Wallfahrt mit kaiserliher Hoheit III

„Sarajewo ist nicht gut für uns Habsburger“

„Als nächstes erreichen wir Marburg“, verkündete käiserliche Hoheit über das Busmikrophon. Es regnete in Strömen. Als wir dort ankamen, stand auf dem Ortsschild „MARIBOR“, aber das störte niemanden.

Auf dem Weg dorthin wurde gebetet und gesungen. Der arme Paul langweilte sich wohl noch mehr als ich. Bei mir aber stieg langsam reformatorischer Ärger hoch. Später hätte ich gesagt, die „Gospa“ hat sie geschickt, denn mitten in meinen Zorn setzte sich in einer Gebetspause unerwartet käiserliche Hoheit neben mich, an der ich sofort meinen Unmut ausließ:

Diese ewigen runtergeleierten Wiederholungen seien ja unerträglich, als guter (evangelischer) Christ könne man das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser auswendig, alle anderen Anliegen brächte man in den eigenen Worten vor Gott, und wiederholen müsse man die Gebete schon mal gleich gar nicht, denn der Liebe Gott sei weder begriffsstutzig noch schwerhörig.

Käiserliche Hoheit lachte und meinte, ich hätte die gleiche direkte Art zu reden, wie meine Mutter. Im Übrigen aber solle ich nicht so hochgestochen sein, denn nicht allen Menschen ginge es so gut wie mir. Es gäbe auch überarbeitete, unterernährte, überforderte, ausgebeutete und misshandelte Christen und die wären froh, wenn sie einmal am Tag ein unangestrengtes Gebet sprechen könnten. Ihr Leben sei eh schon anstrengend genug. Darüber hinaus solle ich mich nicht so wichtig nehmen, denn der Liebe Gott kenne meine Anliegen sowieso, da bedürfe es keiner Privataudienz für Hans Rotenhan in Form des persönlichen Gebetes.

Das war eine geistliche Watschn, die gesessen hatte. Noch nie hatte ich mein evangelisches Selbstverständnis hinterfragt, noch nie mir überlegt, dass ein Gebet mehr sein könnte als ein Forderungs- oder Danksagungskatalog. Dass ein Gebet das Gefühl und die Gewissheit sein könnte, eine Zeit mit Gott zu verbringen.

In Marburg übernachteten wir und am nächsten Morgen fuhren wir auf den Flugplatz von Laibach. Dass da „LJUBLJANA“ dranstand, störte wieder niemanden. Dort warteten wir auf zwei Prinzessinnen, die sich allerdings verspäteten. Die Gräfin Kinsky meinte nach der zweiten Stunde Wartens: „Die Bizzi hat ja nie ein Geld g´habt. Drum fliegt sie mit de Tschuuschn. Die JAT kommt selten pünktlich. Mit der AUA wär des ned passiert.“

Immerhin diente die Warterei dazu, dass ich den Grund für den Zwist zwischen streitender Mutter und streitender Tochter erfuhr. Letztere hatte angenommen, einfach so ihre Mutter auf einer Wallfahrt zu begleiten. Erst im Bus hatte sie erfahren, dass der Grund für die Wallfahrt der war, dass ihre Mutter meinte, dass die Tochter dadurch endlich einen Mann abbekäme. Sie war stinksauer:“ Mit de Männer hab ich, bittschön, noch nie ein Problem g´habt. Aber einen Ehemann, brauch ich nun wirklich ned. Die Mamá ist einfach nur noch agassant.“

Eine weitere Erkenntnis nahm ich auch noch mit vom Laibacher Flugplatz, denn als die Bizzi, Mutzi, Mucki, oder wie sie auch hießen nach fast drei Stunden immer noch nicht da waren, rief eine der Wallfahrerinnen mehrfach: „Jetzt können´s mich aber bald küssen, alle miternand.“

Aha!

Erst nach einer weiteren Wiederholung wurde mir klar, dass es sich dabei um die österreichische Variante des Götz-Zitats im Gebrauch der Oberschicht handelte.

Schließlich ging es über den Autoput nach Süden. Im Bus wurde aufgeregt kommentiert, dass gleich hinter Banja Luka der Onkel Ferdl ein Jagdschlößll besessen habe, und im Tal da drüben, ja da waren doch die berühmten Forellenteiche von der Tante Erzy.

