Der schnöde Mammon

Geld spielte in unserer Jugend keine Rolle. Wir bekamen kein Taschengeld und es wurde auch nicht darüber geredet.

Der Grund war wohl der, dass niemand wirklich etwas davon verstand. Weshalb in der Weimarer Republik das Geld plötzlich nichts mehr wert war, wie eine Inflation entsteht, was ist Geldpolitik? All das waren Fragen, die in einem kleinen Dorf in Unterfranken wirklich niemanden interessierten.

Die Bewegungen der Holzpreise waren Indikatoren dafür, ob wir zu Weihnachten und Geburtstagen mehr oder weniger Geschenke bekamen.

Geld in der Hand hatten wir als Kinder sowieso nie. Außer an der Kirchweih. Da bekamen wir vom Vater 1 Mark und vom Großvater 50 Pfennige. Das reichte natürlich hinten und vorne nicht für die Schießbude, das Karussell und für den Losverkäufer. Die Kunst lag nun darin die Großmutter, Tanten und Onkel anzuschnorren, ohne dass es wie schnorren aussah. Die merkten es natürlich sofort. Betteln war eben verboten und so musste es eher vor unseren eigenen Augen so aussehen, als bettelten wir nicht.

Irgendwie gelang es uns immer über die Runden der Kirchweihtage zu kommen. Am Ende hatten wir einige Stoffblumen geschossen, genügend im Karussell gesessen und auch so manche Bratwurst verspeist.

Später gab es Geld für Schulnoten: Für eine Eins, eine Mark, für eine Zwei nichts und für eine Drei fünfzig Pfennige. Schlechtere Noten waren in der Volksschule nicht vorgesehen. Als wir auf’s Gymnasium kamen, sollte sich das blitzartig ändern.

Wenn wir unseren Großvater in Thüngen besuchten, schenkte er uns immer 5 Mark. Er war unermesslich reich, denn er fuhr einen Mercedes. 5 Mark war ein Vermögen, das in Thüngen allerdings recht schnell schmolz, denn dort gab es einen Spielzeugladen. In Rentweinsdorf gab es nichts zu kaufen außer einem Fümferlutschä vielleicht. Halt, es gab auch Zehnerkaugummi, aber die waren verboten, ebenso wie Mickey Maus Hefte. Mutter war überzeugt, Kaugummi und Mickey Maus führten direkt in die Kriminalität. Als ich später anfing, den Spiegel zu lesen, war es der Vater, der in ein ähnliches Horn blies.

Bis heute habe ich kein richtiges Verhältnis zum Geld. Ich bin der Meinung, dass man genug davon verdienen muss, um es ausgeben zu können. Sparen, anlegen, investieren? Ich habe keinen Schimmer wie man das macht.

Diese Ahnungslosigkeit macht mir zwar das Leben leicht, ist aber sicherlich die Folge davon, dass über Geld nicht gesprochen wurde. In meinem nun schon langen beruflichen Leben habe ich immer wieder Menschen erlebt, denen ich gerne auf fränkisch zugerufen hätte: „Das ledsde Hemd had keine Daschn!“

Oft haben diese Bekannten, Freunde oder Mandanten mit einer beneidenswerten Behändigkeit Geld verdient und vermehrt. Am bemerkenswertesten fand ich den, der außer Ruhr-Platt keine Sprache beherrschte. Er brachte es zum wichtigsten deutschen Importeur für Herrensocken. Er flog jedes Jahr nach Fernost und nahm sich einen Dolmetscher für Ruhr-Platt und Englisch mit. Nach ein paar Jahren war er Multimillionär.

Ich hätte das nie geschafft, ich weiß auch warum: Frau Schorn, die Köchin meiner Mutter, würzte alljährlich ihre Neujahrswünsche mit diesem Satz:

„Den Gäld sei Hanswurschd und in ein Kallobb auf’n Krab zu!“

Wenn man das verinnerlicht, kann man gar nicht Millionär werden!

Bio Bio

Einmal im Monat muss ich in den Bio Markt. Ich brauche Hafer. Nicht etwa für meinen Gaul, sondern für mein Frühstücksmüsli. Es ist mir jedes Mal ein Angang, denn nirgendwo sonst fühle ich mich so deplatziert wie im Bio Markt.

