Der schiere Unanstand

Unser Vater behauptete immer, dass eine Geschichte, wenn sie nicht unanständig sei, langweile.

Nun ist das, was die Generation unserer Väter für unanständig hielt, von dem was heute als „dirty jokes“ oder „chistes verdes“ im Umlauf ist, weiter entfernt als Königsberg von Köln.

Wenn die Autofahrerei zu lange wurde, sangen wir mit Vater:

„Leicht und sicher springt der Floh ohne Sprungbrett über den Popo-o.“

Wir kringelten uns vor Vergnügen.

Später, das war dann schon intellektuell anspruchsvoller, dichteten wir mit ihm Verse, die nur eine Bedingung hatten: Das Wort Scheiße musste darin vorkommen.

Unübertroffen diese beiden:

„Wer Scheiße auf den Dachfirst klebt, beweist, dass er nach Höh‘rem strebt“

und

„Scheiße in der Lampenschale verbreitet trübes Licht im Saale.“

Unschwer erkennt man, dass solcherart eine Fahrt nach München im Fluge verging, der Beweglichkeit des Hirnkastens diente und natürlich das Höchstmögliche an Unanstand herausgeholt wurde.

Witze oder Geschichten, die das Geschlechtliche auch nur streiften, waren tabu. Wahrscheinlich denken deshalb fast alle unsere europäischen Nachbarn, die Deutschen hätten keinen Humor. Wenn man sich in Heathrow die Schuhe putzen lässt, fallen einem schier die Ohren ab, seil der „shoe shine man“ nur Limericks vorträgt, die unter Kennern ja nur dann gut als gut gelten, wenn sie alles was gute Erziehung bedeutet, hinter sich gelassen haben.

Kurzum, man war prüde. Meinem Bruder passierte es noch, dass der Hausherr die Töchter aus dem Zimmer schickte, um ihm einen unanständigen Witz zu erzählen. Ein Nachttopf kam darin vor.

Als mein Großvater, das 20. Jahrhundert war noch neu, in der Neumark als Bräutigam bei den zukünftigen Schwiegereltern Besuch machte, wurde beim Mittagessen darüber gesprochen, dass ein entfernter Onkel von einer Asienreise gesund zurückgekommen sei, obwohl er mit dem Schiff einen Tornado habe durchfahren müssen.

Der Bräutigam stutzte und überlegte dann laut. „Tornado, Tornado, wo habe ich heute schon das Wort Tornado gelesen?“

Der Hausherr versuchte durch Jagdgeschichten ein neues Thema anzuschneiden, aber der Bräutigam insistierte. Es lässt mir keine Ruhe, Tornado, Irgendwo habe ich heute schon einmal das Wort „Tornado“ gelesen. Friederike, die jüngste Tochter, kicherte und wurde des Raumes verwiesen. Die Braut, als solche durfte sie neben ihm sitzen, knuffte unter dem Tisch, worauf der Bräutigam rief: „Clara, was knuffst du mich unter dem Tisch?“

Nun wusste der Hausherr keinen weiteren Rat mehr. Er bat seinen Ältesten: „Franz-Just, nimm doch bitte mal den Siegfried vor die Tür.“

Dort klärte der zukünftige Schwager den Bräutigam auf, dass das Wort „Tornado“ in blauer Schrift in den erst kürzlich von der Firma Villeroy & Boch gelieferten Wasserklosetts zu lesen sei.

Leider gibt es das Modell nicht mehr.

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