Als über dem Hradschin noch die rote Fahne wehte, war man in der ČSSR natürlich besonders solidarisch mit allen afrikanischen Staaten, die auch nur annähernd eine linksgerichtete Regierung hatten. Man lieferte nicht nur Kabel und Kraftwerke sondern auch Kultur. Nach einer Konzerttournee durch mehrere afrikanische Staaten brachte das Tschechische Philharmonische Orchester nicht nur viele Eindrücke, sondern auch einen Geiger mit. Nennen wir ihn Mbene Awolowo.
Er sollte zum Spitzenviolinisten ausgebildet werden, er war der Stolz seines Vaterlandes. Es wurde sogar extra ein Vertrag abgeschlossen, in dem sich die ČSSR verpflichtete, Herrn Awolowo in die Geiger-Meisterklasse an der Musikhochschule in Prag aufzunehmen. Darüber hinaus sollte am Ende der zweijährigen Lehrzeit eine Langspielplatte aufgenommen werden, auf der Mbene Awolowo als Solist mit dem Tschechischen Philharmonischen Orchester zu hören wäre.
Mbene war bald die Sensation des Nachtlebens von Prag. Afrikaner sah man damals dort eher selten. Er konnte sich über den Zuspruch der Damenwelt nicht beklagen. In den Kneipen spendierte man ihm oft ein, zwei Bier, weil er halt so schön aus der fernen Welt erzählen konnte.
Die morgendlichen Aufenthalte an der Musikhochschule waren allerdings eher problematisch, weil Nachtleben und so. Aber nicht nur das: Im Lichte einer Meisterklasse betrachtet, war das Talent des Staatsgastes Mbene Awolowo eben doch etwas weniger scheinend, als es die Kulturfunktionäre seines Heimatlandes geschildert hatten. Vor Ort hatte man ihn nicht auf die Probe stellen können, damit hätte man womöglich die Kulturfunktionäre vor den Kopf gestoßen.
Aber Vertrag ist Vertrag. Die sozialistischen Staaten wurden stets von westlichen Konzernherren gelobt, sie seien zwar schwierige Verhandlungspartner, aber sie hielten dann die Verträge. So auch auf dem Musiksektor. Mbene wurde in der Meisterklasse mitgezogen, manchmal durfte er umblättern, manchmal erbarmte sich ein Lehrer und übte mit ihm eine Etüde ein.
Mbene war nicht wirklich unbegabt. Wenn er in den Studentenkneipen auf die Bühne sprang und mitspielte, tobte der Saal. Er spielte eigentlich jedes Instrument, aber halt nicht auf Meisterklasseniveau.
Als sich das zweite Jahr seinem Ende zuneigte, erinnerte man sich der Verpflichtung, eine LP mit ihm einzuspielen. Man holte Haydns Esterhazy Partituren heraus und versuchte, den Cellopart auf Violine neu zu arrangieren. Es misslang. Man befragte in höchster Not den Musikhistoriker an der Hochschule und der riet zu Oskar Riedings Violinkonzert in h-moll, op. 35. Das Konzert ist in erster Linie wegen seines leicht zu spielenden Soloparts bekannt geworden.
Am Tag der Aufnahme arbeitete das Tschechische Philharmonische Orchester wie immer sauber, fehlerfrei und engagiert. Letzteres galt auch für den Solisten, aber bei den schnellen Notenläufen haperte es. Was tun?
Jemand schlug vor, der erste Geiger solle all das spielen, was Mbene nicht so ganz schaffte. Der aber, so entgegnete der Direktor der Musikhochschule, könnte deshalb beleidigt sein und den Schmuh zu Hause ausplappern. Die Leitung der Prager Musikhochschule sah sich schon kollektiv in Sibirien.
Da meldete sich der Tonmeister: Man solle Herrn Awolowo unter irgendeinem technischen Vorwand, bitten, vor dem Tonmeister mehrmals alle möglichen Tonleitern zu spielen. Das geschah auch.
Der brave Tonmeister schnitt später aus der Gesamtaufnahme all die Stellen heraus, an denen Mbene gepatzt hatte. An ihrer statt setzte er ein aus Tonschnipseln zusammengesetztes Surrogat. Alle Welt war zufrieden.
Mit der LP unter dem Arm trat Mbene Awolowo die Heimreise an. Die Platte verkaufte sich wie warme Semmeln. Musikkenner fragen sich noch heute, wie es dem Solisten gelang, die einzelnen Töne in den Läufen so akkurat voneinander zu trennen.
(se non è vero, è ben trovato. Mir hat die Geschichte Jaroslaw Opela, der spätere Dirigent der Wilden Gungl in München, in den 70er Jahren erzählt)