Außer mir, einem übergewichtigen Barockmenschen, der das Leben und dessen Annehmlichkeiten liebt und lebt, sehe ich Bedenkenträger. Sie sehen alle besorgt aus. Etwa hier am Tee Regal die frühergraute schlanke Dozentin mit bernsteinfarbiger Hornbrille. Sie grübelt vor der Unmenge von Abnehm- Aufwach-, Gutelaune- und Wohlfühltees. Sie schaut mich vorwurfsvoll an, weil ich ohne zu zögern die Osterfriesenmischung greife. Ihr Mann guckt solidarisch, in dem Fall auch vorwurfsvoll. Er schaut und tut immer das, was die angetraute Dozentin vormacht. Sie ist das Alpha-Weibchen, er, wenn‘s hochkommt, ein Delta-Männchen. Neben Tee nehmen sie nur noch Karotten (roh) und natürlich Quinoa zu sich.

Hinter mir quengelt ein Kind, das sich an der nordindischen Pluderhose der Mutter festhält. „Ich will einen Lolli!“ Die Mutter verdreht die Augen, und gibt zu verstehen, dass sie ganz bestimmt nicht daran schuld ist, dass ihre Tochter derart unkorrekte Gelüste hat. Es muss der Einfluss der Oma sein, bei der der Vater das Kind an seinen Besuchstagen abgibt.

„Ich will aber einen Lolli!“ Die Mutter gibt auf. Sie greift ins Kinderregal, wo es tatsächlich einen Bio-Lolli gibt. Den kauft sie aber nicht. Sie wählt eine Packung auf der steht „Zum Naschen für Kids“ Auf dem Preisschild steht 3,48 €. Als die beiden zum Obststand entschwinden schau ich nach: Es sind 80 g Kürbiskerne drin. Kilopreis um die 42 €. Das ist Naschen auf hohem Niveau.

Vor dem Eierstand streitet ein veganes Paar. Dass sie es sind, steht auf ihrer Einkaufstüte. Komisch, dieses Mitteilungsbedürfnis. Aber darum geht es gar nicht. Der Vater weigert sich strikt, Eier zu kaufen. „Du weißt doch, wir nutzen keine Tiere aus!“

Nun, und das sollte für jeden Mann ein Warnsignal sein, versucht die Mutter mit säuselnder Stimme ihn zu überzeugen. „Es ist doch nicht für uns. Aber du weißt doch, der Kinderarzt hat gesagt, wir sollten in Hiobs Roggenschrotpfannkuchen wenigstes ab und zu ein Ei beimischen. Ein Kind braucht Substanz im Essen, hat er gesagt“

Man einigt sich auf ein Ei. Es wird in eine Sechserschachtel verpackt. „Diese Verpackungsexzesse bringen mich noch um den Verstand!“ Der Mann lenkt vom ursprünglichen Sujet ab, um seine Niederlage zu vertuschen.

Die Dozentin hat den Delta- Mann unterdessen zum Obststand geschickt. „Aber achte darauf, dass die Bio-Gurke nicht in Plastik eingepackt ist“ weist sie ihn lautstark an. Darauf durchsuchen alle andere ihren Einkaufskorb. Gottlob, die Gurke ist unverpackt.

Die Fleischtheke gibt es nicht mehr. Offenbar ist mit veganer Kosmetik mehr Umsatz zu machen.

Nun kommt meine Lieblingsphase des Einkaufs: Schlange stehen vor der Kasse. Dort sitzt Don Competente. Er ist liebenswürdig, hilfsbereit, immer zu einem netten Wort aufgelegt, aber er hat die Umständlichkeit erfunden. Hinzu kommt, dass er es sich zur Aufgabe gemacht hat, bei fast jedem Artikel den Kunden auf alternative, womöglich günstigere Angebote hinzuweisen. „Der Bio Emmentaler aus dem Allgäu ist heute billjer.“

Darauf nimmt die Mutter in der nordindischen Pluderhose den Käse, hastet zum Stand, über dem „Fromagerie“ steht. Die Tochter lässt sie unter der Obhut von Don Competente. Der steckt ihr erstmal ein garantiert Nicht-Bio-Bonbon zu. Dann kommt die Mutter mit dem selben Käse zurück. „Der Allgäuer war schon aus.“

Während sich die Käuferschlange bis zum Regal mit Bio-Schuhcreme staut, meint Don Competente: „Na, wenjstens ham wa’s versucht.“

Die frühergraute Dozentin stöhnt, ihr Mann tut solidarisch Gleiches.

