Es geschah zu Prag

Als über dem Hradschin noch die rote Fahne wehte, war man in der ČSSR natürlich besonders solidarisch mit allen afrikanischen Staaten, die auch nur annähernd eine linksgerichtete Regierung hatten. Man lieferte nicht nur Kabel und Kraftwerke sondern auch Kultur. Nach einer Konzerttournee durch mehrere afrikanische Staaten brachte das Tschechische Philharmonische Orchester nicht nur viele Eindrücke, sondern auch einen Geiger mit. Nennen wir ihn Mbene Awolowo.

Er sollte zum Spitzenviolinisten ausgebildet werden, er war der Stolz seines Vaterlandes. Es wurde sogar extra ein Vertrag abgeschlossen, in dem sich die ČSSR verpflichtete, Herrn Awolowo in die Geiger-Meisterklasse an der Musikhochschule in Prag aufzunehmen. Darüber hinaus sollte am Ende der zweijährigen Lehrzeit eine Langspielplatte aufgenommen werden, auf der Mbene Awolowo als Solist mit dem Tschechischen Philharmonischen Orchester zu hören wäre.

Mbene war bald die Sensation des Nachtlebens von Prag. Afrikaner sah man damals dort eher selten. Er konnte sich über den Zuspruch der Damenwelt nicht beklagen. In den Kneipen spendierte man ihm oft ein, zwei Bier, weil er halt so schön aus der fernen Welt erzählen konnte.

Die morgendlichen Aufenthalte an der Musikhochschule waren allerdings eher problematisch, weil Nachtleben und so. Aber nicht nur das: Im Lichte einer Meisterklasse betrachtet, war das Talent des Staatsgastes Mbene Awolowo eben doch etwas weniger scheinend, als es die Kulturfunktionäre seines Heimatlandes geschildert hatten. Vor Ort hatte man ihn nicht auf die Probe stellen können, damit hätte man womöglich die Kulturfunktionäre vor den Kopf gestoßen.

Aber Vertrag ist Vertrag. Die sozialistischen Staaten wurden stets von westlichen Konzernherren gelobt, sie seien zwar schwierige Verhandlungspartner, aber sie hielten dann die Verträge. So auch auf dem Musiksektor. Mbene wurde in der Meisterklasse mitgezogen, manchmal durfte er umblättern, manchmal erbarmte sich ein Lehrer und übte mit ihm eine Etüde ein.

Mbene war nicht wirklich unbegabt. Wenn er in den Studentenkneipen auf die Bühne sprang und mitspielte, tobte der Saal. Er spielte eigentlich jedes Instrument, aber halt nicht auf Meisterklasseniveau.

Als sich das zweite Jahr seinem Ende zuneigte, erinnerte man sich der Verpflichtung, eine LP mit ihm einzuspielen. Man holte Haydns Esterhazy Partituren heraus und versuchte, den Cellopart auf Violine neu zu arrangieren. Es misslang. Man befragte in höchster Not den Musikhistoriker an der Hochschule und der riet zu Oskar Riedings Violinkonzert in h-moll, op. 35. Das Konzert ist in erster Linie wegen seines leicht zu spielenden Soloparts bekannt geworden.

Am Tag der Aufnahme arbeitete das Tschechische Philharmonische Orchester wie immer sauber, fehlerfrei und engagiert. Letzteres galt auch für den Solisten, aber bei den schnellen Notenläufen haperte es. Was tun?

Jemand schlug vor, der erste Geiger solle all das spielen, was Mbene nicht so ganz schaffte. Der aber, so entgegnete der Direktor der Musikhochschule, könnte deshalb beleidigt sein und den Schmuh zu Hause ausplappern. Die Leitung der Prager Musikhochschule sah sich schon kollektiv in Sibirien.

Da meldete sich der Tonmeister: Man solle Herrn Awolowo unter irgendeinem technischen Vorwand, bitten, vor dem Tonmeister mehrmals alle möglichen Tonleitern zu spielen. Das geschah auch.

Der brave Tonmeister schnitt später aus der Gesamtaufnahme all die Stellen heraus, an denen Mbene gepatzt hatte. An ihrer statt setzte er ein aus Tonschnipseln zusammengesetztes Surrogat. Alle Welt war zufrieden.

Mit der LP unter dem Arm trat Mbene Awolowo die Heimreise an. Die Platte verkaufte sich wie warme Semmeln. Musikkenner fragen sich noch heute, wie es dem Solisten gelang, die einzelnen Töne in den Läufen so akkurat voneinander zu trennen.

(se non è vero, è ben trovato. Mir hat die Geschichte Jaroslaw Opela, der spätere Dirigent der Wilden Gungl in München, in den 70er Jahren erzählt)

Ist facebook des Teufels?

