Réaumur, das menschliche Hirn und Pilatus

René-Antoine Ferchault de Réaumur hat im Jahr 1730 eine nach ihm benannte Skala zur Wärmemessung entwickelt. Sie war nicht sehr genau, weil er bei ihrer Festlegung die Entwicklung von Ethanol zu Grunde legte, dessen Wärmeverhalten nicht linear verläuft.

Seit etwa 130 Jahren wird deshalb nicht mehr in Grad Réaumur gemessen, sondern in Grad Celsius.

Nur noch für die Alpkäseherstellung in Italien und in der Schweiz misst man in Réaumur. Das weiß ich nicht, weil ich so schrecklich gebildet bin, vielmehr habe ich dies alles durch Mausklick gegoogelt, Wenn ich das kann, sollte man annehmen, dass das auch andere tun können, bevor sie sich in Internet dazu äußern.

Nun hat gestern ein der österreichischen äußersten Rechten nahestehender Herr behauptet, die Erderwärmung sei inexistent, weil man bei der Einführung der Wärmemessung in Grad Celsius übersehen habe, dass, wenn man 80 °R gemessen habe, daraus schon 100 °C geworden seien. Also mehr. Klar, die Erderwärmung beruht auf einem Rechenfehler!

Nun will ich einen Moment in der vorgestellten Logik bleiben. Es ist ja so, dass menschliches Leben bei 80°R resp.100°C fast nie vorkommt. Eher bewegen wir uns in einem Umfeld von 20°C. Das aber entspricht 16 °R. Also weniger, siehe Foto.

Nun verlasse ich endgültig diese hirnverbrannte Logik um vom unwichtigen „Réaumurskandal“ auf die wirkliche Sauerei hinzuweisen:

Im Internet und auf Facebook werden wir zunehmend mit „Wahrheiten“ bombardiert, die uns peu à peu mit der verdrehten Weltwahrnehmung der neuen Rechten vertraut machen soll.

Neu ist an dieser Rechten ja nur, dass sie sich nach jahrzehntelangem Versteckspiel wieder aus der Deckung traut.

Zu den von ihr propagierten Inhalten zählen Leugnung des Klimawandels, Ablehnung jeglicher Zuwanderung, Relativierung rechtsstaatlicher Grundpfeiler, Verteufelung anderer Religionen, was nichts anderes bedeutet, als das Christentum zu politischen Zwecken zu missbrauchen, Rassismus, Feindschaft allem gegenüber, was nicht „normal“ ist. Hier kommt dann das „gesunde Volksempfinden“ zu seinem Recht.

Die oft peinlich unreflektierten „Kommentare“ im Internet zu Meinungen, die deutlich falsch, verfassungswidrig, unmenschlich oder einfach nur blöd sind, zeigt, wie gefährlich solche Meinungsmache ist.

Es sollte die Aufgabe jedes aufrechten Facebook Nutzers sein, solchen Meldungen stets und immer offensiv mit den Fakten in der Hand zu widersprechen und zu widerstehen.

Je mehr wir zulassen, dass Falschmeldungen unwidersprochen bleiben, desto mehr lassen wir zu, dass diese in die Sphäre der Wahrheit aufsteigen.

Wahrheit ist unumstößlich. Da die Wahrheit aber von Menschen als solche empfunden wird, wird sie relativiert. Das wusste schon der olle Pilatus.

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