Das Problem mit dem CH – Ä

Als ich vor 38 Jahren meine Frau kennen lernte, fuhr ich auf Ibiza einen knallroten Renault R4 Kastenwagen. Er klapperte bald an allen Kanten und Enden, was weniger an der Qualität des Autos, als an den damals noch schlechten Wegen auf der Insel lag.

Als wir später Kinder hatten, waren diese entzückt, von ihren Sicherheitssitzen aus unter sich die Straße vorbeihuschen zu sehen. Wir waren weniger entzückt und kauften unter großem Geldbeutelächzen ein neues Auto.

Damals aber, 1979, war die Karre ebenso neu wie rot und Brigitte taufte es „Tomatli“.

Ich fand das lustig, und übernahm den Namen in meinen Sprachgebrauch.

Und dann kam das erste gemeinsame Weihnachten. Brigitte hatte sich per Post den Namen des Autos in sieben goldenen Aufklebebuchstaben kommen lassen. In Schmuckpapier mit Schleifchen eingepackt, überreichte sie mir das Geschenk.

Hocherfreut wickelte ich alles aus und als ich die Buchstaben geordnet hatte, las ich:

T-O-M-Ä-T-L-I

Das kann ich so nicht auf das Auto kleben- Warum nicht? – Weil das Tomätli heißt. – Das ist schwytzerdütsch und wird T-O-M-A-T-L-I ausgesprochen. – Das wissen aber auf Ibiza nur du, die Rita y cuatro gatos más. Alle anderen lesen Tomätli mit Ä.

Um es kurz zu machen, es lag kein Segen auf unserem ersten gemeinsamen Weihnachtsfest.

Unterdessen ist es mir zwar nach wie vor untersagt, schwyzerdütsch zu sprechen (das tönt so chommisch) aber ich habe mich an die Eigentümlichkeiten der Aussprache gewöhnt: Der Ort Aesch bei Basel wird so ausgesprochen, wie man in Deutschland Popo ausspricht und es wundert mich auch nichtmehr, dass der Kellner, wenn er mir den Teller vorsetzt „Scheiß“ sagt. Er meint „sch heiß“.

Nun ist über uns hier in Berlin die Adventszeit hereingebrochen. Brigitte backt dann immer etwas, was sie „Gratemannli“ ausspricht. Ich postete eines dieser niedlichen Hefeteig Männchen im Facebook und erntete vollkommenes Unverständnis bei meinen CH- Freunden: So was gibt es in der Eidgenossenschaft nicht, und erst recht nicht in Basel.

Es stellte sich dann heraus, dass es sich korrekt um einen Grättemaa, phonetisch Grattemaa handelt.

Wie auch von den Österreichern trennt die Deutschen von den Schweizern die gemeinsame Sprache.

 

Stundenlohn 9 Pf

Schon in den 50er Jahren fanden meine Eltern, dass für die Gästezimmer ein Waschtisch mit Schüssel und Kanne nicht mehr ausreiche. Ein Duschbad musste her.

Der Fliesenleger Lechner aus Ebern wurde damit beauftragt, in einem Kabuff, einer ehemaligen Abstellkammer, Boden und Wände zu kacheln, „rausbleddln“ wie man dazu in Franken sagt.

Es war kurz vor der Kirchweih und ich brauchte Geld, deshalb bot ich Meister Lechner meine Hilfe an. Er erklärte mir, bleddln sei eine schwierige Sache, an die man nicht einfach Ungelernte heranlassen dürfe. Aber den Mörtel, die „Speis“, wie er es nannte, die dürfe ich anrühren.

Als ich ihn nach der Entlohnung fragte, schaute er etwas verblüfft, aber mein Hinweis auf die kommende Kirchweih überzeigte ihn dann doch.

Ich bekam nun von ihm eine erste Lektion in Tarifverträgen und Steuerpolitik. Er erklärte mir, er würde mit liebend gerne 10 Pf in der Stunde bezahlen, dann aber müsse er mir 3 Pf für die Lohnsteuer abziehen. Alles unter 10 Pf sei allerdings lohnsteuerfrei. Wir einigten uns auf einen Stundenlohn von 9 Pf und nach der Schule rührte ich fleißig Sand, Zement und Wasser zusammen. Das ging alles mit der Hand vor sich, denn einen Betonmischer ins zweite Obergeschoß zu tragen, lohnte denn doch nicht.

Der Lechners Hans kniete bei seiner Arbeit notgedrungen fast immer. Er hatte mit Schaumgummi ausgeschlagene Knieschoner, die ich sehr bewunderte. Für die Wände waren eierschalenfarbene Fliesen vorgesehen. Als die verlegt waren, ging es darum, welche Farbe die Verfugung zwischen den Kacheln erhalten sollte.

„Rot“ entschied ich, denn rot und weiß seien nicht nur die Farben Frankens, sondern auch die der Familie Rotenhan. Der Lechners Hans grinste und verfugte in Rot. Meine Eltern waren entsetzt, sie hatten an etwas Dezenteres gedacht! Das rote Zeug aber wieder rauspuhlen stellte sich als zu teuer heraus, und so war das „drübere Duschbad“ ein Vorläufer für die später so modern werdende Farbenpracht in deutschen Badezimmern.