General Mladic verurteilt

Das Gericht, das über die Verbrechen im Jugoslawien-Krieg urteilt, hat den General Mladić zu lebenslanger Haft verurteilt.

Das ist gut so und war notwendig.

Es gibt allerdings zwei Gründe, weshalb das Urteil nicht wirklich befriedigt:

  1. Kaum war das Urteil gesprochen, brandete in Serbien und in der serbischen Teilrepublik von Bosnien Herzegowina eine Welle der Solidarität mit dem Kriegsverbrecher auf. Seine Schuld wurde bestritten, er wurde als Held und Vorbild gefeiert. Der serbische Präsident Vučić ist dem nicht etwa entgegengetreten, vielmehr hat er sich dem angeschlossen. Solange das so ist, müssen die Beitrittsverhandlungen mit Serbien auf Eis gelegt werden.
  2. Das Tribunal tagte in den Niederlanden. Sogar der Vorsitzende war Niederländer. Zumindest das Zweite hätte vermieden werden müssen. Was die Welt offenbar vergessen hat, ist der Skandal, dass die Morde von Srebrenica unter den Augen der niederländischen UNO Truppen geschehen konnten. Schon damals hat man dieser Truppe entweder Unfähigkeit oder Feigheit vorgeworfen. Dass nun ein Niederländer dem Gericht vorsitzt, das den Mann verurteilt, dessen Verbrechen in Srebrenica erst durch das Wegschauen der NL-Truppe möglich wurde, gibt der ganzen Sache ein „Geschmäckle“.

Die Russn kumma!

„Hinder Marro wohnd der Russ“, predigte die Dorett, die Köchin meines Großvaters. Das war unbestreitbar so, denn wenn man hinter Maroldsweisach rechts in einen Feldweg einbog, landete man nach wenigen hundert Metern am Stacheldraht. Von den Türmen wendeten sich Ferngläser und Gewehre in Richtung der Neugierigen.

Maroldsweisach liegt an der Weisach, wer der Herr Marolds war, blieb ungeklärt, war auch egal, denn alle sprachen nur von „Marro“.

An sich wäre das mit dem Russen hinter Maroldsweisach gar nicht so schlimm gewesen, aber in Marro endete die Bahnlinie von Bamberg. Das bedeutete, dass „der Russ“ dort am Bahnhof nur ein Billett lösen musste und über Voccawind –  Todtenweisach – Pfaffendorf – Junkersdorf – Pfarrweisach – Fischbach – Eyrichshof – Ebern, schwupp war er schon in Rentweinsdorf. Das kostete ihn pro Mann 20 Pfennig und dauerte etwa eine Stunde.

Die Bummelbahn hieß im Volksmund „Marroganer“ oder „der Marroggo Express“. Die Personenbeförderung war nur ein Nebenprodukt, denn ursprünglich war die Bahnlinie gebaut worden, um den Basalt aus den Brüchen bei Marro und Voccawind abtransportieren zu können. Der letzte Zug fuhr in Bamberg um 22 Uhr ab. Er hieß „der Lumpensammler“, denn wer sonst hätte so spät noch in der Stadt zu tun gehabt?

Dort in Bamberg gab’s immerhin „die Ami“. Wenn die die Bahn genommen hätten, wenn der Russ kummd, wären sie genau in der Mitte, in Rentweinsdorf nämlich, aufeinandergeprallt und hätten unser Dorf in ein Schlachtfeld verwandelt.

Meine Angst vor den Russen war schier unbeschreiblich. Wenn irgendetwas im Dorf krachte, von der Flur der Schuss eines Jägers zu hören war, wenn die Kirchenglocken außer der Reihe läuteten, immer gab es einen, der im Diskant „die Russn kumma“ schrie.

Die Russen waren ja noch dazu Leute, die nicht an den lieben Gott glaubten, Kommunisten! Sie hatten unsere halbe Verwandtschaft, die im Osten Deutschlands gelebt hatte, vertrieben. Während „die Ami“ über den Ozean gekommen waren, nur um uns zu helfen! Und fromme Christen waren sie auch noch! Obwohl, ein paar von denen waren „Neecher“AA. Vor denen hatten wir zunächst ebenfalls Angst, aber es stellte sich heraus, dass die einem viel mehr Kaugummi schenkten, als ihre weisen Kameraden. Die Russen, die wussten ja nicht einmal, was Kaugummi ist, erzählte die Dorett.

