namensträger.
Töchter wurden von frühester Kindheit darauf gebimmst, dass sie auf ihren Pflichtteil würden verzichten müssen. Zum Ausgleich bekamen sie Gemälde, Möbel und Teppiche als Mitgift in die Ehe. Das ist der Grund, weshalb man in den wenigsten der fränkischen Schlösser wertvolle Möbel oder andere erwähnenswerte Einrichtungsgegenstände findet.
Als ich in Lausanne meine erste Vorlesung in Gesellschaftsrecht hatte, begann der Professor mit diesem Worten: „Communio est mater rixarum“, die Gemeinschaft ist die Mutter des Streites.
Und so war es auch, die Familienmitglieder aller fränkischen adeligen Familien stritten sich andauernd und heftig. Der Familienmaioratsherr, der „das Zeuch“ verwaltete, wollte stets reinvestieren, die Mitherren, die als Oberste, Ministerialbeamte oder Nichtstuer in Berlin, Frankfurt oder München saßen, wollten lediglich am Ende des Wirtschaftsjahres Geld sehen und sahen nicht ums Verrecken ein, dass das Schloss, das ihnen allen zusammen gehörte, ab und zu „rausgaweisld“ werden musste.
Es war ein ständiger Kampf und der Verwalter, der Majoratsherr war um seinen Posten nun wirklich nicht zu beneiden.
Nachdem aus dem Betrieb immer nur entnommen wurde, immer alle nur über ihre Verhältnisse gelebt hatten, wurde in den 30er Jahren mein Großvater aus Rentweinsdorf an die Spitze der Betriebe der Familie gestellt. Der war in erster Linie Offizier und hatte nach dem ersten Weltkrieg Forstwirtschaft studiert. Seine Expertise in Landwirtschaft, Weinbau, Brauerei und Sägewerk war im Zweifel eher begrenzt. Darüber sah er mit einer beneidenswerten Nonchalance hinweg, denn das Einzige, was er wirklich tat, was sparen. Er zwang die Familienmitglieder, ihren Lebenstandard den Realitäten anzupassen, worauf die Betroffenen unfroh reagierten. Noch heute werden schaurige Geschichten, die im Zweifel womöglich sogar wahr sind, über seinen „Regierungsstil“ erzählt. Er hat den Familienbesitz gerettet, aber die Familien zu Tode gespart, ohne dass da wirklich jemand verhungert wäre.
Natürlich nagte der ständige Streit und der nicht enden wollende Ärger an seinen Nerven. Befragt, was er sich denn zu Weihnachten wünsche, sagte er ohne eine Sekunde der Überlegung: „Einen Weihnachtsbaum und an jedem Ast ein Mitherr.“
Einer seiner Brüder war Pfarrer in Berlin und konnte zu einer sehr wichtigen Familienratssitzung nicht persönlich erscheinen. Statt zu kommen telegrafierte er: „Sehe betend hinter Dir!“
Wütend warf der Empfänger das Telegramm auf den Schreibtisch und rief weithin hörbar: „Kämpfend neben mir, das ist dein Platz“.
Glücklicherweise wurden im Zuge der Bodenreform fast alle Fideikommisse aufgelöst. Seither ist ein unerwarteter, nie gekannter Friede in die Familien eingekehrt. Man redet wieder miteinander, lädt sich gegenseitig zu Jagden, Taufen, Abendessen und Hochzeiten ein.
Es ist eine Wonne, mitansehen zu können, wie leicht das Leben wird, wenn es von der Last gemeinsamen Eigentums befreit ist.