Paul und ich summten die Melodie „Unser guater Kaiser kommt zurück“ vom Qualtinger.“

Ich weiß nicht, ob wir noch einmal übernachteten, aber in Sarajewo machten wir Station. Wir sollten uns etwas die Beine vertreten. Ich fragte käiserliche Hoheit, zu der ich unterdessen große Sympathie gefasst hatte, ob ich sie begleiten dürfe.

„Nein gehen Sie nur allen, ich bleib beim Bus, Sarajewo ist nicht gut für uns Habsburger“. Es war so faszinierend im Gespräch mit ihr, festzustellen, wie Geschichte in Familiengeschichte hinüberschwappte. Nach Tante Erzys Forellenteichen unterhielten wir uns über einige herausragende Persönlichkeiten der Habsburger. Am Ende sagte sie: “Es schmerzt uns schon, dass die Beliebteste und Bekannteste aus der Familie die Sissi ist. Die mögen wir gar nicht.“ Auf meinen fragenden Blick fügte sie hinzu: „Sie ist ihrer Aufgabe nicht nachgekommen.“

Zusammen mit der streitenden Tochter habe ich für eine gute dreiviertel Stunde Paul durch Sarajewo geschoben. Dabei haben wir uns ausgemalt, welcher der zahlreichen schnauzbärtigen Männer am Ende der Wallfahrt der Ihre sein werde.

Dann musste es plötzlich ganz schnell gehen, denn es galt, den Nachmittagsgottesdienst in Medjugorje nicht zu verpassen.

Wallfahrt mit kaiserlicher Hoheit II

Es war sechs Uhr in der Früh. Ein Taxi brachte uns zum Heldenplatz. Schwach nur waren die Konturen der Hofburg zu erkennen. Auf dem Platz waberten Nebelschwaden. Während ich den Rollstuhl aus dem Kofferraum hievte und auseinanderklappte beobachtete ich eine seltsame Szene:

Wegen des Nebels nur undeutlich erkennbar, glaubte ich neben dem Bus eine große stocksteife Figur zu erkennen, vor der immer wieder andere Figuren zusammensanken. Morgengymnastik?

Ich packte Paul in den Rollstuhl und schob ihn neugierig auf die Szenerie zu. Beim Näherkommen traute ich meinen Augen nicht, denn vor mir machten ältere Damen reihenweise den Hofknicks vor Regina Habsburg. Es musste sie sein, vor wem macht man sonst in Österreich einen Hofknicks, es sei denn, es ist der Kardinal?

Auch meine Schwester versank vor ihr in höfischer Reverenz. Ich begrüßte die Dame mit einem Handkuss, was ich, aus Ibiza kommend, schon für übertrieben hielt.

Immer noch etwas müde, stiegen wir alle ein. Wir bekamen die letzte Bank, weil Paul die Beine hochlegen musste. Als wir das Stadtgebiet Wiens verließen, dämmerte es und ich erkannte langsam meine Mitreisenden: Lauter alte Damen von scheintot aufwärts, so schien es mir jedenfalls. Es stellte sich heraus, dass der Busfahrer, Paul, ein wirklich uralter Graf Nostitz und ich die einzigen männlichen Wesen waren.

Autobahnen gab es damals noch nicht so viele und wir quälten uns langsam auf Graz zu. Vor uns saßen Mutter und Tochter und stritten. Letztere war insofern ein Lichtblick, weil sie nur etwa zehn Jahre älter war als ich.

Bei einer kurzen Kaffeepause auf irgendeiner Passhöhe machte man sich bekannt. Meine Schwester war sofort der Star der Truppe, denn sie wallfahrtete ja sichtlich mit einem echten Anliegen. Das „oarme Buberl“ wurde mit zittriger Hand gesegnet und gestreichelt. Er ließ es über sich ergehen, war dann aber doch froh, als wir aufs Herren Klo flohen, wo der alte Graf mit der Prostata kämpfte.

