Irland morgen (An alle Abtreibungsgegner)

Meine Meinung zum Schwangerschaftsabbruch ist bekannt: Jeder demokratische Rechtsstaat muss den Frauen ein Instrumentarium in die Hand geben, mit dem sie in der Lage sind, zu entscheiden, ob sie ein Embryo austragen möchten oder nicht. Das ist eine ganz elementare Konsequenz aus Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

„Die Rechtsfähigkeit beginnt mit der Vollendung der Geburt“, sagt das Gesetz. Es ist daher illegitim davon zu sprechen, Abtreibung sei Mord. Jeder hat das Recht so zu denken, aber die gesetzliche Realität sagt etwas anderes.

Gestern habe ich mich in einem kurzen facebook Beitrag dafür ausgesprochen, dass morgen das irische Volk sich dafür entscheiden möge, eine eines Rechtsstaates würdige Abtreibungsregelung einzuführen.

Daraus leitete ein anderer facebook Teilnehmer die folgende Sentenz ab. Ich zitiere (excuse my french):

„Wir haben das Recht, täglich mehrfach mit jedem auf den wir Lust haben zu ficken um den demographischen Wandel in Ländern des Westens auszugleichen, ohne uns Sorgen machen zu müssen, dass der den Frauen gehörende Bauch ohne übermäßigen Cheeseburgerkonsum dicker wird…“

Der Autor behauptet von sich, er habe katholische Theologie studiert. Was er wohl dabei gelernt haben mag? Immerhin so viel, dass er am Ende seines Beitrages noch nachschiebt, meine Mutter hätte mich sicherlich abtreiben lassen, hätte sie denn die Gelegenheit zu einem Beratungsgespräch gehabt.

Bei aller Abstrusität und bei allem inneren Widerspruch des obigen Zitats will der Autor doch ganz deutlich klarmachen, die Befürworter einer klaren Regelung des Schwangerschaftsabbruchs, vertreten diese Meinung nur, um ihrer persönlichen Geilheit freien und konsequenzlosen Lauf lassen zu können.

Auf so etwas muss man erstmal kommen! Wer auf so was kommt, der wünscht sich eine solche Konsequenzlosigkeit für sich selbst herbei. Ficken à gogo! Die dabei ja auch noch beteiligten Frauen kommen in seinem Denken gar nicht vor. Das Ausmaß dessen, was an Erniedrigung der Frau in obigem Zitat steckt, ist nur schwer zu verorten.

Ich wiederhole erneut: In einer rechtsstaatlichen Demokratie hat jeder das Recht, gegen eine Abtreibungsregelung zu sein. Aber eine rechtsstaatliche Demokratie hat die Pflicht, eine menschenwürdige Handhabe zum Abbruch der Schwangerschaft bereitzuhalten. Wer den gestrigen Artikel auf Seite 3 der SZ gelesen hat, in dem beschrieben wird, wie das derzeitige irische Gesetz Mütter dazu zu zwingt, ein Kind, von dem man weiß, dass es tot zur Welt kommen wird, auszutragen, der weiß, welches unermessliche Leid das Nichtvorhandensein einer Möglichkeit zum legalen Abbruch einer Schwangerschaft nach sich zieht.

Die Diskussion über den legalen Schwangerschaftsabbruch ist wichtig und legitim, schon allen aus dem Grund, dass die Entscheidung nicht beliebig wird.

Wenn aber derartige Cheeseburger Ideen verbreitet werden, dann solltet Ihr, meine lieben und geachteten Abtreibungsgegner, in Euren Reihen für intellektuelle Ordnung und Würde sorgen.

Dresden 1975, 3

Am Karfreitag gingen wir in die Kreuzkirche, Matthäus Passion. Ich hatte Teile daraus im Tenor des Chors in Schondorf gesungen, ich kannte das Werk aber schon aus Kindheitstagen und das war kurios:

Unsere Großmutter hörte nur ein Mal im Jahr Radio und dann auch noch den kommunistischen Deutschlandsender. Das war am Karfreitag, um die Übertragung aus der Kreuzkirche zu hören. Umständlich wurde der Radioapparat ihrer Haushälterin in ihrem Wohnzimmer aufgebaut und dann ließ man die Aufzählung der DDR Würdenträger über sich ergehen, die dem Konzert die Ehre gaben. In Großmutters Salon begann dann immer eine Diskussion darüber, wie man als Kommunist christliche Musik anhören könne.