Immer mehr Freunde und Verwandte schauen mich scheel an, weil ich im facebook aktiv mitmache.

Das Mildeste ist noch, wenn aus Gregor von Rezzoris maghrebinischen Geschichten zitiert wird: „Wer sich zum Mist macht, den werden die Hühner auseinanderkratzen.“

„Du machst dich da gemein mit Leuten, die niedliche Kätzchen posten, gleichzeitig nationalsozialistisches Gedankengut unter die Leute bringen und fake news nicht nur glauben, sondern auch noch teilen.“

Bedauerlicherweise ist es so, dass unterdessen ein erheblicher Prozentsatz seine Nachrichten aus der Welt über facebook empfängt. Kein Wunder, dass sich unterdessen selbst solche Propaganda hält, die erkennbar unwahr ist.

Und tatsächlich ist es so, dass sich facebook unterdessen zum Zentralorgan der Hetze gegen den Islam etabliert hat.

Für Otto Normaldenker ist doch klar, dass Nachrichten von Menschen publiziert werden müssen, die ihr Handwerk erlernt haben. Einen Stuhl kauft man ja auch nicht bei Bäcker.

Bei facebook aber darf jeder seine krude, undurchdachte, antidemokratische Bauchmeinung in die Welt hinausposaunen und kann noch dazu einer gewissen Aufmerksamkeit sicher sein.

Facebook-Hetzer erinnern mich an Kettenhunde. Auch diese gebärden sich wild und gefährlich, solange sie sich in dem von der Kette vorgegebenen Radius bewegen. Lässt man sie von der Kette, verlieren sie ihre Selbstsicherheit und verkriechen sich.

Das „Schöne“ an facebook ist ja, dass man aus der Ferne schimpfen kann. Es fehlt der Augenkontakt mit dem Kontrahenten. Das macht mutig.

Und deshalb haben manche Kritiker eben schon Recht, wenn sie sagen, facebook (pars pro toto) sei „des Teufels.“

Es ist ein Medium, in dem fern aller Norm, fern allen Anstandes und fern aller Kontrolle alles gesagt werden kann. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass dieses Gesagte zu einem ganz großen Teil schlimm, unwahr, volksverhetzerisch und unanständig ist.

Als ich vor Jahren ein facebokk account aufmachte, wollte ich es gleich wieder zumachen. Zu sehr war ich entsetzt von der Niveaulosigkeit, dem Fehlen an demokratischer Verantwortung, dem Unflat und der Spießigkeit.

Und dann nahm ich mir vor, möglichst oft etwas Lustiges, etwas Kritisches, etwas Informatives, etwas Unterhaltendes zu posten. Und ich nahm mir natürlich vor, mich nie auf das Niveau derer hinabzubewegen, die Andersdenkende abqualifizieren, sie mit Schimpforten überziehen und vermeintlich der Lächerlichkeit preisgeben.

Kurz ich wollte in all dem Hirnriss, all dem Unanstand, all der Hetze ein Zeichen von biederem europäischem Bildungsbürgertum setzen.

Es gab ja immer schon solche Idealisten, die sich mit Verbrechern gemein machten, weil sie dachten, ihr anständiges Verhalten werde den Kurs des Schiffes verändern können.

Mein Großonkel war aus diesem Grunde Nazi geworden. Er hat sich schließlich aus Verzweiflung erschossen.

Es gibt keinen Gut-Nazi. Und ich frage mich nun, ob es auch keinen Gut-facebooker geben kann.

Frieden seit 1945

Leider stimmt das nicht wirklich, denn es gab die schrecklichen Kriege im ehemaligen Jugoslawien. Dennoch gilt: Dies hat es noch nie gegeben: In Mitteleuropa herrscht seit 73 Jahren Frieden. Das ist die Lebenszeit von zweieinhalb Generationen.

Alle, die diese Zeilen lesen, wissen von einem Vater oder Großvater, der im Krieg war, alle wissen von Angehörigen, die gefallen sind oder die aus ihrer Heimat flüchten mussten.

1939 – 1945, 1914 – 1918, 1870 – 1871, 1848 und die napoleonischen Kriege, all das steht für unsägliches Leid und Blutvergießen. Diese Kriege sind mehr oder weniger im kollektiven Gedächtnis geblieben. Man hat den Eindruck, die Kriege seien lediglich unterbrochen worden von jeweils etwa 30 Jahren des Verschnaufens.

Ist unsere Welt so friedfertig geworden, dass wir nichtmehr auf uns schießen?

