Andouillette

Meine Eltern liebten es, mit dem Auto durch Südfrankreich zu fahren. Sie genossen das dortige savoir vivre, die Kunstdenkmäler, die Natur und die Zeit alleine ohne ihre fünf Kinder.

Immer wieder fuhren sie hin und kamen dann glücklich und erholt nach Franken zurück.

Nachdem unser Vater gestorben war, unternahm ich mit meiner Mutter eine Reise durch Südfrankreich, sie zeigte mir alte Klöster mit katalanischen Namen, die Ruinen der Burgen der Katharer, wunderbare romanische Kirchen und Kreuzgänge. Sie blühte auf, bekam vor Aufregung rote Bäckchen. Es schien als hüpfte sie durch die Gegend. Ausgerechnet vor einem Wegkreuz sagte sie, hier habe ihr mein Vater einen unanständigen Witz erzählt, und tat dann so, als bringe sie ihn nun nichtmehr zusammen.

Kurz, es war eine Freude, diese Reise auf den Spuren meiner Eltern.

Irgendwann in den 70er Jahren arbeiteten sich die beiden, Autobahnen meidend, in Richtung Heimat zurück. Sie fuhren von Lyon aus nordostwärts und wollten über den französischen Jura in die Schweiz reisen, wo zum letzten Mal Station gemacht werden sollte.

Zu Mittag kehrten sie, noch in Frankreich, in einer kleinen Stadt im einzigen Restaurant am Platze ein. Am Tresen scharten sich die Männer des Ortes, während einige Tische im Hintergrund die Grenze zwischen Bar und Restaurant markierten.

Es war dies eines der Restaurants, in denen damals die Speisekarte noch mit der Hand geschrieben wurde, was die Auswahl der Delikatessen durchaus nicht erleichtert hat. Ärzte und französische Köche haben eine Sauklaue.

Immerhin gelang es ihnen, zu entziffern, dass es „Andouillette“ gab. Darunter stand „spécialité du pays“.

Gut, dann soll es eben Andouilette sein. Der Wirt nahm die Bestellung auf und sagte auf dem Weg zur Küche etwas zu den Männern an der Bar. Die drehten sich daraufhin um und musterten die beiden Fremden. Dann wandten sie sich wieder ab.

Zwanzig Minuten später kam der Wirt wieder und servierte zwei unförmige, verdächtig duftende Würste. Die Männer an der Bar drehten sich erneut um, diesmal stand ein Grinsen in ihrem Gesicht.

Meine Mutter schnitt das unbekannte Wesen als erste an. Heißes Fett spritzte ihr auf die Bluse. Es wurde ziemlich schnell klar, dass Andouillette eine Kuddelwurst in des Wortes verwegenster Bedeutung ist. Die Männer am Tresen beobachteten weiter. Mit viel Rotwein spülten die Gäste das Ungenießbare hinunter, zahlten und verließen fluchtartig das Etablissement. Eine Blöße wollten sie sich vor den Einheimischen unter keinen Umständen geben. Immerhin schlugen einige der Tresenmänner meinem Vater anerkennend auf die Schulter.

Im nächsten Ort tranken die Eltern mehrere starke Kaffees und Mutter kaufte in der Apotheke eine Familienpackung Pfefferminzdragees.

Gleich nach der Schweizer Grenze logierten sie in einem kleinen Hotel. Nach gründlicher Dusche freuten sich die beiden auf ein ausgedehntes Abendessen im angeschlossenen Restaurant.

Mit Wonne lasen sie die mit Schreibmaschine geschriebene Karte: Salate, Steaks, Fisch, alles was das Herz begehrt.

Man gab eine opulente Bestellung auf und zum Schluss sagte Vater noch: „Dazu nehmen wir eine Flasche Rotwein aus der Gegend“.

„Mir sent alkohlofry“ kam als Antwort.

Noch nie habe er seine Frau derart sauer erlebt, berichtete er beim nach Hause kommen.

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