In der Kreuzkirche habe ich die Matthäus zum ersten Mal ganz und live gehört. Ich war begeistert. Das war ich eigentlich schon beim Eintreten so. Die Kirche war wiederaufgebaut worden. Außer einem Kreuz und dem Altar war der Raum vollkommen schmucklos, die Wände bedeckte grauer Rauhputz. Der ich die überbordende Freude aus Balthasar Neumanns Basilika der Vierzehnheiligen gewöhnt war, sah zum ersten Mal, dass Kirche auch ohne Bilder und Darstellungen geht: Du sollst dir kein Bildnis machen!

Dann aber begann der Kreuzchor. Wir saßen auf der rechten Empore und ich konnte nicht nur hören sondern auch sehen, was da passierte. Nie zuvor hat mich Musik so unmittelbar getroffen und betroffen wie an diesem Karfreitag in Dresden. Ich war vollkommen ein- und mitgenommen, merkte gar nicht, dass ich mitsang. Ein Knuff meiner Freundin holte mich in die Welt zurück.

Am Nachmittag ging ich allein in den großen Garten. Ich war es ja schon gewohnt, dass ich mit meinem grünen Lodenmantel drei Meilen gegen Schneesturm als Westler erkennbar war, dennoch erstaunte es mich, als sich zwei Steppkes von vielleicht 8 Jahren vor mir aufbauten: „Du kommst aus dem Westen“, stellten sie fest. Sie erzählten mir dann, wie schrecklich es dort sei, Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, Militarismus, Kapitalismus und überhaupt…

Schließlich fragten sie mich, was denn mein Vater so mache. Das indoktrinierte Gebrabbel der beiden Buben hatte mich ziemlich verstört und so holte ich zum Konterschlag aus: „Mein Vater ist Großgrundbesitzer und wohnt in einem Schloss:“

Die Kinnlade der beiden klappte runter und nachdem sie sich vom Schrecken erholt hatten und den offenbaren Märchenprinzen in mir erkannt hatten, fragten sie: „Hat dein Vater Gold?“ „Haufenweise“, log ich. Ich spüre noch heute das kindische Glück in mir, mich konterrevolutionär, revisionistisch und staatsgefährdend benommen zu haben.

Später fuhren wir mit dem Wartburg des Ingenieurs zum Blauen Wunder. Er erklärte mir die technische Meisterleistung des Brückenbaus. Immerhin habe ich so viel verstanden, dass die Brücke tatsächlich blau war.

Damals wurden die Autofahrer gezwungen, sich ins Rückfenster ein DDR Schild zu kleben. Der Missmut war allgemein, denn wozu brauchte man ein internationales Kennzeichen, wenn man nicht ins Ausland fahren durfte? Unser Ingenieur hatte sich den Aufkleber nur auf die Hutablage gelegt, wo er bei jeder Kurve hin und her rutschte. “Die DDR kommt ins Wanken!“ sagte er jedes Mal und freute sich.

Auf der Rückfahrt mit der Bahn sprach mich ein Mann mal wieder darauf an, dass ich wohl aus dem Westen käme. Er sei auch aus dem Westen, er sei in die DDR ausgewandert.

Ich traute meinen Ohren nicht, was ihn denn dazu bewogen habe, erwiderte ich. Erneut traute ich meinen Ohren nicht: „Ich bin homosexuell. Als man in der DDR den § 175 abgeschafft hat, bin ich rüber gegangen. Ich bin Druckergeselle, das kann ich hier genauso wie im Westen machen, Mir gefällt, dass der Staat in meinem Schlafzimmer nichts zu suchen hat.“

Es war der erste Mann, den ich erlebte, der offen zu seiner Homosexualität stand. In Plauen steig er aus, und als wir uns verabschiedeten, kniff er ein Auge zu und sage: „Trotzdem, grüß mir den Westen!“

 

