Jagd, Schnaps und ein Fürst in Gefahr

Wenn es kalt wird, gehen die Franken zur Jagd. Zumindest tun es die Franken, die auf dem Land leben.

Natürlich gibt es unzählige Geschichten und Anekdoten, seltsamerweise nur wenige über wirkliche Jagdunfälle. Ein solcher passierte meinem Großvater während einer Drückjagd in der Rhön. Bei eisiger Kälte saß er und wartete auf Sauen oder sonst erlegbares Wild, als einem nur wenige Dutzend Meter neben ihm stationiertem Schützen eine Sau kam. Dieser schoss, fehlte, die Kugel traf eine vereiste Buche, wurde in ihrem Lauf abgleitet und schoss meinem Großvater den linken Ringfinger ab. Das Schlimme war, dass er sich auf Fronturlaub befand und ihm daher der Prozess wegen des Verdachts auf Selbstverstümmelung gemacht wurde. Glücklicherweise blieb das ergebnislos, seine fünf Töchter aber verbreiteten derweil, ihr Vater habe sich den Finger beim Nasepopeln abgebrochen. Wenn wir als Buben der gleichen Tätigkeit nachgingen, wurden wir anhand seines Beispiels gewarnt. Mein Entsetzen ist nur schwer beschreibbar, als ich merkte, dass dem geliebten Großvater tatsächlich ein Finger fehlte.

Öfter als die Schützen trifft es die Treiber. Bei Hasenjagden, bei denen mit Schrot auf die armen Tiere geschossen wird, ist es fast schon üblich, dass die Treiber die „Schrödn“ spüren. Das passierte auch dem „Schorschla“ einem alten Mann aus dem Dorf. Es war klar, dass der Schrot, der auf den Boden seiner Lederhose prasselte, nur aus der Flinte vom Brauers Werner stammen konnte. Wutentbrannt, die Fäuste schüttelnd, lief der Getroffene auf den Schützen zu. Der blieb ganz ruhig stehen. Als er die Schnapsfahne vom Schorschla bereits riechen konnte, sagte er nur lapidar:

„Schorsch, ich will der a mol wos sooch: Du wennst kann Spaß versdesd, bleisd dahamm.“ Die Sache war damit ausgestanden, will man davon absehen, dass der Werner abends einige Seidla had müss spendier.

Schnaps spielt bei den Jagden natürlich eine riesige Rolle. Vor vierzig Jahren war es im Winter noch wirklich kalt, 15 bis 20 Grad unter Null waren keine Seltenheit.

An einem dieser lausig kalten Tage war ich Treiber in Thüngen. Vorneweg ein Traktor, wurden wir auf Strohballen sitzend zu unserem Einsatzort kutschiert. Die Schnapsflasche kreiste unablässig. Auch Frantek saß mit auf dem Wagen. Er war als polnischer Zwangsarbeiter im Krieg gekommen und dann geblieben. Frantek sprach gebrochen Deutsch, lebte alleine, und hatte einen hellblauen Opel Kadett, mit dem er jeden Samstagabend nach Würzburg fuhr. Man munkelte… Oft war er Opfer harmloser Witzeleien. An diesem Tag fragte ihn einer der Treiber:

„Frantek, wie mecht mer a gscheids Kind?“ Als keine Antwort kam, lieferte diese der Frager selbst: „Nüchdern und mid viel Liebe. Und, Frantek, wie mechd mer a dumms Kind? Wieder keine Antwort und dann: „Freech amol dein Vaddä!“ Grölendes Gelächter, die Schnapsflasche kreiste weiter.

Abends wurde die Strecke gelegt und verblasen. Dass auf einer Drückjagd eigentlich nur Hasen und womöglich Füchse geschossen werden sollten, war allen klar, Wenn dann aber auch mal ein Reh dabei war, dann wurde das halt erst vom Wagen abgeladen, wenn die Jagdhörner schon am Kleiderhaken im Schwarzen Adler hingen.

Einer dieser langen Jagden in der Rhön, hatte sich mein Großvater jemanden aus dem Dorf als Chauffeur mitgenommen. Als die Jagd vorbei war, merkte er, dass sein Fahrer die Zeit genutzt hatte, sich einen einzuhelfen. Er wurde mit Schimpf und Schande auf den Rücksitz verbannt und vorne saß neben meinem Großvater der Siegfried Castell. Nach einigen Kilometern Fahrt tippte der Betrunkene von hinten dem Beifahrer auf die Schulter und brabbelte: Fürschd, mach‘s Fenster auf, ich muss mich kotz!“

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