Liebe Tante Erika.
Ich bedanke mich für den Schal, den Du mir zu Weihnachten geschenkt hast. Ich habe mich sehr gefreut. Mutter hat gesagt, dass das aber mal ein praktisches Geschenk ist. Man kann so einen Schal ja auch wirklich gut gebrauchen
Unser Weihnachten war sehr schön. Zum Abendessen gab es Nudelsalat. Wir nennen das Kotzsalat, aber das dürfen wir nicht sagen.
Unser Weihnachtsbaum war wieder sehr schön. Vater hat gesagt, dass er so zaunrappeldürr ist, dass er gleich Feuer fangen wird. Ist aber dann doch nicht passiert.
Wie jedes Jahr hat sich Mutters Geschenketisch gebogen, weil sie so viele Pakete bekommen hat. Mein Tisch hat sich nicht gebogen, aber das lag vielleicht auch daran, dass ein Schal nicht sehr schwer ist.
Wie immer mussten wir viele Weihnachtslieder singen. Großmama hat gesagt, später würden wir froh sein, so viele Weihnachtslieder auswendig zu können, weil, wenn wir im Schützengraben liegen, dann helfen Weihnachtslieder, hat sie gesagt. Ich finde es ist eine Tierquälerei, wenn man ein Weihnachtslied nach dem anderen singen muss und man noch nicht weiß, ob der Geschenktisch mit dem Luftgeweht der für mich ist oder der mit dem Schal. Ferdinand, Du weißt, das ist mein älterer Bruder, hat nämlich von seinem Patenonkel ein Luftgewehr bekommen. Mein anderer Pate, der Onkel Max, hat mir eine Blockflöte mit einem Notenheft geschenkt. Mutter hat dazu nicht gesagt, dass das aber mal ein praktisches Geschenk ist. Wie ich Vater gesagt habe, dass es ungerecht ist, dass Ferdinand ein Luftgewehr bekommt, und ich eine Blockflöte, habe ich eine Schelle gefangen. Wegen Undankbarkeit, hat er gesagt.
Am zweiten Weihnachtsfeiertag hat dann der Ferdinand eine Schelle gekriegt, weil er einen Spatzen schießen wollte und dabei Großmamas Küchenfenster eingeschossen hat. Ich bin derweil Schlitten gefahren und war dankbar für Deinen Schal.
Morgen kommen unsere Vettern und Cousinen aus Ollendorf. Ich freu mich gar nicht darauf, weil sie mich wegen der Blockflöte auslachen werden.
Liebe Tante Erika, Du weißt ja, dass ich im März schon acht Jahre alt werde. Da wünsche ich mir dann von Dir was, was man nicht braucht, wo ich mich aber drüber freu.
Bitte grüße Onkel Ernst von mir.
Mit einem Handkuss bin ich Dein dankbarer Patensohn
Georg-Ludwig