„Sarajewo ist nicht gut für uns Habsburger“
„Als nächstes erreichen wir Marburg“, verkündete käiserliche Hoheit über das Busmikrophon. Es regnete in Strömen. Als wir dort ankamen, stand auf dem Ortsschild „MARIBOR“, aber das störte niemanden.
Auf dem Weg dorthin wurde gebetet und gesungen. Der arme Paul langweilte sich wohl noch mehr als ich. Bei mir aber stieg langsam reformatorischer Ärger hoch. Später hätte ich gesagt, die „Gospa“ hat sie geschickt, denn mitten in meinen Zorn setzte sich in einer Gebetspause unerwartet käiserliche Hoheit neben mich, an der ich sofort meinen Unmut ausließ:
Diese ewigen runtergeleierten Wiederholungen seien ja unerträglich, als guter (evangelischer) Christ könne man das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser auswendig, alle anderen Anliegen brächte man in den eigenen Worten vor Gott, und wiederholen müsse man die Gebete schon mal gleich gar nicht, denn der Liebe Gott sei weder begriffsstutzig noch schwerhörig.
Käiserliche Hoheit lachte und meinte, ich hätte die gleiche direkte Art zu reden, wie meine Mutter. Im Übrigen aber solle ich nicht so hochgestochen sein, denn nicht allen Menschen ginge es so gut wie mir. Es gäbe auch überarbeitete, unterernährte, überforderte, ausgebeutete und misshandelte Christen und die wären froh, wenn sie einmal am Tag ein unangestrengtes Gebet sprechen könnten. Ihr Leben sei eh schon anstrengend genug. Darüber hinaus solle ich mich nicht so wichtig nehmen, denn der Liebe Gott kenne meine Anliegen sowieso, da bedürfe es keiner Privataudienz für Hans Rotenhan in Form des persönlichen Gebetes.
Das war eine geistliche Watschn, die gesessen hatte. Noch nie hatte ich mein evangelisches Selbstverständnis hinterfragt, noch nie mir überlegt, dass ein Gebet mehr sein könnte als ein Forderungs- oder Danksagungskatalog. Dass ein Gebet das Gefühl und die Gewissheit sein könnte, eine Zeit mit Gott zu verbringen.
In Marburg übernachteten wir und am nächsten Morgen fuhren wir auf den Flugplatz von Laibach. Dass da „LJUBLJANA“ dranstand, störte wieder niemanden. Dort warteten wir auf zwei Prinzessinnen, die sich allerdings verspäteten. Die Gräfin Kinsky meinte nach der zweiten Stunde Wartens: „Die Bizzi hat ja nie ein Geld g´habt. Drum fliegt sie mit de Tschuuschn. Die JAT kommt selten pünktlich. Mit der AUA wär des ned passiert.“
Immerhin diente die Warterei dazu, dass ich den Grund für den Zwist zwischen streitender Mutter und streitender Tochter erfuhr. Letztere hatte angenommen, einfach so ihre Mutter auf einer Wallfahrt zu begleiten. Erst im Bus hatte sie erfahren, dass der Grund für die Wallfahrt der war, dass ihre Mutter meinte, dass die Tochter dadurch endlich einen Mann abbekäme. Sie war stinksauer:“ Mit de Männer hab ich, bittschön, noch nie ein Problem g´habt. Aber einen Ehemann, brauch ich nun wirklich ned. Die Mamá ist einfach nur noch agassant.“
Eine weitere Erkenntnis nahm ich auch noch mit vom Laibacher Flugplatz, denn als die Bizzi, Mutzi, Mucki, oder wie sie auch hießen nach fast drei Stunden immer noch nicht da waren, rief eine der Wallfahrerinnen mehrfach: „Jetzt können´s mich aber bald küssen, alle miternand.“
Aha!
Erst nach einer weiteren Wiederholung wurde mir klar, dass es sich dabei um die österreichische Variante des Götz-Zitats im Gebrauch der Oberschicht handelte.
Schließlich ging es über den Autoput nach Süden. Im Bus wurde aufgeregt kommentiert, dass gleich hinter Banja Luka der Onkel Ferdl ein Jagdschlößll besessen habe, und im Tal da drüben, ja da waren doch die berühmten Forellenteiche von der Tante Erzy.
Paul und ich summten die Melodie „Unser guater Kaiser kommt zurück“ vom Qualtinger.“
Ich weiß nicht, ob wir noch einmal übernachteten, aber in Sarajewo machten wir Station. Wir sollten uns etwas die Beine vertreten. Ich fragte käiserliche Hoheit, zu der ich unterdessen große Sympathie gefasst hatte, ob ich sie begleiten dürfe.
„Nein gehen Sie nur allen, ich bleib beim Bus, Sarajewo ist nicht gut für uns Habsburger“. Es war so faszinierend im Gespräch mit ihr, festzustellen, wie Geschichte in Familiengeschichte hinüberschwappte. Nach Tante Erzys Forellenteichen unterhielten wir uns über einige herausragende Persönlichkeiten der Habsburger. Am Ende sagte sie: “Es schmerzt uns schon, dass die Beliebteste und Bekannteste aus der Familie die Sissi ist. Die mögen wir gar nicht.“ Auf meinen fragenden Blick fügte sie hinzu: „Sie ist ihrer Aufgabe nicht nachgekommen.“
Zusammen mit der streitenden Tochter habe ich für eine gute dreiviertel Stunde Paul durch Sarajewo geschoben. Dabei haben wir uns ausgemalt, welcher der zahlreichen schnauzbärtigen Männer am Ende der Wallfahrt der Ihre sein werde.
Dann musste es plötzlich ganz schnell gehen, denn es galt, den Nachmittagsgottesdienst in Medjugorje nicht zu verpassen.