Es gibt in Deutschland wohl keine Kirche, in der sich Hässlichkeit, Protz und Spießigkeit derart perfekt vereinen, wie im Berliner Dom. Nun, wir hatten Karten für das Weihnachtsoratorium und nahmen uns vor, uns dieses durch den erwähnten Dreiklang nicht verderben zu lassen.
Wir saßen vorne links vom Orchester, halbrechts vor uns die beiden Kesselpauken. Als die Mitglieder des Orchesters ihre Plätze einnahmen, begann heftiges Winken, die dritte Geige suchte und fand Tante Minchen in Block G, Reihe 5.
Als es mit Pauken und Trompeten begann, als der Chor mit „Jauchzet, frohlocket“ die Freude auf Weihnachten in die Welt singen sollte, wurde klar, dass die Musiker gegen die riesige Kirche nicht ankommen würden. Lag es an der Akustik, oder lag es an den Interpreten?
Der Dirigent hatte angeordnet, dass die Musiker aufstehen sollten, die gerade dran waren. Das war gut, denn die Nähe der Pauken bedingte, dass wir vom Rest des Orchesters nur Grundmurmeln wahrnehmen konnten, so aber konnten wir feststellen, wer gerade dazu beitrug. Der Paukist, der ja nicht immer trommelte, stand in seinen Pausen, die Schlegel im Anschlag, und schaute auf die beiden Pauken wie ein Koch, der darauf wartet, dass die Spiegeleier auf dem Herd fertig würden.
Der Chor gab sich redlich Mühe, der Evangelist, der auch die übrigen Tenorpartien sang, war exzellent. Bass, Alt und Sopran waren geradezu erschreckend unterschiedlich, aber womöglich lag auch das an der Akustik.
Die Dame an der ersten Geige, die immer dran war und deshalb auch immer stand, hatte gerade den Basiskurs für liturgischen Bauchtanz hinter sich gebracht, und zeigte uns nun, was sie schon alles gelernt hatte. Da links vom Orchester sitzend, sahen wir die Ergebnisse nur von hinten. Gut so, denn es bestand zu befürchten, dass sie die Interpretation des Bach’schen Verständnisses von Christi Geburt auch mimisch darstellte. Der Flug ihrer Haare verstärkte den Verdacht.
Irgendwo hinter uns saß ein Argentinier. Diese und die Nachbarn aus Uruguay erkennt man daran, dass sie nichts unternehmen, ohne ihre Thermosflasche unter dem Arm und das Behältnis für den Mate-Tee in der Hand. Wenn die Musik zum fortissimo anschwoll, wenn der Paukist die Schlegel wirbeln ließ, blubberte es hinter uns im Mate-Kürbis. Das trug weder zu meinem Seelenfrieden noch zum Musikgenuss bei.
Glücklicherweise aber wurde ich bald wieder abgelenkt, denn obwohl man nicht viel hören konnte, war doch ziemlich bald klar, dass die Holzbläserinnen sich nicht einig wurden. Abwechselnd fiel eine aus dem Rhythmus, auch gelang es nicht, eine durchgehende gemeinsame Lautstärke zu finden. Es hörte sich angestrengt an und so eine Oboe da Caccia ist ja auch wirklich nicht einfach zu spielen.
Überhaupt überkam mich langsam ein Gefühl der Nachsicht, denn die Musiker konnten ja nichts dafür, dass Kirchenbänke generell nach einer Stunde unbequem werden, und ich musste ehrlich zugeben, dass weder meine Sangeskünste noch mein Spiel auf den vier Saiten des Cellos ausgereicht hätten, dort mitzuspielen. Wo wir gerade dabei sind: das Continuo aus Kontrabass und Cello war wirklich gut. Die beiden Instrumente trugen, insbesondere bei den Solopartien, die Sänger durch die Weiten des Doms.
Am 7. Januar werden die Teile IV bis VI aufgeführt. Wir haben beschlossen, nicht hinzugehen.