Dresden 1975, 2

Wie eine zerstörte Stadt aussieht, wusste ich, Würzburg und Nürnberg waren beredte Beispiele. Dennoch war Dresden etwas vollkommen anderes, allein schon deshalb, weil 1975 eben noch nicht wieder fast alles aufgebaut war. Das Schloss lag in Schutt und Asche, der Bau der Semperoper war lediglich notdürftig gesichert und mitten in der Stadt lag ein schwarzer Trümmerhaufen, die Ruine der Frauenkirche. Der Zwinger war bereits wiederaufgebaut und in zahlreichen Museen bemerkte ich, dass Dresden eine der bedeutendsten Kunststädte Europas ist. Ich erinnere mich seltsamerweise nicht an die Sixtinische Madonna. Ersten und bisher bleibenden Eindruck haben die Bilder der Maler des 20. Jahrhunderts hinterlassen. Sie wurden wohl in den „Brühlschen Herrlichkeiten“ ausgestellt. Von Schmidt Rottluff hatte ich vorher weder etwas gehört, noch gesehen.

Ebenso wie einige Gemälde von Kirchner stehen seine Werke mir noch vor dem geistigen Auge. Ich glaube, auch einige Bilder von Lyonel Feininger waren zu sehen. Der damalige Museumsbesuch hat mir das Auge für die Malerei des 20.Jahrhunderts geöffnet. Ich nehme an, bei diesem Kunsterlebnis war meine Freundin nicht ganz unschuldig. Sie war schon oft in Dresden gewesen, kannte sich aus. Da kommt beim Händchenhalten schon Einiges rüber.

Weiter ging es in die Zitronenpresse, heute Hochschule für bildende Künste. Damals waren dort Teile der Schätze des Grünen Gewölbes ausgestellt. Der „Hofstaat zu Dehli am Geburtstag des Großmoguls Aureng Zeb“ war natürlich am lustigsten und am beeindruckendsten. Man muss sich das mal vorstellen: Da wurde aus Silber, Gold und edlen Seinen en miniature ein orientalischer Hofstaat dargestellt, wie man sich den halt damals so vorstellte. Dort gewesen war keiner. Ein tieferer Sinn ist aus dem Kunstwerk nicht abzuleiten, zumal es dem einfachen Volk unter August dem Starken nicht vorgeführt wurde. Auf etwa 60 mal 40 cm wird da „just for fun“ für einen Haufen Geld etwas dargestellt, was auf mich den Eindruck „Puppenstube für Reiche“ machte.

Man merkt noch heute, wie sehr ich damals mit mir rang: Ist das wunderschön, oder ist das Verschwendung öffentlicher Gelder?

Abends gingen wir in ein Konzert. Im Kulturpalast spielte ein sowjetisches Orchester. In München verabscheuten wir Studenten das etablierte Publikum, das sich in der Oper oder im Herkulessaal schick angezogen zeigte. Man hatte es zu was gebracht. Wir Studenten gingen ostentativ im Pullover dorthin. So tat ich auch in Dresden, denn ich wollte mich ja einreihen in die Masse der Werktätigen eines sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaates. Scheel angesehen wurde ich. Eine mit der Familie befreundete Studentin machte mir Vorhaltungen, ich ließe den Respekt vor den Genossen vermissen, die an diesem Tage vom Kollektiv für hervorragende Leistungen mit dem Besuch eines Konzerts belohnt würden. Mir fiel nur die grenzenlose Spießigkeit der ganzen Veranstaltung auf. Wenn man zu Hause als linker Fregger verschrien ist, dann ist das Aufklatschen auf der damaligen sozialistischen Wirklichkeit nur mit einer Landung auf dem Bauch vom Zehnmeterturm zu vergleichen.

Bei Wein, diesmal aus Bulgarien, klang der Abend in Großmutters Wohnung aus. Offenbar war die halbe Staatskapelle erschienen, man war neugierig auf den Westbesuch. Ich wappnete mich innerlich für einen politischen Disput. Davon kam aber nichts. Einer, der das Fagott spielte, fragte ob er mal mit dem tollen hellblauen Peugeot fahren dürfe. Der andere schimpfte auf die lausige Qualität der Dachrinnen, die nur aus Plaste erhältlich seien. Die mit dem Auto da waren, hatten alle die Scheibenwischer in die Manteltasche gesteckt. Der erste Cellist erzählte uns beredt, wie er darunter leide, bei Auslandtourneen in Hotels untergebracht zu sein, wo im Aufenthaltsraum ein Kaminfeuer lustig flackert: „Ihr gönnd euch nich vorstelln, wie oft ich mein blaun Bass da schon hab rinnwerfn wolln“.