Die verkürzte Wahrnehmung unserer jüngsten deutschen Geschichte, war damals gang und gäbe. Es wäre ja auch zu schwierig gewesen, zu erklären, wie das denn kam, dass „die Ami“ und „der Russ“ zunächst zusammen gegen die Deutschen gekämpft hatten. Wie auch?“ Die Deudschn warn ümmä die Gudn“, sagte die Dorett und keiner widersprach. Wozu auch? Es war ja so!

Mit zehn Jahren kam ich dann nach Schondorf am Ammersee ins Internat. Das war wohl meine Rettung. Die Angst vor den Russen ist mit auch dort noch jahrelang geblieben. Aber wenigstens wurden wir nicht in so hanebüchener Weise der Geschichtsklitterung ausgesetzt.

Der „Marroggo Express“ endet jetzt in Ebern. In Rentweinsdorf hält er nicht immer. Man muss zuvor etwas Wunderbares drücken: Die „Haldewunschdasde.“

Coburg, Fürsten sind Menschen, vom Weibe geboren.

Zu den Zeiten, als es noch Rotenhan Bräu gab, schlicht „Göcherles Brüh“ genannt, hatte unser Vater öfters in Coburg zu tun. Es gab da eine Bier Niederlassung und der Betreiber als auch die Wirtschaften mussten ab und zu besucht werden. Wir Kinder fuhren immer liebend gerne mit nach Coburg, mit kurzem O, bitteschön. In den zu besuchenden gastronomischen Betrieben musste halt Zeche gemacht werden, und da fiel für uns immer eine Limo ab.

Wirklich wichtig aber war der anschließende Besuch auf dem Marktplatz. In meiner Erinnerung standen dort drei Bratwurststände nebeneinander, aus denen es qualmte. Sie verbreiteten einen wunderbaren Duft über den ganzen Platz.

In Coburg werden die Bratwürste nicht auf Holzkohle gebraten, sondern auf „Dannabetz“. Hochdeutsch und biologisch korrekt müsste man Kiefernzapfen sagen. Wenn das austretende Fett in die Glut tropfte, stieg eine riesige Stichflamme nach oben. Die Würste sind entsprechend krebserregend. Aber davon wusste man damals noch nichts. Wir genossen einfach unsere außen schwarze und innen saftige „Eigazwiggda“. Die heißen noch heute so, weil sie in ein Weggla eingezwickt werden. Man konnte auch „a dobblda Eigazwiggda“ haben, aber das nur an ganz hohen Feiertagen der Christenheit.

Die Bratwurst ersetzte das Mittagessen und danach mussten wir wegen der Verdauung auf die Veste laufen. Das langweilte uns natürlich schrecklich, nur der Eingang hatte es uns angetan. Dort hängt oben drin ein Tor aus unten angespitzten Balken. Wir taten immer so, als ob es jeden Moment runterkrachen würde und man sich nur durch schnelles Durchhuschen davor retten konnte, jämmerlich aufgespießt zu werden.

Von innen kannten wir die Veste, soweit zugänglich, bald in- und auswendig. Mich beeindruckten die verschieden hohen Stühle am Esstisch. Alle, Große und Kleine sollten den Kopf auf der gleichen Höhe haben. Unser Vater machte uns darauf aufmerksam, dass die tieferen Stühle, auf denen die Herren saßen, meist ein schmutziges Dreieck aufwiesen. Da hatten die Herren gekleckert, während die Röcke der Damen den Überzug vor deren Kleckereien schützten.

Etwas Besonderes war immer der Besuch auf dem Vogelschuss. So heißt in Coburg das, was in Rentweindorf „Kerwa“ genannt wurde. Der Vogelschuss war in meiner Erinnerung aber mindestens zwanzig Mal größer. Es gab alles im Plural: Karussells, Schießbuden, Zuckerwatte und natürlich wieder Eigazwiggda.

Später kam das Landestheater hinzu. Als erstes sah ich Madama Butterfly und habe mich trotz des Harakiri der Cio-Cio San schrecklich gelangweilt. Toll war allerdings, dass nach der Pause der böse Pinkerton plötzlich sang: „Der Baron Rotenhan soll nach her seine Brieftasche an der Sektbar abholen“.

