Vietnam

Es gab wohl kein Ereignis, das mein Leben so nachhaltig beeinflusst hat, wie der Vietnamkrieg.

In meiner Jugend war Krieg etwas Normales. Alle Erwachsenen Männer, die ich kannte, waren im Krieg gewesen, manche sogar zwei Mal. In der Bibliothek standen bebilderte Bände, die das Tun im ersten Weltkrieg in allen Farben der Glorie beschrieben.

Natürlich wurde da auch gestorben und natürlich kam da so mancher Soldat verstümmelt nach Hause. Was im Gedächtnis blieb, war der Eindruck, dass Krieg den Mann zum Manne macht, da gibt es Orden und Beförderungen und darüber hinaus dient man dem Vaterland, was per se gut und nicht diskutierfähig ist.

Die Uniformen meines Vaters und meines Großvaters hingen im Kleiderschrank, rochen nach Mottenpulver und erheischten Ehrfurcht.

Als die USA in den Konflikt in Vietnam eingriffen, herrschte noch die Domino Theorie, wonach die Länder des westlichen Werte- und Kräftebündnisses wie Dominosteine nach und nach dem Sowjet in die Hände fallen würden, wenn wir diesem Dämon nicht konsequent und weltweit Paroli bieten würden.

Nach meiner militaristischen Erziehung und dem zuvor gesagten, war das Engagement der USA in Vietnam per se gut und nicht diskutierfähig.

Doch dann sahen wir im Fernsehen, wie Napalmbomben auf Zivilisten geworfen wurden, wie Kinder verbrannten und Wälder entlaubt wurden. Wir sahen den Krieg vor laufender Kamera und plötzlich wurde das Miserable des Krieges deutlich. Da war nichts Heroisches und da war auch nichts Gerechtes. Ein Polizeioffizier, der die Pistole einem Gefesselten an den Kopf hält, widersprach all dem, was ich vom Krieg gelernt hatte.

Und es war noch etwas: Die Amerikaner waren unsere Schutzmacht, von der wir hofften, sie sei stärker als die Sowjetunion. Die Amis waren die Guten.

Doch dort in der Ferne, ganz weit weg, gerierten sich diese Amis als grausame, menschenfeindliche Kobolde, die mit wechselnden korrupten Diktatoren gegen Menschen kämpften, die derart wenig bewaffnet waren, dass sie sich damit behelfen mussten, dem Feind Fallen zu bauen, in die er trat oder fiel.

Waren die Amis doch nicht die Guten? Das fragten sich auch die Amerikaner selbst, die ihrem Präsidenten Johnson zuriefen „LBJ, how many kids did you kill today?“

Die zwangsläufige Folge dessen, was wir da täglich sehen konnten, war die, dass es möglich wurde, eherne Wahrheiten zu hinterfragen und es wurde damit auch möglich, Autoritäten zu hinterfragen.

Das tat meine Generation mit Vehemenz. Familien zerbrachen dabei, Mütter weinten und Väter sahen sich in ihrer Rolle als geistig moralischer Haushaltsvorstand der Lächerlichkeit ausgesetzt.

Ich war nicht sehr vehement, ich bin auch nie bei einer Demo mitgelaufen. Ho-Ho-Ho-Chi-Minh war nicht Meins.

Ich habe nur gemerkt, dass ich da nicht mitmachen will. Die Vorstellung als Jurist in Deutschland mein Brot verdienen zu müssen, hat bei mir zu regelmäßigen Albträumen geführt.

Andere haben gehandelt und es erreicht, dass die Bundesrepublik nach dem Ende des Vietnamkrieges eine andere Republik geworden ist.

Ich bin ausgebüxt und nach Ibiza gezogen. Das war im Lichte dessen gesehen, was wir aus dem Vietnam Krieg gelernt haben, inkonsequent. Meine Freunde haben mir das noch lange vorgeworfen.

Für mich war es der Beginn eines endlich selbstbestimmten Lebens. Es war inkonsequent und richtig zugleich. Ich bin ein Profiteur der Auswirkungen des Vietnam Krieges.

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