Zum Mittagessen ging der Lechners Hans immer in die Schlosswirtschaft. Dort geschah einmal etwas ganz Außergewöhnliches. Das Telefon läutete. Kurz danach trat der alte Herold, der Wirt, hinter dem Schanktresen hervor und verkündete in der Wirtsstube, der Fliesenleger Lechner werde am Telefon verlangt.

Während dieser in der Küche telefonierte, verbreitete sich in der Wirtsstube gespannte Erwartung, man aß nicht mehr, man trank nicht mehr, man wartete auf den Lechner.

Als der wieder erschien wurde er mit Fragen überschüttetet: „Wer war denn edzerd des?“ „Wer moch ner des sei, wo übern Middoch vo dir was will?“

Der Lechner aber setzte sich ganz ruhig an seinen Platz, und als sich die Fragerei gelegt hatte, verkündete er:

„Des war der Nasser, der will äss ich na sein Suezkonol rausbleddl!“

Und dann war das Duschbad fertig. In einer offiziellen Lohntüte bekam ich meinen Lohn: 10 Stunden, macht 90 Pf.

Jetzt brauchte ich nur noch 10 weitere Pf. Mit einer Mark konnte man an der Kirchweih sechs Mal Karussell fahren.

 

Doris, so heißt „man“ nicht

Von Zeit zu Zeit wird es notwendig, daran zu erinnern, dass die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor eine Republik ist.

Diese Tatsache teilt sich dem Mitbürger nicht sofort mit, die die sogenannte „Yellow Press“ am Leben hält, indem er sie liest.

Danach scheint nichts wichtiger zu sein, als irgendeinen Adelstitel oder ersatzweise eine geliftete Prinzessin herumführen zu können, wobei bei Letzterer die Tatsache des stattgehabten Liftings meist leichter feststellbar ist, als die Echtheit des Titels.

Der Adel ist eine typische Klassengesellschaft. Ganz oben rangieren die sogenannten regierenden Häuser, die dies entweder noch heute tun oder bis 1918 vorgaben dies zu tun, das ist die erste Abteilung. In der zweiten Abteilung tummeln sich Fürsten, Prinzen und Grafen, die bis 1806 Herrscher über ein souveränes Duodezländle waren. Die sind allesamt auf Napoleon schlecht zu sprechen. In die dritte Abteilung stürzt der aus den vorherigen Klassen ab, der sich nicht gesetzestreu verhalten hat. Damit ist nicht unbedingt Scheckbetrug gemeint, sondern die Tatsache, dass er – horribile dictu – bürgerlich geheiratet hat. Alle drei Abteilungen tragen eine geschlossene Krone über dem Wappen.

Einfachere Grafen haben dort eine offene Krone mit neun Zacken, während sich Barone mit einer noch offeneren Krone, sie hat nur sieben Zacken, begnügen müssen. Barone erkennt man auch daran, dass sie Freiherrn heißen. Schließlich gibt es noch den Briefadel, der trägt nur ein „von“ vor dem Nachnamen und deren Mitglieder tun sich schwer in dem Geschäft, auf das wir nun zu sprechen kommen:

Es gibt nämlich noch einen sozusagen republikanischen Adel. Auch in ihn wird man durch einen Akt der Liebe aufgenommen, allerdings spielt sich dieser nicht im Schlafgemach der hochherrschaftlichen Eltern ab, sondern auf dem Girokonto eines verarmten Prinzen, Fürsten oder Herzogs. Man ahnt es, wir sprechen von der Adoption. Durch diesen Rechtsakt übernimmt der oder die Adoptierte rückwirkend von Geburt an den Nachnamen des durch Geld in elterlicher Liebe Entflammten. Der Vorname aber bleibt, und das ist verräterisch: Leopold, August, Eitel Heinrich und natürlich Ludwig, da rauscht der Hofball durch die Gehörgänge. Was aber soll man zu Karl-Heinz, Klaus-Jürgen, Thorsten, Uwe oder Finn sagen? Da fällt einem Baggerführer, Friseur oder Tankwart ein.

Ich gebe zu, Hans ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei, aber ich mosere ja auch nur aus dem Sumpf des Baronats heraus.

Und nun treffen auf jedem Empfang, Presseball oder sonstigem „event“, höchst vornehme Herrschaften auf vornamentliche verdächtige Verwandte. Zu deren Graus sagen Karl-Heinz &Co „Mahlzeit“, klopfen an offene Türen oder, was fast noch unangenehmer ist, sie sind schlicht kriminell.

Glücklicherweise ist die hier dargelegte „Problematik“ der Mehrheit schnurz, denn der Adel entbehrt in einer Republik nicht nur einer Funktion sondern auch jedweder Berechtigung. Die Faszination des adelig Seins reduziert sich für den, der es ist, auf eine unübersichtlich große Verwandtschaft und einen Lodenmantel samt Jagerhuat im Schrank.

Weshalb, so fragt man sich, gibt es Menschen, die für so was bereit sind, Geld auszugeben? Es ist ja gerade das höchste Gut in einem Rechtsstaat, Bürger sein zu dürfen.

Die Erklärung wird wohl im seichten Gewässer des Angebertums zu finden sein. Wir leben in einer Möchtegern Gesellschaft, in der Villa, Yacht, Auto und neue Blondine etwas gelten. Und wenn man das alles schon hat, dann legt man halt noch mit einem adeligen Nachnamen nach.

Zefix aber auch das mit den Vornamen!