Später haben wir immer eine der Proszeniumslogen gemietet, die hatten vor der Renovierung hinten dran einen kleinen Salon. So arteten die Pausen immer in mittlere Gelage von mitgebrachtem Sekt aus.

Der Opernchor, egal ob „Die Fledermaus“ oder „La Traviata“ gegeben wurde, sah gleichbleibend so aus, als sei der Kirchenchor aus der Moritzkirche ins Theater umgezogen.

Manchmal traf ich im Theater meinen Patenonkel Alhard Schack. Sein Vater war Hofmarschall beim letzten Herzog gewesen und sang beim Rasieren immer den Choral „Lobe den Herren o meine Seele“, allerdings den zweiten Vers, der so beginnt: „Fürsten sind Menschen, vom Weibe geboren, // und kehren um zu ihrem Staub.“ Offenbar konnte er seine Herrschaft nur mit dieser Gewissheit ertragen.

Onkel Alhard zeigte manchmal auf die untere rechte Proszeniumsloge. Dort habe in seiner Jugend der abgedankte Zar Ferdinand von Bulgarien gesessen. „Von dort unten hat er sich immer die schönsten Tänzerinnen ausgeguckt.“ Zu meiner Zeit war er aber bereits zu seinem Staub umgekehrt.

Wirtschaft wächst am Bosporus

Neulich las ich in der Zeitung über den unerwartet guten Lauf der Wirtschaft in der Türkei. Zuvor hatte ich von deren Rückgang erfahren, die ausländischen Investoren blieben aus, zumal die Elite des Landes im Gefängnis säße und man daher die guten Fachkräfte des Landes nicht einstellen könne.

An sich interessiert mich die Wirtschaft am Bosporus eher wenig, es reicht, wenn ich mich über Erdogan ärgere.

Diesmal aber bin ich der Sache nachgegangen und habe gelernt, dass es die Baubranche ist, die zu diesem so guten Ergebnis führt.

Das Bauen hat bekanntlich den Vorteil, dass man dazu keine ausländischen Investoren oder importierte High-Tec braucht.

Als in Spanien der Bauboom begann, machten die Banken Menschen, die einen Bauplan nicht verstehen zu Bauunternehmern. „El Pocero“ der Brunnenbauer, stieg zum größten Bauunternehmer des Landes auf: Er brüstete sich damit, dass seine Yacht größer war, als die des Königs. Er war Analphabet.

Das außergewöhnlich große Wirtschaftswachstum Spaniens zu Beginn dieses Jahrhunderts lag nur am Bauboom, der ausschließlich dadurch befördert wurde, dass die Banken zu viel Geld hatten. Hinter vorgehaltener Hand gab man auch zu, dass ein Teil davon aus Medellín stammte. Bedarf an so vielen neuen Wohnungen gab es keinen. Und so stand Spanien 2009 plötzlich mit einer Million unverkauften Wohneinheiten da. Auf jeder lastete eine Hypothek von durchschnittlich 200.000 €. Macht 200.000.000.000 €, zweihundert Milliarden €. Das verkraftet keine Volkswirtschaft.

Doch zurück zu Türkei: Die Bautätigkeit wird durch staatliche Kredite finanziert. Daran ist zunächst nichts Böses. Wenn man aber überlegt, dass der Tourismus, die industrielle Produktion des Landes und die ausländische Investition stagnieren, wenn nicht rückläufig sind, dann fragt man sich, wer die neuen Wohnungen, Büros und Hotels nutzen wird?

Es steht zu befürchten, dass in der Türkei Ähnliches passiert wie damals in Spanien: Fremdfinanzierte Immobilien stehen unverkauft herum und verrotten. Das wäre an sich schon ein riesiger volkswirtschaftlicher Schaden. Aber auch in der Türkei binden fremdfinanzierte unverkaufte Immobilien das in sie investierte Geld und auch in der Türkei laufen die Zinsen selbst dann weiter, wenn abzusehen ist, dass die staatlichen Kredite abgeschrieben werden müssen?

Es stellt sich daher die Frage, wer die Zeche zahlt? Der türkische Steuerzahler, wer denn sonst?