Sicherlich nicht, aber seit dem Ende des 2. Weltkrieges haben die Staaten, ihre Politiker und nicht zuletzt die Menschen dafür gesorgt, dass es nicht wieder zum Krieg kam. Ob da das Gleichgewicht des Schreckens, die Nachrüstung und die Abrüstungsvereinbarungen immer die adäquaten Mittel waren, das wird die Geschichtsforschung finden müssen. Immerhin: Funktioniert hat’s.

Alle männlichen Leser müssen sich klar sein, dass sie in der Logik der europäischen Geschichte gefallen sein müssten, nur noch mit einem Bein rumlaufen könnten, den Bruder und den Vater verloren haben müssten und ein großer Teil der weiblichen Leserinnen wäre Witwe, hätte den Bruder oder Bräutigam verloren.

Davon kann keine Rede sein! Gott sei Lob und Dank!

Wenn man sich das klar macht, dann ist es einfach kleinlich und widerlich, die täglichen Verunglimpfungen anderer, die täglichen Tatsachenverdrehungen, den täglichen Hass in den sozialen Medien miterleben zu müssen.

Vergessen wir nicht: Bevor der Krieg 1933 losgehen konnte, mussten die Köpfe der Menschen manipuliert werden.

Negeraufstand ist in Kuba

Neulich sah ich in der österreichischen Nachrichtensendung ZIB 2 das Interview, in dem Armin Wolf, der Moderator, den FPÖ Spitzenkandidaten für Niederösterreich Udo Landbauer als ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der Burschenschaft „Germania zu Wiener Neustadt“ interviewte.

Ein Liederbuch dieser Burschenschaft war bekannt geworden, in dem antisemitische und rassistische Lieder abgedruckt sind. Zunächst kam Christian Strache ins Bild, der FPÖ Chef. Er sagte, Landbauer träfe keine Verantwortung, denn das Buch sei gedruckt worden, als dieser 11 Jahre alt gewesen war, sprich 1997. Bei Liedern kommt es bekanntlich darauf an, wann man sie singt, nicht wann sie gedruckt wurden. Hauptsächlich aber ist es bedenklich, dass 3 Jahre vor der Jahrtausendwende es noch Burschenschaften gab, die es für notwendig erachteten, derlei Schund drucken zu lassen.

Es sind ja nicht alte Lieder aus der Nazizeit. Wenn „der Jude Ben Gurion“ darin vorkommt, und man werde die siebte Million auch noch schaffen, dann zeigt sich, dass es auch noch nach dem Holocaust Menschen gibt, die blöd, skrupellos und menschenverachtend genug sind, sowas zu erdenken.

Armin Wolf zitierte im Interview einen weiteren Titel: „Negeraufstand ist in Kuba…“, dessen Text so schrecklich sei, dass er daraus nicht zitieren wolle.

Ich bekam einen Schreck. Das Lied kannte ich. Wir haben es als Schüler gesungen und uns nichts dabei gedacht. Ich bin nicht sicher, ob es in einem Liederbuch abgedruckt war, aber wir wissen es ja alle, je blöder und/oder unanständiger ein Text ist, desto leichter prägt er sich ein.

Mit zunehmender Reife, haben wir das Lied nicht mehr gesungen, es ist einfach widerlich und eklig. Offenbar ist diese zunehmende Reife bei den österreichischen Burschenschaftlern nicht immer feststellbar, denn das besagte Liederbuch ist noch im Gebrauch. Bei einer Hausdurchsuchung im „Vereinsheim“ wurden 19 Exemplare gefunden.

Landbauer verteidigte sich, zu seiner Zeit seien die Texte geschwärzt gewesen, einige Seiten sogar herausgerissen worden, und überhaupt er sei ein schlechter Sänger.

Diese Ausreden disqualifizieren ihn nicht als Politiker, aber sie disqualifizieren ihn als seriösen Politiker. Das mit dem Schwärzen und dem Herausreißen glaubt ihm eh keiner, und es ist allgemein bekannt, dass beim Grölen unsäglicher Lieder es noch nie darauf angekommen ist, eine gute Stimme zu haben.

Es war ein Fehler, die österreichische Regierung Schüssel-Haider von Beginn an zu ächten. „An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.“ Das gilt auch jetzt wieder. Die schwarz-blaue Regierung in Wien muss die Möglichkeit erhalten, zu beweisen, dass die FPÖ unterdessen die braunen Unterhosen ausgezogen hat.

Es wird sich zeigen, wie Bundeskanzler Kurz und sein Koalitionspartner Strache mit dem Landbauer-Skandal umgehen. Und daran, wie damit umgegangen wird, wird sich auch zeigen, ob man der Regierung in Wien über den Weg trauen kann. Derzeit sieht es schlecht aus, denn der FPÖ-Innenminister Kickl hat in Überschreitung seiner Kompetenzen Ermittlungen ausgeschlossen.