Die Sternkreuz Ordensdamen, man ahnt es bei diesem Namen, setzen sich aus Mitgliedern des k.u.k. Hochadels zusammen. Kinsky, Windisch-Graetz, Montecuccoli, Hunyadi, Thun, Croy, Schwarzenberg, Trautmannsdorff, Pálffy, Mensdorff, alles war vertreten, dazu eine Wittelsbacher Prinzessin und die Herzogin von Württemberg samt Mutter, der Comtesse de Paris. Beim Weiterfahren unterbrach die Mutter vor uns ihren Streit mit der Tochter, um mir zu stecken, der Graf von Paris habe schon wieder eine neue Geliebte, und das in seinem Alter… Offenbar fand sie es verwerflicher, dass der Herr 78 Jahre alt war, als dass er, naja.

Nun aber begann der professionelle Teil der Wallfahrt, wir näherten uns Graz und es wurde der Rosenkranz gebetet. Regina Habsburg, alle nannten sie käiserliche Hoheit, betete über das Busmikrophon vor.

Mir war schon bei der Kaffeepause klargeworden, dass ich in dieser Gesellschaft schlechte Karten hatte: männlich, jung, deutsch, evangelisch, nur Baron und kein Trachtenjanker. Während alle den Rosenkranz geradezu frenetisch in Endlosschleife beteten, konnte ich nicht mithalten. Ich hatte den Text noch nie gehört, nur „die Frucht deines Leibes“ verstand ich. Immerhin wurde mir klar, weshalb man bei García Márquez immer liest, „er konnte nicht beten, denn er wusste die Worte nicht“.

Ich war es von Kindesbeinen an gewohnt, meine Anliegen vor Gott zu bringen, wie mir der Schnabel gewachsen war. Konnten, ja durften das Katholiken nicht? Brabbelten sie deshalb andauernd unverständliche Worte?

Irgendwann ermattete die Stimme von käiserlicher Hoheit und es wurde eine Pause eingelegt. Sie kam nach hinten, setzte sich neben mich und fragte nach meiner Mutter. Bald schon erzählte ich ihr lustige Anekdoten aus Franken, was sie sichtlich amüsierte. Während der ganzen Wallfahrt kam sie immer wieder zu uns in die letzte Bank, um sich zu erholen: „immer nur fromm sein, ist anstrengend“ gestand sie.

Die Pause währte allerdings nicht lange, denn bald schon begann die Prinzessin Windisch – Graetz den Rosenkranz auf Ungarisch zu beten.

„Ihre Mutter war eine Batthyány, Andrássy, Pállfy!“ Ich weiß es nichtmehr. Es war ein klingender Name der magyarischen Geschichte. Die streitende Mutter hatte es mir zugeflüstert. Nach frommer Pause fügte sie hinzu: „Bei dene Ungarn wäisst nie, ob sie beten oder fluchen. Wennst mich fragst, flucht sie grad“. Ihr vom Papst gesegneter Rosenkranz klickerte dennoch weiter. Alle hatten einen vom Papst gesegneten Rosenkranz.

Betend oder fluchend, es blieb unklar, erreichten wir die jugoslawische Grenze. Der Busfahrer hatte vorher das Mikrophon ergriffen und gebeten, während der Passkontrolle von religiösen Manifestationen Abstand nehmen zu wollen. „Weil, sonst lassn de Tschuuschn uns nie durch, bitte.“

Mir fielen die vielen Werbetafeln auf, die auf die Winterolympiade vom vergangenen Jahr in Sarajewo hinwiesen.

Bei strömendem Regen ging es weiterbetend den Südhang der Alpen hinab. Diesmal sang die bayrische Prinzessin den Rosenkranz. Ich begann, über Frustrationstoleranz nachzudenken.

Wallfahrt mit kaiserlicher Hoheit I

Es war im Jahr 1985. Wir wohnten damals noch auf Ibiza. Ich hatte gerade begonnen, in der Kanzlei Estudio de Semir mit Hauptsitz in Barcelona zu arbeiten. Nach langer Zeit der wirtschaftlichen und beruflichen Unsicherheit schien sich ein vielversprechender Horizont zu öffnen. Ich war ausschließlich auf das konzentriert, was sich als die Chance meines Lebens herausstellen sollte.

Da klingelte das Telefon und meine Schwester bat mich, sie auf eine Wallfahrt nach Jugoslawien zu begleiten.