Im Grunde bedeutet all das, dass Erdogan mit dem Rücken and er Wand steht und er sein Image als Wirtschaftswundermann nur noch durch Kurbelei am Gelddrucker aufrecht erhalten kann.

Ein Hauch von Landesverrat

„I do solemnly swear that I will faithfully execute the Office of President of the United States, and will to the best of my Ability, preserve, protect and defend the Constitution of the United States.“

Womöglich wird ihn das Wort „Ability“ retten, denn offenbar hat er keine Fähigkeit. Wenn man sich das Tätigwerden des 45. Präsident anschaut, dann muss man unwillkürlich überlegen, zu wessen Gunsten er eigentlich sein Land führt.

„America first, America first!“ hat er so in seiner Antrittsrede gesagt.

Und dann ist er aus dem pazifischen Wirtschaftspakt (TPP) ausgetreten und hat damit der Volksrepublik China ein Geschenk gemacht, das so riesig ist, dass man in Peking sein Glück noch gar nicht fassen kann.

Beim Wirtschaftsgipfel in Da Nang sagte er, die USA werden mit jedem Land des Pazifikraumes bilaterale Abkommen schließen, das an fairem Handel interessiert sei. Da lachten sich die Chinesen ins Fäustchen.

Eines ist sicher, nie hat ein US Präsident seinem Land solchen wirtschaftlichen Schaden zugefügt wie der, der sich brüstet, ein „master oft he deal“ zu sein.

Kaum hatte sich das „Staunen der Welt“ gelegt, sagt er doch glatt, er glaube dem Präsidenten aus Moskau, wenn dieser sagt, er habe den US Wahlkampf nicht beeinflusst. Das glaubt zwar nicht einmal Tante Mathilde, aber jeder darf dem Glauben schenken, dessen er für würdig erachtet.

Aber darf das der Präsident der USA? Natürlich nicht, denn wenn der dem machtpolitischen Gegner glaubt, obwohl alle seiner unzähligen Geheimdienste das Gegenteil sagen, dann desavouiert er damit nicht nur diese, sondern recht eigentlich sein ganzes Land.

„Stupor mundi“, das Staunen der Welt, das war Friedrich der Staufer, ein Egomane, der ein großer Staatsmann war. Diesmal staunt die Welt über einen Egomanen, dem es gelingt, sich zur Lachnummer zu degradieren.

Derzeit melden sich die USA von der politischen und wirtschaftlichen Weltbühne ab.

So etwas hat es schon immer gegeben. Weltmächte kommen und gehen, aber bisher sind sie nie freiwillig gegangen.

Der Schaden, den der 45. Präsident seinem Land zufügt, ist ebenso irreversibel wie die Gletscherschmelze. Einmal preisgegebener Boden kann in beiden Fällen nie wieder zurückgewonnen werden.

Man könnte amüsiert zuschauen. Dazu aber ist die Lage zu ernst.

Wird das noch drei Jahre oder gar vier weitere Jahre dauern? Ich befürchte, dass es so sein wird.

Es wird selbst dann so sein, wenn man in den USA bemerkt, dass der Amtsführung des 45. Präsidenten ein Hauch von Landesverrat anhängt.

Réaumur, das menschliche Hirn und Pilatus

René-Antoine Ferchault de Réaumur hat im Jahr 1730 eine nach ihm benannte Skala zur Wärmemessung entwickelt. Sie war nicht sehr genau, weil er bei ihrer Festlegung die Entwicklung von Ethanol zu Grunde legte, dessen Wärmeverhalten nicht linear verläuft.

Seit etwa 130 Jahren wird deshalb nicht mehr in Grad Réaumur gemessen, sondern in Grad Celsius.

Nur noch für die Alpkäseherstellung in Italien und in der Schweiz misst man in Réaumur. Das weiß ich nicht, weil ich so schrecklich gebildet bin, vielmehr habe ich dies alles durch Mausklick gegoogelt, Wenn ich das kann, sollte man annehmen, dass das auch andere tun können, bevor sie sich in Internet dazu äußern.

Nun hat gestern ein der österreichischen äußersten Rechten nahestehender Herr behauptet, die Erderwärmung sei inexistent, weil man bei der Einführung der Wärmemessung in Grad Celsius übersehen habe, dass, wenn man 80 °R gemessen habe, daraus schon 100 °C geworden seien. Also mehr. Klar, die Erderwärmung beruht auf einem Rechenfehler!