Dass die Staatsanwaltschaft dennoch ermittelt ist ein Lichtblick.

Der Beruf des Vaters

Die Zeit vor meiner Einschulung ist mehr in Erinnerung geblieben, als der erste Schultag selbst. Natürlich bekam ich eine riesige Schultüte voller Süßigkeiten, und natürlich war diese riesige Tüte bis zur Hälfte mit alten Ausgeben des Baunach- und Itzboten ausgestopft worden.

Beides war zu erwarten gewesen. Unvorbereitet trafen mich die „Sprüch“ im Dorf, die mein tiefes Misstrauen gegen den Schulbetrieb bestätigten.

„Do gehd’s fei aus an annern Fässla.“ Ein an sich sinnentleerter Satz, nach dem es dann aus einem anderen Fässchen ginge, der mit aber sofort klarmachte, dass es mit dem ersten Schultag vorbei sein würde mit unbeschränkter Freiheit. Ich konnte überhaupt nicht verstehen, weshalb ich in die Schule müsste, ich konnte ja alles: Fahrrad fahren, Nägel einschlagen, Zwillen basteln, einen Lanz Traktor von einem Fendt Traktor am Geräusch unterscheiden, das Vaterunser aufsagen, ich wusste, dass Westen hinter Salmsdorf, Norden hinter Ebern, Osten hinter Treinfeld und Süden hinter Sendelbach lag. Was hätte die Schule mir noch beibringen können?

Noch mehr, als das „Fässla Theorem“ nervte mich meine Mutter. Fast täglich schärfte sie mir ein, was ich zu sagen hätte, wenn ich nach dem Beruf unseres Vaters befragt werden würde.

Ich gebe zu, dass ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht hatte, aber weshalb es so wahnsinnig wichtig war, zu wissen, dass mein Vater Land- und Forstwirt sei, blieb mir verborgen. Ich verstand nicht einmal, was das sein sollte. Mutter sagte, das eine sei ein besserer Bauer du das andere ein besserer Förster. Und was hat das mit dem Wirt zu tun? Im Dorf gab es drei Wirte, alles behäbige Gestalten, denen man ansah, dass das Bier ihnen schmeckte. Unser Vater verabscheute Bier und war wirklich nicht behäbig, weder geistig, noch körperlich. Wenn er aber ein besserer Bauer und ein besserer Förster war, warum nannte man ihn dann nicht so, und weshalb war er besser als die Bauern und Förster, die ich kannte?

Als Kind hatte ich schnell gelernt, dass es zwecklos war, Mutters Gedanken zu hinterfragen oder diesen gar zu widersprechen. Dann war mein Vater halt Land- und Forstwirt. Er hatte nie eine Gabel oder eine Axt in er Hand, er fuhr nur immer mit seinem VW Käfer aufs Feld oder in den Wald um die dort arbeitenden Menschen zu besuchen, Land- und Forstwirt eben.

Kurz nach dem ersten Schultag wurden wir tatsächlich nach dem Beruf unseres Vaters gefragt: Schreiner, Kreisbaumeister, Brauer, Schlosser. „Schafft in Ebern bein Kuffi“ war der häufigste Beruf. Dann kam ich dran und sagte problemlos mein „Sprüchla“ auf: „Mein Vater ist Land- und Forstwirrt.“

Berthold, mein neben mir sitzender Freund, knuffte mich und sagte: „Aff, blöder, dei Vaddä is Baron.“ Ich knuffte zurück und zischte: „Halds Maul, mei Muddä hods, mir gawiesn.“

Jahre später habe ich Mutter gefragt, weshalb sie so absonderlichen Wert darauf gelegt habe, dass ich den Beruf meines Vaters mit Land- und Forstwirt anzugeben hätte.

Es stellte sich heraus, dass auch sie in der Schule gefragt worden war, was der Vater sei. Sie standen in einer Reihe, mussten das Katheder erklimmen und von dort oben mitteilen, welchem Beruf der Vater nachging. Meine Mutter hatte keine Ahnung, aber vor ihr war der Rösche Bibbl dran, und dessen Vater, so verkündete er, sei Fleischbeschauer.

„Mein Vater ist auch Fleischbeschauer,“ stammelte sie etwas verwirrt, als sie droben stand.

„Dein Vater ist Land- und Forstwirt und darüber hinaus Abgeordneter im Reichstag!“ polterte der Lehrer.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Sache mit dem Fleischbeschauer im Dorf. Das arme Mädchen wurde zu Hause und beim Spielen auf der Straße damit aufgezogen.

Diese Schmach wollte Mutter mir ersparen.

