Es wäre unbillig, von jedem Bürger zu verlangen, er solle den Rechtsstaat verstehen. Ihn zu achten, muss von jedem Bürger gefordert werden.
Natürlich gibt es Bürger, die den Rechtsstaat weder verstehen noch achten wollen, man findet sie in der äußersten rechten und in der äußersten linken Ecke unserer Gesellschaft.
Dieser Umstand und dieses Wissen müssen uns alle insofern alarmieren, als damit klar wird, dass der Rechtsstaat potentiell immer in Gefahr ist.
Der Bürger kann sich allerdings wohlig zurücklehnen, denn es gibt ja den Verfassungsschutz. Naja, geben tut’s den schon, inwieweit er die Verfassung und damit den Rechtsstaat wirklich schützt, steht gerade nach dem NSU Prozess in Frage, naja, eigentlich stand das schon immer in Frage.
Dennoch, die Mehrzahl der Bürger in Deutschland sind sich darüber einig, dass sie in einem Land leben, in dem Recht und Gesetz nicht nur gelten, sondern auch umgesetzt werden.
Da freut sich jedermann, alles funktioniert. Ich darf sagen, was ich will, ich darf machen, was ich will, ich darf reisen, wohin ich will; der Rechtsstaat ist gut, solange er mich schützt und mir dient.
Die andern, die Asylanten zumal, die braucht der Rechtsstaat nicht so sehr zu schützen, ein bisserl Rechtsstaat ist für die immer noch mehr, als das, was ihnen zu Hause blüht.
Insofern macht die Häme bestürzt, mit der das absolute Staatsversagen überschüttet wird, nachdem ein möglicherweise gefährlicher Asylant nach Tunesien abgeschoben wurde, was sich a posteriori als unrechtmäßig herausgestellt hat.
„Dem geschieht es doch Recht, wenn er dort womöglich ein bisschen gefoltert wird, als Leiwächter von Bin Laden wird er auch nicht gerade zimperlich gewesen sein“, denkt beim kleinen Hellen der deutsche Michl.
Doch darum geht es gar nicht. Im Fall dieses abgeschobenen Mannes hat eine Behörde Unumkehrbares beschieden, bevor das befasste Gericht eine rechtskräftige Entscheidung in dieser Sache getroffen hatte. Es wird zu prüfen sein, ob diese rechtswidrige Entscheidung auf dem Mist eines Beamten gewachsen ist, ob der Behördenchef interveniert hat, oder aber, ob der Rechtsbruch von einem zuständigen oder nicht zuständigen Politiker angeordnet worden ist.
Die Beantwortung dieser Frage ist allerdings eine Nebensächlichkeit angesichts der Tatsache, dass in so heiklen Fragen wie Abschiebung offenbar – es geht ja nur um Ausländer – die Allgültigkeit rechtsstaatlicher Normen relativiert werden kann.
Ein Rechtsstaat zeichnet sich unter anderen dadurch aus, dass die Intensität der Anwendung von Recht und Gesetz immer gleich ist.
Es ist schon schlimm genug, dass allgemein die Ansicht herrscht, Menschen, die aus Diktaturen zu uns geflohen sind, nur so viele Rechte einzuräumen, wie Deutschen in deren Heimat eingeräumt werden würden, Stichwort, wir haben hunderte Moscheen im Land, aber in Saudi-Arabien gibt es keine christlichen Kirchen.
Dass dieses Ungleichgewicht ein unhaltbarer Zustand ist, ist unbestritten. Er zeigt aber nur, dass Deutschland ein Rechtsstaat ist, Saudi-Arabien aber nicht.
Rechtsstaatliche Prinzipien sind nicht reziprok anzuwenden und sie sind jedem Menschen gegenüber gleich anzuwenden.
Mag ein Asylant noch so gefährlich sein, noch so verabscheuungswürdige Meinungen vertreten, mag er ein Attentat planen, mag er Verbrechen begangen haben, er hat Anspruch darauf, so behandelt zu werden, wie es unsere Gesetze für die in Deutschland lebenden Menschen vorsehen.
Politische Opportunitätsgedanken sind da fehl am Platze. Das Primat der Politik gilt dann nicht, wenn es um das geht, was unsere Verfassung uns allen garantiert, da gilt das Primat der Verfassung.