Nun will ich einen Moment in der vorgestellten Logik bleiben. Es ist ja so, dass menschliches Leben bei 80°R resp.100°C fast nie vorkommt. Eher bewegen wir uns in einem Umfeld von 20°C. Das aber entspricht 16 °R. Also weniger, siehe Foto.

Nun verlasse ich endgültig diese hirnverbrannte Logik um vom unwichtigen „Réaumurskandal“ auf die wirkliche Sauerei hinzuweisen:

Im Internet und auf Facebook werden wir zunehmend mit „Wahrheiten“ bombardiert, die uns peu à peu mit der verdrehten Weltwahrnehmung der neuen Rechten vertraut machen soll.

Neu ist an dieser Rechten ja nur, dass sie sich nach jahrzehntelangem Versteckspiel wieder aus der Deckung traut.

Zu den von ihr propagierten Inhalten zählen Leugnung des Klimawandels, Ablehnung jeglicher Zuwanderung, Relativierung rechtsstaatlicher Grundpfeiler, Verteufelung anderer Religionen, was nichts anderes bedeutet, als das Christentum zu politischen Zwecken zu missbrauchen, Rassismus, Feindschaft allem gegenüber, was nicht „normal“ ist. Hier kommt dann das „gesunde Volksempfinden“ zu seinem Recht.

Die oft peinlich unreflektierten „Kommentare“ im Internet zu Meinungen, die deutlich falsch, verfassungswidrig, unmenschlich oder einfach nur blöd sind, zeigt, wie gefährlich solche Meinungsmache ist.

Es sollte die Aufgabe jedes aufrechten Facebook Nutzers sein, solchen Meldungen stets und immer offensiv mit den Fakten in der Hand zu widersprechen und zu widerstehen.

Je mehr wir zulassen, dass Falschmeldungen unwidersprochen bleiben, desto mehr lassen wir zu, dass diese in die Sphäre der Wahrheit aufsteigen.

Wahrheit ist unumstößlich. Da die Wahrheit aber von Menschen als solche empfunden wird, wird sie relativiert. Das wusste schon der olle Pilatus.

500 Menschen, eine Menge?

500 Menschen, eine Menge?

Wenn 500 Menschen auf einem Haufen stehen, dann ist das schon eine ansehnliche Menge. Wenn man bedenkt, dass statistisch gesehen einer davon, ein nicht bestimmtes Geschlecht hat, dann ist das bestürzend viel.

Es ist sogar besonders viel, wenn man bedenkt, dass die Mehrheit von uns, auch ich, bisher an diese Mitmenschen noch keinen Gedanken „verschwendet“ hat.

Ist ja auch nur halb so schlimm, denn diese Leute haben einen Beruf, ein Dach über dem Kopf, sie leiden keinen Hunger. Das ist mal wieder so ein typisches Problem „auf hohem Niveau“ unserer überkandidelten Gesellschaft.

Wie bitte? Mitmenschen, deren Geschlecht sich wegen eines fehlenden Chromosomen nicht eindeutig feststellen lässt, fehlt etwas ganz Essentielles. Es fehlt ihnen an der Identität.

Bin ich Bub oder Mädchen? Das ist doch eine der prägendsten Erfahrungen der frühesten Kindheit! Man wird in kurze Lederhosen oder in Röckchen gesteckt und das determiniert rein äußerlich das künftige Leben nachhaltig.

Man muss sich in einen jungen Menschen hineinversetzen, der als Bub oder Mädchen aufwuchs und auf einmal feststellen muss:

„Eltern, Ärzte, womöglich Lehrer haben mir all die Jahre etwas vorgegaukelt. Ich bin zwar da, aber nach gängigen Regeln bin ich nichts, ein Wedernoch!“

Eine funktionierende Demokratie kann man daran erkennen, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht. Ethnische Minderheiten, Minderheiten, die aus der Hochleistungsgesellschaft herausfallen, religiöse Minderheiten aber auch Minderheiten von denen die meisten gar nichts wissen.

Es ist traurig, dass unsere Regierenden nicht selbst erkannt haben, dass, eine eigene Identität zu haben, der Kern der Menschenwürde ist. Wer bin ich, wenn ich nicht weiß, was ich bin?