Eine Lanze für die USA

Als mein Vater Kriegsgefangener in Tennessee, war, bekamen alle im Lager politischen Unterricht. Sie sollten Bannerträger der Demokratie werden in einem Land, das Demokratie als Chaos empfunden hatte und dessen Bevölkerung in erschreckend kurzer Zeit alles mitmachte, was die Nazis vorgaben.

Beim Entlassungsappell brüllten die Sergeanten andauernd „are you ready, are you ready“, bis einer der Kriegsgefangenen mit sardonischem Humor zurück brüllte: „We are ready for peace, freedom and democracy“.

Glücklicherweise haben das mit dem Frieden, der Freiheit und der Demokratie doch viele Deutsche sehr ernst genommen, und mit Hilfe der US Besatzer wuchs im Westen Deutschlands bald eine Demokratie heran, die durch einige Skandale geläutert, schließlich auch vom Mann auf der Straße als solche erkannt und geachtet wurde. Ich habe meine Jugend in der US Zone verbracht, ich weiß daher nicht, welchen Beitrag zur Demokratisierung die französischen und britischen Besatzer erbracht haben, denke aber, dass der überschaubar war.

Trotz des Wissens um die Verdienste der USA für den Aufbau eines freiheitlichen Gemeinwesens auf den Trümmern, die ein Verbrechersystem hinterlassen hat, erinnere ich mich nicht daran, je konform gegangen zu sein mit dem, was in den USA geschah.

Wie auch? Atombombe, Vietnam, Rassenunruhen, Aufrüstung, Irak und jetzt der 45. Präsident, all das verband oder verbindet sich mit den USA und hat stets meine Ablehnung, wenn nicht Abscheu hervorgerufen. Ganz besonders gilt das für den Irak Konflikt: Ich dachte zunächst, es sei gut, wenn das Saddam- Regime beseitigt würde, solange, bis wir feststellen mussten, dass der US Außenminister Powell den Sicherheitsrat belogen hatte, um das Okay für die militärische Mission zu bekommen.

Und dennoch: Ich werde den USA und der dort gelebten Kultur stets dankbar sein.

Was wäre mein Leben ohne die Songs von Leonhard Cohen, The Papas and the Mamas, Cat Stevens, Joan Baez und Bob Dylan?

Was wäre aus mir geworden ohne die Bücher von Philipp Roth, John Steinbeck, Charles Bukowski, Mark Twain, Harper Lee, Arthur Miller, Norman Mailer und Thornton Wilder?

An welchen Vorbildern hätte ich mich orientieren können, hätte es nicht John F. Kennedy, Martin Luther King, Satchmo, Madeleine Albright oder Steve McQueen gegeben?

Wie hätte ich es geschafft, mich aus dem fränkisch-familiären Kokon zu befreien ohne Blue Jeans, den Gedanken an Woodstock und die Gleichheit aller Menschen?

Wie hätte sich mein Gespür zum Erzählen entwickelt, ohne die Komödien von Billy Wilder, ohne die Filme von Woody Allen und ohne die Unzahl von Inszenierungen vom Broadway?

Es ist leicht, sich angesichts der derzeitigen Entwicklung über die Amis lustig zu machen. Es gibt allerdings noch das andere Amerika, das unsere Kultur, unsere Ästhetik, unseren Humor und unseren „european way of life“ so stark geprägt hat. Dieses andere Amerika, das sich nicht resigniert zurückzieht.

Und, Eines dürfen wir nicht vergessen, es gibt auch die politische Bildung, die nach dem Krieg und eigentlich bis heute von dort auf uns kommt. Unter anderem hat sie bewirkt, dass fast alle Deutschen, ja fast alle Europäer, es sich nicht mehr vorstellen können, nicht in einem demokratischen Rechtsstaat leben zu wollen.

Seien wir also geduldig. Das wird schon wieder. Die USA sind stark genug, Vollpfosten auszuhalten. Die Geschichte der europäischen Monarchien hat ja bewiesen, dass sowas geht.

 

Wartet, ihr Arschlöcher

Im Internat in Schondorf war es üblich, einmal im Jahr, im Herbst eine Wandertour in die Alpen zu machen. Jede Klasse war in zwei „Kameradschaften“ aufgeteilt, die von einem Lahrer geleitet wurde. In der 2. Klasse, war meine Kameradschaftsleiterin Fräulein Beck, die uns Deutsch und Mathe beizubringen versuchte.

Sie hatte sich vorgenommen, dass unsere Kameradschaftstour eine Wanderung über den Berggrat sein sollte, der den Herzogstand mit dem Heimgarten verbindet.

Bis Kochel brachte uns die Bahn. Es war für mich ein großes „Staunerlebnis“, dass es die dicken Röhren tatsächlich gab, in denen vom Walchensee aus das Wasser nach unten schoss, um im Wasserkraftwerk Strom zu erzeugen.

