Käiserliche Hoheit sprach übrigens ein glasklares Hochdeutsch, sie war eine geborene Sachsen Meiningen. Es waren unsere österreichischen Mitstreiterinnen, die die das Ä auf den Kaiser setzten.
Auf der Fahrt von Sarajewo nach Madjugorje setzte sie sich wieder zu uns in die hinterste Bank im Bus. Sie sei nervös, sagte sie. Das sei sie immer kurz vor dem Ziel der Wallfahrt. Werde alles gut gehen? Werden alle den Segen des Ortes spüren? Sie meinte, beten würde helfen, aber irgendwann habe man auch genug gebetet.
Also griff ich wieder in den Sack meiner Geschichtchen:
„In jeder Residenz und in fast jedem Schloss gibt es ein en Kaisersaal“, so begann ich. Oft hatte einen solchen Saal kein einziger Kaiser betreten, aber er wurde eingerichtet, für den Fall, dass der Kaiser einmal käme, und dann muss man eben vorbereitet sein. Meine Eltern wohnten damals schon nicht mehr im Rentweinsdorfer Schloss, wo bereits mein ältester Bruder wohnte. Sie hatten im Nachbardorf die leerstehende Dorfschule gemietet und sehr hübsch für sich hergerichtet. Meine Mutter war zu der Zeit wieder in häufigeren Briefwechsel mit ihrer doch etwas entfernten Freundin Regina Habsburg getreten, so dass sie sich einbildete, es könne zu einem Besuch kommen. Die Kaiserin in einer ehemaligen Schule empfangen? Und ein richtiges Gästezimmer gab es auch nicht! Also ließ meine Mutter im Dachboden ein wunderschönes Gästezimmer mit Bad einrichten. Kein Wort verlor sie darüber, weshalb sie diese Investition in einem gemieteten Haus tätigte, aber wir durchschauten sie natürlich und tauften das Neue zu ihrem Ärger Reginen-Bad.
Käiserliche Hoheit lachte Tränen und so waren wir schon fast in Medjugorje angekommen. „Lachen ist fast so gut wie beten“, sagte sie.
Es war knapp geworden, der Gottesdienst hatte gerade begonnen, und so ließen wir alles im Bus und strömten mit den vielen anderen Pilgern in die erstaunlich schmucklose Wallfahrtskirche. Meine Schwester und ich schoben Pauls Rollstuhl einträchtig vor uns her und bemerkten, wie der Bub sich plötzlich entspannte. Er war dort nicht ein Einzelphänomen im Rollstuhl, er war einer unter Vielen. Kranke, Verletzte, Irre und ganz normale Menschen füllten die Kirche, wo wir einem dreistündigen Gottesdienst auf Kroatisch beiwohnten. Wenn der Priester wenigstens Lateinisch geredet hätte! Aber nein, Kroatisch! Ich, eigentlich niemand von uns, verstand ein Wort. Die allgemeinen Gebete sprach jeder in seiner Muttersprache, aber auch das hatte seine Tücken. Ich sagte das Glaubensbekenntnis wenn das Vaterunser dran war und umgekehrt. Meine katholische Schwester, mit der Liturgie der Messe besser vertraut als ich „neigschmeckter Lutherbock“, knuffte mich dann und ich wechselte elegant zu dem, was gerade dran war.
Man kann sich vorstellen, dass eine Messe auf Kroatisch, die drei Stunden dauert, anstrengend ist, sogar für einen Kroaten. Paul schien das alles nichts auszumachen. Er blühte auf. Er war einer unter so Vielen, die alle mit einem sehr konkreten Anliegen nach Medjugorje gekommen waren.
Irgendwann wurde es mucksmäuschenstill. Meine Schwester murmelte, dies sei die Stunde der Marienerscheinung, die Gospa erschiene nun in der Sakristei den Seher Kindern.
„Mit der Pünktlichkeit eines jugoslawischen Bummelzuges“, murmelte ich zurück und wurde zur Ernsthaftigkeit ermahnt.
Alle waren sehr ergriffen, nur ich nicht, denn das war in meinen Augen Hokuspokus: Marienerscheinung in der Sakristei, keiner kann sie sehen, außer ein paar Kindern, die auch niemand sehen konnte. Nur diese wurden Zeugen des täglichen Erscheinens. Danach berichteten die Kinder in dürren Worten, die in fast alle Sprachen der Welt übersetzt wurden, sie hätten die Gospa gesehen.
Im englischen Strafprozess nennt man das „hear say evidence“.
Ich war zu meiner eigenen Verblüffung am Ende dennoch beeindruckt und ergriffen. Die Solidargemeinschaft der Betenden, wie ich sie hier erlebte, war neu für mich. Die Kirche war proppenvoll und alle waren vereint in der Andacht, in der Anbetung und im Glauben. Ich war mir nicht sicher, ob man an die Heilsbotschaft Jesu Christi glaubte oder nur an die Marienerscheinung. Allerdings hatte ich unterdessen gelernt, mein, in der evangelisch-lutherischen Landeskirche Bayerns erworbenes Verständnis des Christentums, zu relativieren.
Nach der Kirche wurden uns unsere Unterkünfte zugeteilt. Ein Hotel gab es nicht, und so wohnten wir in noch unverputzten Häusern, die die Anwohner in Erwartung des Übernachtungsgeschäftes für sich und die Pilger hochgezogen hatten. Die ganze Region lebte von der Wallfahrt.
Abendessen bekamen wir in einer Art Kantine mitten im Dorf. Es gab serbische Bohnensuppe und in Eierteig ausgebackene Schnitzel.