Aber es ist tröstlich, dass wir in Deutschland ein hervorragend funktionierendes Verfassungsgericht haben. Wir können stolz sein auf diese Juristen in roten Roben, die den Regierenden heimleuchten. Sie rücken nicht nur Vieles zurecht, sie zeigen uns Normalbürgern auch auf, wie unaufmerksam wir mit unseren Mitmenschen umgehen, wenn wir die Probleme unserer Minderheiten gar nicht wahrnehmen.

 

Der Zeigefinger, die Farbtöpfe und die Sauen.

Von Tante Bertha wurde behauptet, ihr Zeigefinger sei länger als ihr Mittelfinger gewesen, weil sie mit ihm so oft gefuchtelt hätte. Nun ja, ihr Mann war Prälat.

Nach einer besonders traurigen Beerdigung erhob Tante Bertha mal wieder den Zeigefinger und sagte zu ihren sieben Schwestern: „Jetzt wird aber nicht gleich weitergestorben, und wenn, Anna, der Reihe nach!“

Tante Anna war die älteste der acht Schwestern meines Großvaters in Thüngen. Als Amama die achte Tochter in Folge geboren hatte, sagte der Gärtner zu Apapa: „Da werden sich Herr Baron noch einmal bemühen müssen.“

Er bemühte sich und Amama gebar Zwillingsbuben. Beim Eintreffen des Telegramms, mit dem die Geburt angezeigt wurde, sagte meine Urgroßmutter in Rentweinsdorf „Beharrlichkeit führt doch zum Ziel!“

Beim Mädchen Anna stellte man sehr früh eine außergewöhnliche Begabung für die Malerei fest. Sie malte ihre Schwestern, auch ein herrliches Doppelportrait der beiden Brüder.

Als Anna zur Jungfrau erblühte, beschlossen die Eltern, ihr Talent dadurch zu fördern, dass man sie nach Paris schickte, allerdings, das schon, man gab ihr einen Chaperon in Form von Fräulein von Vierling mit, die über die Sittsamkeit in der verrufenen Stadt wachen sollte.

Die Zeit verging und keine Nachricht kam aus Paris. Von Amama angestachelt aber auch selbst höchst besorgt, setze sich Apapa „auf“ die Bahn und als er unangemeldet in der angemieteten Wohnung an der Seine erschien, fand er dort seine Tochter eifrig malend vor. Fräulein von Vierling war längst mit einem notleidenden Landschaftsmaler durchgebrannt.

Trotz ihrer Proteste nahm Apapa seine Tochter wieder mit nach Deutschland und schrieb sie an der Kunstakademie in München ein. Dort wurde sie Schülerin von Angelo Janck, der bald schon ein Auge auf sie warf.

Die beiden heirateten und unter der Begründung, nicht über Farbtöpfe ins Ehebett klettern zu wollen, hat er ihr das Malen verboten. In unserer Familie wird dazu erzählt, der Kunstprofessor habe festgestellt, dass Annas Talent größer war als das eigene. Ich nehme an, dass das in der Familie Janck anders dargestellt wird.

Als Onkel Angelo starb, zog Tante Anna ins Stiftshaus nach Thüngen. Dort wohnten alle unverheirateten oder verwitweten Tanten und bildeten, sehr zum Verdruss meiner Großeltern, eine Art familiärer Gegenregierung. Insbesondere waren sie der Meinung, dass die Kinder drüben im Schloss nicht genug zu essen bekämen. Die Folgen kann man sich vorstellen.

Aber die Tanten nahmen auch regen Anteil am Erwachsenwerden ihrer Nichten und Neffen.

Nach – wohlgemerkt nach – dem Verlobungsspaziergang meiner Eltern sagte Tante Anna zu meiner Mutter: „Gell, das Küssen ist doch so aaangenehm!“

Und dann starb plötzlich und unerwartet meine Großmutter. Tante Bertha nahm dies zum Anlass ihre Schwestern auf Reihenfolge zu vergattern. Tante Anna hat sich daran gehalten Tante Bertha natürlich nicht.

Mein Großvater, der noch relativ junge Witwer, war untröstlich. Man fürchtete um seinen Verstand, wenn nicht sogar um sein Leben. Und dann kam die Nachricht, dass Sauen aus dem Gramschatzer Wald ins Thüngener Revier gedrückt seien. Damit war die offizielle Trauerphase beendet.