Gewohnheitsmäßig zogen wir an allen VIVIL, Zigaretten und Kaugummiautomaten, und tatsächlich, ein Schieber öffnete sich und wir hatten eine Packung HB Zigaretten in der Hand. Der Ladeninhaber stürzte schimpfend heraus, und Fräulein Beck sorgte für die ehrenhafte Rückgabe der Beute.

Mit einem Kleinbus fuhren wir über eine Mautstraße, an deren Ende wir die Rucksäcke schulterten und der Anstieg begann. Wir waren alle Mitglieder im Bayerischen Alpenverein und durften deshalb auf den Berghütten übernachten und unsere Verpflegung mitbringen. Wir kauften in den Hütten nur das heiße Teewasser.

Der Anstieg begann bei etwa 800 Metern, die Hütte liegt auf 1.575 Höhenmetern, genug Zeit, um zu erfahren, was ein Laib Brot und eine Dauerwurst mit dem Rücken eines zwölfjährigen Rucksackträgers anstellt.

Am nächsten Morgen stiegen wie hinauf zum Herzogstand auf 1.731 Meter und von dort, ziemlich waghalsig, wie ich fand, auf einem schmalen Berggrat hinüber zum Heimgarten auf 1.790 Meter. Der Blick war grandios einerseits nach links in die Alpen und andererseits nach rechts ins bayerische Voralpenland.

Als Franke war ich solche Berge, solche Abgründe links und rechts vom Weg, solche Ausblicke und solche Weiten nicht gewohnt. Später beschrieb ich die Eindrücke in einem Brief an meine aus der Neumark stammenden Großmutter. Sie antwortete, dass sie, als sie als Braut nach Franken kam, erstaunt darüber war, dass Berge höher sein können als Häuser.

Ich weiß nicht weshalb, womöglich waren die Holzpreise gerade schlecht, jedenfalls hatte ich Wildlederstiefeletten an, die meine Mutter für 11 DM beim Valentin Schmitt in Ebern gekauft hatte. Die anderen trugen richtige Wanderstiefel mit etwa fünf Ösen und sieben Haken, um das Schuhwerk richtig zu verschnüren. Meine Elfmärkler hatten drei Ösen. Alles ging gut bis zur Heimgartenhütte, wo wir erneut übernachteten.

Beim Abstieg waren die Rücksäcke leichter, weil Dauerwurst und Brot aufgegessen waren. Aber es ging eben bergab. Als vollkommen untrainierter Bergwanderer mit schlechtem Schuhwerk fiel mir das entsetzlich schwer. Die Zehen rieben an der Schuhkappe und natürlich bekam ich einige schmerzhafte Blasen. Zudem war die Aussicht unspektakulär, zuerst sah man Latschenkiefern, dann ging es durch einen Bergwald.

Irgendwann vertrat ich mir den Fuß, wobei nur der Umstand erstaunlich war, dass es erst beim Abstieg passierte. Der Knöchel schmerzte spürbar und ich hinkte immer weiter  der Gruppe hinterher. Fräulein Beck trieb uns zur Eile, weil der Zug in Kochel auch ohne uns losfahren würde. Ich rief von hinten, man solle auf mich warten, blieb aber unerhört. Als der Abstand schon ziemlich groß war, schrie ich: „Wartet, ihr Arschlöcher!“

Meinen Kameraden war das wurscht, aber Fräulein Beck fühlte sich mitangesprochen. Sie wartete auf mich und klebte mir eine saftige Ohrfeige.

Ich fühlte mich gedemütigt und ungerecht behandelt. Ich war derart sauer, dass ich den verknacksten Knöchel erst wieder im Zug bemerkte.

Ist Schwulsein Sünde?

Neulich fragte mich jemand, der in seinem katholischen Glauben fest verwurzelt ist, ob es eine Sünde sei, schwul zu sein.

Ich muss gestehen, dass ich aus allen Wolken fiel, denn auf so eine Frage war ich nichtmehr gefasst. Ich hatte mich mit der Problemstellung auch noch nie wirklich auseinandergesetzt.

Was antwortet man auf eine derart unerwartete und auch absurde Frage? Mein Hirn arbeitete fieberhaft und um Zeit zu gewinnen, begann ich etwas salbungsvoll damit, dass eben alles, was es auf der Welt gibt, Gottes Geschöpf sei.

Bei dieser These blieb ich und sie war dann auch der Schlüssel zu Beantwortung der Frage.

