Während unserer Reise nach Paris in der vergangenen Woche erinnerte ich mich an ein denkwürdiges Erlebnis, das ich vor etwa 20 Jahren in der Stadt an der Seine hatte.
Es war Ostern, unsere Tochter behauptete, in Paris Französisch zu lernen, was lag näher, als wieder einmal dorthin zu reisen? Im Flieger saß „tout Palma“, der Enkel von Joan Miró, das halbe Anwaltskollegium, bekannte Hoteliers, aufmüpfige Journalisten und Immobilienmakler mit teuren Uhren am Handgelenk. Im Hotel frühstückte neben uns Felix Pons, der ehemalige Präsident des spanischen Parlaments.
Schon damals versuchten wir, in den Louvre zu kommen. Nach zwei Stunden Wartens vor der Kasse riss mir der Geduldsfaden und ich versicherte meiner Frau, die Mona Lisa sei klein, der in Stein gemeißelte Hintern einer vorgeschichtlichen Venus riesig. An mehr konnte ich mich nicht erinnern, zum letzten Mal hatte ich das Museum als trampender Rucksacktourist im Jahre 1967 besucht.
Wir flüchteten uns in das kleine Restaurant, das damals Victor, unser Verwandter, hinter dem Palais Royal betrieb. Der dachte, er könne uns mit Andouillette schrecken. Das ist eine an sich ungenießbare Kuddelwurst. Ich aber tat ihm den Gefallen nicht und verschlag das Ding mit Genuss. Wenn man gerne „callos a la madrileña“ isst, dann bedeutet eine Andouilette nur noch eine kleine Steigerung.
Es nahte der Ostersonntag und wir beschlossen, den Ostergottesdienst in der Kirche „Saint Germain des Prés“ zu besuchen.
Französische Kirchen sind ja nie sehr hell, zumal dann, wenn es draußen regnet. Die herumstehenden Stühle mit geflochtenem Sitz und Gebetserleichterungen standen im Durcheinander herum, es hatte an dem Tag ja schon mehrere Messen gegeben.
Ich fühle mich in französischen Kirchen sofort wohl. Bänke fehlen, und so bekommt das Hinsetzen auf diesen Stühlen etwas Beiläufiges, man kann bleiben, man kann aufstehen, man kann umhergehen.
An diesem Ostersonntag saßen wir allerdings, vor uns eine junge Dame mit Hut. Sie trug ein beiges Kostüm, passende Schuhe, Seidenstrümpfe mit Naht. Der Hut verdeckte das Gesicht fast zur Gänze und so bekam die elegante Erscheinung etwas Geheimnisvolles.
Sie folgte der Liturgie schweigend, hörte aber offenbar genau zu, als der Priester sagte, der Herr sei ja nicht gestorben und wieder auferstanden, damit wir das als Freibrief für weiteres Sündigen ansähen. Ich war von der Dame fasziniert, ich gebe zu, dass ich sie mehr beobachtete, als dass ich dem Gottesdienst folgte.
Dann rief der Priester zur Heiligen Kommunion. Meine Wallfahrt nach Medjugorie war noch nicht lange her und daher erinnerte ich mich an den Anpfiff meiner Schwester, weil ich dort als Lutherbock den Leib Christi unrechtmäßig aus rechtmäßiger Hand empfangen hätte. Wir blieben also auf unseren Plätzen.
So auch die enigmatische Eleganz vor uns. Plötzlich zog sie ein kleines Taschentuch aus ihrer Tasche und trocknete sich damit eine Träne ab, die langsam über ihre gepuderte Wange rann.
Dies zu beobachten, führte in meinem Kopf zu einem fertigen Drehbuch: Die Sünderin sucht Trost im Ostergottesdienst, nimmt sich vor, von der Sünde hinfort abzulassen, und, als sie zum Tisch des Herrn gerufen wird, merkt sie dass es die Umstände nicht zulassen, den Lebenswandel zu ändern. Sie fühlt sich der Gnade Gottes unwürdig, sie kann nicht zusagen, ihm nachzufolgen, ihr Stolz verbietet ihr die Lüge. Und all das in Paris!
Ich habe das Drehbuch beim Hinausgehen meiner Frau erzählt. Sie meinte nur, ich sei ein unverbesserlicher Romantiker. Wahrscheinlich hat sie Recht.