 

 

 

 

Dresden 1975

Meine damalige Freundin und deren Mutter wollten zu Ostern die Großmutter in Dresden besuchen. Ob ich mitkommen wolle?

Was für eine Frage!

Ich fuhr mit dem Zug. Am Bahnhof in Karl Marx Stadt sah ich am Weichenstellerhäuschen, etwas verblasst den Schriftzug „Chemnitz“. Sehr viel später hat mir dieses Erlebnis geholfen, eine Flasche Sekt zu gewinnen, weil ich voraussagte, nach der Wende werde es kein halbes Jahr dauern, bis Chemnitz wieder Chemnitz heißen würde.

Am Dresdner Hauptbahnhof wurde ich empfangen. Das war damals ein rußgeschwärzter, stinkender Laden, durch den die Massen hasteten. Sie sahen alle grau aus. Nicht im Gesicht, vielmehr trugen alle in der Helligkeit unterschiedliche aber dennoch graue Mäntel oder Anoraks. Ich hatte gedacht, mit dem alten, grünen Lodenmantel meines Großvaters würde ich nicht auffallen, das Gegenteil war richtig.

Mutter und Tochter waren mit dem neuen, hellblauen Peugeot angereist. Der stand nun vor dem Bahnhof und war Objekt der Neugierde. Als wir einstiegen, raunte das Proletariat. Vor einem Haus aus der Zeit, als Sachsen noch einen König hatte, hielten wir. „Du hast die Scheibenwischer schon wieder vergessen“, giftete meine Freundin. Sie waren schon seit zwei Tagen da und hatten gelernt, alles vom Auto abzunehmen, was nicht fest daran angeschraubt war.

Im Zweiten Stock wohnte die Großmutter. Ich wurde in einer Wohnung von Freunden im ersten Stock untergebracht. Der Sohn war in den Semesterferien zu einem Subbotnik an der Drushba Pipeline gerufen worden. Subbotnik wird ein freiwilliger Arbeitseinsatz genannt, Drushba bedeutet Freundschaft, lernte ich.

Im Schrank des Studenten hing sein blaues FdJ Hemd am Bügel. Auf einem Bord über dem Bett sammelte er Souvenirs. Unter anderem standen dort mehrere Schachteln, in denen einmal Fertigkuchenzutaten verpackt waren. „Aurora mit dem Sonnenstern“ stand darauf. Leere Pappschachteln aus dem Westen! Ich traute meinen Augen nicht.

Großmutter war Witwe. Sie war mit dem ersten Bratschisten der Staatskapelle verheiratet gewesen. Gleich am erste Abend warnte sie mich:

„Heiraten Sie nie in Künstlerkreise. Künstler glauben von sich, nicht mit normalen Maßen gemessen werden zu können. Sie sind außergewöhnlich, leisten Außergewöhnliches, und denken deshalb, sich außergewöhnlich benehmen zu können. Und wenn es ein Musiker oder Schauspieler ist, dann ist es oberstes Gebot, sie oder ihn nie am Bühneneingang abzuholen. Dort warten die Verehrerinnen und Verehrer. Mich hat er damals gar nicht gesehen, er stürmte gleich auf dieses ordinäre Weib zu!“

Es gab Weißwein von der Unstrut. Vor wenigen Tagen hätte ich noch gedacht, Unstrut bezeichne eine Magenverstimmung. Wir hatten ja keine Ahnung von der DDR. Zu Besuch war ein befreundetes Ehepaar. Sie spielte in der Staatskapelle Querflöte, er war Ingenieur und half bei der Elektrifizierung des Landes.