Wenn man gläubig ist, dann geht alles auf den Schöpfer zurück, das Leben und die Krankheit, die es bedroht, der Apfel und der Wurm, der sich in seinem Inneren mästet, der Mensch und das Tier. Das Tier kann nicht zwischen gut und schlecht unterscheiden, es geht instinktiv seinen Bedürfnissen nach.

Weil das beim Menschen anders ist, kann dieser sein Verhalten steuern, ist mehr oder weniger Herr über seinen Instinkt und kann durch seinen Intellekt geleitet nach Maßgaben handeln, die nicht er, sondern die Dritte gesetzt haben.

Natürlich meinen auch die großen Religionen, dass alles was da kreucht und fleucht Gottes Schöpfung ist.

Alles?

Nein! Die Religionen postulieren zwar, Gott habe zwar die Möglichkeit zur Sünde geschaffen, wenn aber ein Mensch sündhaft wird, tut er das aus eigenem Antrieb. Anders zu argumentieren wäre ja auch das Ende jeder Religion.

Durch die Erfindung der Sünde, haben sich die Kirchen die Deutungshoheit darüber angeeignet, zu bestimmen, was gut ist und was böse.

Dass die menschliche Sexualität ein weites Feld ist, wissen wir alle. Ihre Varianten sind ungeahnt und alles ist okay, solange damit nicht die Rechte der anderen verletzt werden. Dessen ungeachtet bestimmen mehrere Religionen, dass die einzig richtige und nicht sündhafte Art, die Sexualität auszuleben, die sei, Nachkommen zu erzeugen.

Wie kommen die denn da drauf?

Es geht um Macht. Die Kontrolle über uns Menschen muss aufrecht erhalten bleiben, und deshalb rufen alle Religionen zum Triebverzicht auf. Wer seine Bedürfnisse, seine Veranlagung und seine Lebensfreude zügelt, ist ein guter Glaubender, wer die Zügel lockerlässt, ist ein Lump, ein Sünder eben.

Was den Religionen nicht in den Kram passt, wird zur Sünde erklärt.

Die Erfindung des Begriffs „Sünde“ ist tatsächlich ein genialer Einfall aller Religionsstifter. Sie wird zu einem ausgelagerten Verhalten der ansonsten perfekten Schöpfung.

Das Ärgerliche ist, dass die Religionen so tun, als könnten sie allein bestimmen, was Sünde ist, und was nicht.

Gottgewollt?

Nein, menschengewollt.

 

Sittlicher Niedergang beim Riffelmacher

Als Kinder konnten wir nicht Konditorei sagen, dennoch war es einer der Höhepunkte, wenn wir in die „Kauerei“ eingeladen wurden.

In Bamberg gab es natürlich mehrere wunderbare Cafés, aber das schönste, das tollste, das begehrenswerteste war Riffelmacher. Gibt’s heute noch.

Vorbei an einer Glasvitrine, in der ungeahnte Tortenvariationen in Augenhöhe von uns Kindern dargeboten wurden, ging es nach hinten in das eigentliche, damals noch plüschige Café.

Hinten rechts gab es ein Kabäuschen. Dort hantierten junge Frauen im kleinen Schwarzen mit weißer Schürze und weißem Servierhäubchen in geheimnisvoller Weise umher, um dann plötzlich mit einem Kännchen Kaffee oder Tee aus der Deckung zu kommen.

Leider bekamen wir nie etwas von den atemberaubenden Torten aus der Vitrine, ein Bamberger Hörnla musste genügen. Das aber wurde bei Weitem wettgemacht durch die heiße Schokolade mit Schlagsahne, die wir bestellen durften.

Sie wurde in einer geradezu abstrus barockisierenden hohen Tasse gereicht. Unten kochend heiße Schokolade, darauf kalte Schlagsahne. Die Kunst war es, die Schlagsahne mit der Schokolade gleichzeitig zu trinken, ohne sich dabei die Lippen zu verbrennen. Es durfte dabei sogar geschlürft werden, wenn auch ganz leise.

An den Nachbartischen saßen ältere Damen mit Hut samt Hutnadel. Die schauten zunächst mit Wohlwollen auf uns zumeist zahlreichen Kinder. Wenn wir aber begannen harmlose Spielchen, wie „Pinkepank wo ist der Schrank“ zu spielen, verwandelten wir uns plötzlich in unerzogene Blagen. Das wurde nur gemurmelt, wir hörten es aber dennoch und murmelten zurück, dass im Zimmer der Hut in die Garderobe und nicht auf den Kopf gehöre.

Kurz, Riffelmacher war einfach herrlich!

