Coburg, Fürsten sind Menschen, vom Weibe geboren.

Zu den Zeiten, als es noch Rotenhan Bräu gab, schlicht „Göcherles Brüh“ genannt, hatte unser Vater öfters in Coburg zu tun. Es gab da eine Bier Niederlassung und der Betreiber als auch die Wirtschaften mussten ab und zu besucht werden. Wir Kinder fuhren immer liebend gerne mit nach Coburg, mit kurzem O, bitteschön. In den zu besuchenden gastronomischen Betrieben musste halt Zeche gemacht werden, und da fiel für uns immer eine Limo ab.

Wirklich wichtig aber war der anschließende Besuch auf dem Marktplatz. In meiner Erinnerung standen dort drei Bratwurststände nebeneinander, aus denen es qualmte. Sie verbreiteten einen wunderbaren Duft über den ganzen Platz.

In Coburg werden die Bratwürste nicht auf Holzkohle gebraten, sondern auf „Dannabetz“. Hochdeutsch und biologisch korrekt müsste man Kiefernzapfen sagen. Wenn das austretende Fett in die Glut tropfte, stieg eine riesige Stichflamme nach oben. Die Würste sind entsprechend krebserregend. Aber davon wusste man damals noch nichts. Wir genossen einfach unsere außen schwarze und innen saftige „Eigazwiggda“. Die heißen noch heute so, weil sie in ein Weggla eingezwickt werden. Man konnte auch „a dobblda Eigazwiggda“ haben, aber das nur an ganz hohen Feiertagen der Christenheit.

Die Bratwurst ersetzte das Mittagessen und danach mussten wir wegen der Verdauung auf die Veste laufen. Das langweilte uns natürlich schrecklich, nur der Eingang hatte es uns angetan. Dort hängt oben drin ein Tor aus unten angespitzten Balken. Wir taten immer so, als ob es jeden Moment runterkrachen würde und man sich nur durch schnelles Durchhuschen davor retten konnte, jämmerlich aufgespießt zu werden.

Von innen kannten wir die Veste, soweit zugänglich, bald in- und auswendig. Mich beeindruckten die verschieden hohen Stühle am Esstisch. Alle, Große und Kleine sollten den Kopf auf der gleichen Höhe haben. Unser Vater machte uns darauf aufmerksam, dass die tieferen Stühle, auf denen die Herren saßen, meist ein schmutziges Dreieck aufwiesen. Da hatten die Herren gekleckert, während die Röcke der Damen den Überzug vor deren Kleckereien schützten.

Etwas Besonderes war immer der Besuch auf dem Vogelschuss. So heißt in Coburg das, was in Rentweindorf „Kerwa“ genannt wurde. Der Vogelschuss war in meiner Erinnerung aber mindestens zwanzig Mal größer. Es gab alles im Plural: Karussells, Schießbuden, Zuckerwatte und natürlich wieder Eigazwiggda.

Später kam das Landestheater hinzu. Als erstes sah ich Madama Butterfly und habe mich trotz des Harakiri der Cio-Cio San schrecklich gelangweilt. Toll war allerdings, dass nach der Pause der böse Pinkerton plötzlich sang: „Der Baron Rotenhan soll nach her seine Brieftasche an der Sektbar abholen“.

Später haben wir immer eine der Proszeniumslogen gemietet, die hatten vor der Renovierung hinten dran einen kleinen Salon. So arteten die Pausen immer in mittlere Gelage von mitgebrachtem Sekt aus.

Der Opernchor, egal ob „Die Fledermaus“ oder „La Traviata“ gegeben wurde, sah gleichbleibend so aus, als sei der Kirchenchor aus der Moritzkirche ins Theater umgezogen.

Manchmal traf ich im Theater meinen Patenonkel Alhard Schack. Sein Vater war Hofmarschall beim letzten Herzog gewesen und sang beim Rasieren immer den Choral „Lobe den Herren o meine Seele“, allerdings den zweiten Vers, der so beginnt: „Fürsten sind Menschen, vom Weibe geboren, // und kehren um zu ihrem Staub.“ Offenbar konnte er seine Herrschaft nur mit dieser Gewissheit ertragen.

Onkel Alhard zeigte manchmal auf die untere rechte Proszeniumsloge. Dort habe in seiner Jugend der abgedankte Zar Ferdinand von Bulgarien gesessen. „Von dort unten hat er sich immer die schönsten Tänzerinnen ausgeguckt.“ Zu meiner Zeit war er aber bereits zu seinem Staub umgekehrt.

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