„Im Westen wäre ich Millionär, hier fahre ich immerhin einen Wartburg“. Er erklärte mir, dass beim Aufstellen der Überlandmasten und beim Aufhängen der Kabel das Problem der riesige Zug sei, der auf den Seilwinden laste. Er habe eine Methode gefunden, bei der Zug durch Duck ersetzt werde: „Man muss das Kabel nur ein paar Mal um eine Stahltrommel winden, dann ist der Zug weg“. Ich verstand Bahnhof, nickte aber verständnisvoll, besonders als der Ingenieur erzählte, dass nun sein Kombinat diese seine Erfindung gegen Devisen an den Westen verkaufe.

 

 

 

 

Das Kreuz mit dem Kreuz

Natürlich freue ich mich über jedes Flurkreuz am Wegesrand. Manche erinnern an alte Fehden und mussten nach Kämpfen, die mit Toten endeten, von den Überlebenden errichtet werden. Manche sind „nur“ Ausdruck der Frömmigkeit des Stifters.

Natürlich freue ich mich über Kreuze auf Kirchturmspitzen, wunderschöne Darstellungen des Gekreuzigten in Kirchen und Museen, und natürlich freue ich mich über Gipfelkreuze, allein schon deshalb, weil sie mir anzeigen, dass ich endlich oben angekommen bin, und hoffentlich eine zünftige Wirtschaft in der Nähe ihre gastliche Türe für mich offenhält.

Es ist gar nicht zu bestreiten, dass Kreuze und Kruzifixe zu uns, zu unserer Geschichte, zu unserer Kultur und zu unserer Landschaft gehören. Damit aber endet schon das kollektive „uns“. Denn es gibt ihn nicht mehr, „unseren“ Glauben.

Als die Mehrheit der genannten Kreuzesdarstellungen entstanden, war der Glaube noch etwas, das von der Obrigkeit verordnet wurde, „cuius regio, eius religio“, der Landesherr bestimmte, was das Volk zu glauben hatte.

Das ist glücklicherweise vorbei. Dessen logische und demokratische Folge ist, dass religiöse Überzeugungen Privatsache geworden sind. Der Staat hat nicht mitzureden.

Die Franzosen sind da bis zur Schmerzgrenze konsequent, dort verbietet man in der Weihnachtszeit sogar Krippen in den Rathäusern. In Südamerika gibt es Länder, da darf der Priester mit seiner Soutane nicht auf die Straße, weil in der Öffentlichkeit Manifestationen des eigenen Glaubens nicht nur unerwünscht sind, sondern zum Teil auch verboten.

So weit geht es in Mitteleuropa nicht. Hier können Wallfahrer durchs Land ziehen, sie können laut beten und die Posaunen können ertönen, dass es nur so eine Freude ist.

Nur, eine Wallfahrt ist genehmigungspflichtig wie jede andere Demo auch. Die Religionsausübung in der Öffentlichkeit untersteht dem „ordre public“ ebenso wie Fußball, Marathon oder die Versammlungen am 1. Mai.

So weit so gut und auch so gut eingespielt.

Nun hat der neue bayerische Ministerpräsident angeordnet, dass im Eingangsbereich jeden dem Freistaat gehörenden Gebäudes ein Kreuz hängen muss. Er begründet dies damit, das Kreuz gehöre zur bayerischen Kultur.

Damit erniedrigt er den Glauben der Mehrheit seiner Landsleute zur Folklore. Er setzt Glauben gleich mit Schuhplatteln, Oktoberfest und Gamsbart.

Ich finde das empörend. Als Franke finde ich es sogar zweimal empörend:

Erstes möchte ich meinen Glauben nicht einer allgemeinen Kultur gleichgestellt sehen, zum andern ärgert es mich, wenn immer so getan wird, als ob das „Krachlederne“ auch nördlich der Donau gelte. Es empört, wenn ein evangelischer Franke sich derart dem Münchner Mainstream anbiedert.

Ich will gar nicht davon reden, dass Staat und Kirche getrennt sind. Das sind Selbstverständlichkeiten.

Mich empört es, wie wieder einmal die Religion dazu benützt wird, ein politisches Süppchen zu kochen.

Wie so oft befinde ich mich mit meiner Meinung in der Minderheit. Wenn es allerdings die bayerische Bevölkerung billigend hinnimmt, dass ihr Glaube mit allgemeiner Kultur gleichgesetzt wird, dann könnte man auf den Gedanken kommen, dass dieser Glaube vielleicht doch nur noch Folklore ist.