Meine Schwester erinnert sich besonders an einen Besuch in diesem Tempel der Gastlichkeit, weil irgendwann in den 70er Jahren am Nebentisch Jung-Siegfried saß. Es war Sommer, seine beachtlichen Muskeln kamen durch das Kurzarmhemd richtig zur Geltung, ebenso seine Tätowierungen. Meine Schwester war hin und weg, zumal er auch noch blond war. Seine braunen Augen blitzten unter seiner ausufernden Strohmatte hervor. Es war unsere Mutter, die bemerkte, dass an der Kopfhaut bereits dunkle Haare nachwuchsen.

Mutter, die sich sowieso schon ärgerte, dass Ihre Tochter förmlich dahinschmolz, begann zu summieren: Kurzarmhemd, ostentative Muskeln, Tätowierungen, gefärbte Haare! Eines dieser Attribute hätte ausgereicht, um den jungen Mann ins Reich des Hundsordinariats zu schicken. In der Summe war das einfach zu viel. Unter dem Eindruck dieses Sittenverfalls im Riffelmacher, seufzte Mutter schließlich:

„Jetzt wird’s aber wirklich Zeit, dass die Russen kommen!“

Neue Religionen

Dass es andere Glaubensbekenntnisse gibt, weiß ich von Karl May, durch’s wilde Kurdistan und so. Das lag damals weit weg. Wie nah andere Kulturen tatsächlich sind, merkte ich im Hafen von Alicante, wo die Hinweisschilder schon in den 70er Jahren auch in arabischer Schrift abgefasst waren.

Unterdessen sind andere und manchmal auch für uns fremde Kulturen und Religionen mitten unter uns angekommen, und es bleibt gar nichts anderes übrig, als sich damit auseinanderzusetzen, wie wir miteinander umgehen sollen.

An sich ist es ganz einfach: Das Grundgesetz und die bestehenden Gesetze regeln das Miteinander aller in Deutschland lebender Menschen.

Das Problem ist nur, das viele derer, die neu nach Deutschland kommen, das nicht wissen. Sie leben in einer Parallelwelt, wie so viele Deutsche auf Ibiza und Mallorca in einer Parallelwelt leben. Sie sprechen die Sprache nicht, haben keine Ahnung von der Kultur ihres Gastlandes und benehmen sich „wie daheim, nur mit mehr Sonne“.

Die Menschen, die nach Deutschland zugewandert sind, verhalten sich oft ähnlich: „Wie daheim, nur mit mehr Freiheit und Wohlstand.“

Das geht ja noch, wenn es sich um Fragen des Anziehens, der Ernährung oder des Glaubensbekenntnisses handelt. Der Spaß hört auf, wo Verhaltensweisen, Weltanschauungen und tägliches Handeln mit den Werten unseres Rechtsstaates nicht in Einklang zu bringen sind.

Ich werde nicht müde, zu wiederholen, dass das insbesondere der Fall ist, wo nicht verstanden wird, dass die Werte unserer weltlichen Ordnung denen jedweder religiösen Ordnung vorgehen.

Gestern hörte ich im Radio, dass der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg nun eine Anstalt des öffentlichen Rechts geworden sei, und somit den Kirchen nicht nur gleichgestellt sei, sondern auch Steuern von seinen Mitgliedern erheben könne.

Der Gedanke liegt nun sehr nahe, zu überlegen, ob in Deutschland nicht alle Religionsgemeinschaften Anstalten des öffentlichen Rechts sein müssten.

Zunächst gebietet das der Gleichheitsgrundsatz. Aber es gebietet auch eine Überlegung, die eng mit dem „ordre pubilc“ zusammenhängt:

„Wer zahlt schafft an“.

Fast alle neu zu uns gekommene Religionsgemeinschaften werden vom Ausland aus finanziert. Die großen Neubauten von Moscheen werden sämtlich von den Potentaten auf der arabischen Halbinsel bezahlt. Und es ist kein Geheimnis, dass die Imame entweder von türkischen Institutionen oder solchen aus den Golfstaaten bezahlt werden. Keines dieser Länder respektiert auch nur annähernd unsere durch die Verfassung geschützten Werte.

Wenn ein Religionsgesetz bestimmen würde, dass alle Glaubensgemeinschaften die Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts haben müssen, würden die Gläubigen, in deren Heimat ihr Credo Staatsreligion war, merken, dass die den Glauben verwaltenden Institutionen und Menschen keine gottgegebenen Autoritäten sind. Und dann wären die von den Anstalten des öffentlichen Rechts eingestellten Seelsorger auch leichter dazu zu bringen, die Werte dieses Landes zu achten, einfach deshalb, weil solche, die es nicht tun, gar nicht erst eingestellt werden können.

Jetzt müssen Verfassungsrechtler her, denn ich weiß nicht genau, ob das, was ich hier vorschlage, vom Gesetzgeber umgesetzt werden kann. Wünschenswert wäre es allemal.