In Thüngen gab es in der Untergasse ein Kino. Dort wurden in Farbe Filme wie „Urlaub am Wolfgangsee“ oder „Gitte singt an der Adria“ gezeigt. Aber einmal gab es einen Film in schwarz-weiß und es war ja auch durchaus sinnvoll, dass der dann über Luther ging. Das war mein erster Kontakt mit dem Reformator und ich habe ihn gleich kommerzialisiert, war somit dem Jahr 2017 schon weit voraus:
Ich konnte die Szene, in der Bruder Martin seine Zelle schrubbt so gut nachmachen, dass mir ein Großvater dafür jedes Mal 50 Pfennige gab.
Später nervte Dr. Martin Luther nur noch. Allein im Gymnasium haben wir ihn fünf Mal durchgeknetet, zwei Mal im Geschichtsunterricht, zwei Mal in Religionsunterricht und ein Mal im Deutschunterricht. Interessent war, dass materieübergreifend fünf Mal das Gleicht erzählt wurde. Es ging nicht um Inhalte. Es ging um den Antagonismus zu Rom. Es wurde nur erzählt, was Luther (zu Recht natürlich) an den Katholen Schieße fand.
Geht ja auch nicht, Sünden zu vergeben gegen Zaster. Und dieses ständige Gedöns mit der Mutter Gottes! Jeder Mensch hat eine Mutter und soo oft kommt diese Maria in der Bibel auch wieder nicht vor. Und diese Heiligenbildchen! Da schauen wir uns doch lieber unseren Martin an, den hat nämlich Lucas Cranach gemalt, und der war Franke.
Tatsächlich wurde nie inhaltlich besprochen, was Luther für den christlichen Glauben bedeutet hat. Man erkannte das ganz besonders daran, dass unsere Lehrer die Finger tunlichst vom Thema der Eigenverantwortlichkeit des Christenmenschen ließen. Naja, es waren die Sechziger und man wollte seine Eleven ja nicht „streggsdilängs“ in die Arme des SDS treiben, Rudi Dutschke und so. Selbständiges Nachzudenken war nicht unbedingt Lernziel. Nein, blöd ließ man uns nicht, aber es war doch schon so gedacht, uns beizubringen, innerhalb gewisser Grenzen nachzudenken, „mental containment“ halt.
Und das mit dem Zölibat. Tunlichst nicht in die Details gehen, aber es wurde schon darauf hingewiesen, dass das evangelische Pfarrhaus ein Born der Gelehrsamkeit war und ist, ohne das die Sache mit den Dichtern und Denkern gar nicht vorstellbar ist. Jean Paul kann man zwar heute nichtmehr lesen, aber wichtig, also wichtig war er schon. Ebenso wir Hermann Hesse, wenn an auch gewisse Bücher von ihm besser von der Jugend fernhält. Und im Nachhinein kommen ja da noch Einige andere dazu: Gudrun Ensslin, naja, der hatte man das mit der Eigenverantwortlichkeit vielleicht zu intensiv dargelegt, sonst wäre die nie vom Pfarrhaus zur Baader Meinhof Bande gewechselt. Aber die hier, das ist jetzt wirklich mal ein schönes Beispiel: Angela Merkel! Wenn es die damals schon gegeben hätte, hätten wir sie bestimmt auch fünfmal durchnehmen müssen.
Naja, und solche Geistesgrößen hat das katholische Pfarrhaus eben nie hervorgebracht. Nur Abschreckendes gab es von den Ultramontanen zu berichten, Hexenverbrennung, Ämterkauf, Nepotismus und natürlich Alexander VI, die Sau. Im Kloster Schönthal gibt es eine Gedenkplatte mit dem Bildnis eines Papstes Alexander. Ich habe gesehen, wie meine Mutter davor die Faust ballte und „Drecksau, elende“ flüsterte. Naja, es war nur Alexander III, macht ja auch nix.
Ich wundere mich, wie es bei all dieser Indoktrination doch hatte passieren können, dass ich die Katholiken stets als Mitchristen ansah, dass ich nie dachte, die seien schlechter. Zum Zorn so manchen Eiferers denke ich unterdessen, dass sie nicht mal anders sind, denn es geht um die Essenz, nicht um das Dekorum.
Aber kehren wir zurück in unsere Kindheit. Damals spielte der Reformator eine immense Rolle als Hilfe zum „Mädla ärchern.“
Das ging so: Man lief neben einem Mädchen her und sagte: Doggder Maddin Ludder ging mid seinä Frau in die grüne … und dann kniff man die Mitschülerin in den Oberarm. Wenn sie „au“ sagte, war der Spaß gelungen.
Ein weiterer Beitrag zur intellektuellen Reifung der fränkisch-lutherischen Jugend, der dem Bruder Martin im Paradiese angerechnet werden wird.