Wenige Jahre zuvor war sie katholisch geworden. Seit einiger Zeit pflegte sie hingebungsvoll und verbissen ihren Sohn, meinen Patensohn, der schwer erkrankt war und mittlerweile im Rollstuhl saß. Meine Schwester forderte mich in meinem Patenamt als Begleiter, denn ihr Mann sei Atheist und unsere Eltern, naja, das musste sogar ich zugeben, die waren einfach zu evangelisch, als dass man sie auf eine Wallfahrt zu einer Marienerscheinung hätte mitnehmen können. Allerdings war ich zu derlei auch nicht gerade prädestiniert.

Mir wurde erklärt, es ginge nach Medjugorje , in der Nähe der Stadt Mostar. Dort erschiene täglich mehreren Seher-Kindern die Mutter Gottes, auf Kroatisch „Gospa“, die Herrin.

Obwohl ich wusste, dass ich mich der Aufgabe nicht würde entziehen können, versuchte ich zunächst, das in mich gesetzte Vertrauen zu untergraben und fragte kindisch an, ob die Erscheinung denn mit der Pünktlichkeit eines jugoslawischen Bummelzuges eintreffe, ob man etwas sehe, röche oder sonst was spüre.

Meine Schwester wischte das alles beiseite und teilte mir lediglich mit, wann ich in München auf dem Flugplatz zu sein hätte, dort würden wir uns treffen, um zunächst gemeinsam mit dem Auto nach Wien zu fahren. Auf der Fahrt dorthin werde sie mir alles erklären.

Glücklicherweise waren die Gebrüder de Semir fromme Katholiken, die sofort einsahen, dass ich die Wallfahrt unternehmen müsste und meine Frau, die meinen Patensohn mindestens ebenso liebt wie ich, hatte zwar schwere Bedenken, stimmte dann aber doch der Unternehmung zu.

In Riem sah ich meinen Patensohn, nennen wir ihn Paul, zum ersten Mal im Rollstuhl Er war schmaler und erwachsener geworden, aber eben doch immer noch ein Zwölfjähriger. Mir war sofort klar, dass er alles brauchte außer Mitleid, dass er endlich wieder wie ein normaler Bub behandelt werden wollte.

Meine Schwester kam nicht dazu, mir die Einzelheiten des Heilsortes zu erklären, denn von München bis Wien grölten Paul und ich die Chansons von Georg Kreisler. Besonders angetan hatte es uns „Der General“, der drei Töchter hat, die ihm Ehr machen, obwohl eine davon beruflich zu viele Männer kennt. Nur der Sohn, der bringt Schande über die Familie, denn der ist ein General. „und wenn er träumt, is er a Held“.

Auch „Mütterlein“ begleitete uns, das Lied, in dem der missratene Sohn besingt, wie die Mutter, von der er alles gelernt hatte, beim Einbruch in die Länderbank geschnappt wird. Nun schwört er, er werde die Länderbank für das Mütterlein knacken. Zu Pauls großer Freude begrüßte uns bei der Ankunft in Wien eine riesige Reklame der Länderbank.

Wir hatten einen halben Tag Zeit in Wien und so schob ich Paul im Schönbrunner Park und im Stephansdom herum. Beim Hinausgehen, als wir am Zebrastreifen warteten, verlangte er quengelnd nach einem Eis, was ich damit abzuwürgen versuchte, dass er eine Riesenwatschn einfangen werde, wenn er weiter so rumnerve. Was dann geschah, war wahrscheinlich eine der gefährlichsten Episoden meines Lebens, denn im groben Dutzend warfen sich wohlbeleibte Wienerinnen auf mich und drohten mit Taschen, Regenschirmen und sonstigem schweren Gerät: „Wie man nur derart mit so an oarman Buberl umspringen, nedwahr!“ . Kaum schaltete die Ampel auf Grün, flüchtete ich mit dem höchst amüsierten Buberl im Rollstuhl in das Gewusel des Grabens und von dort ins Hawelka, wo ich eine Runde Esterhazy-Schnitte schmiss.

Dort dann erklärte mir meine Schwester, um was es ging: Die Sternkreuz Ordensdamen würden diese Wallfahrt organisieren. Das sei eine katholische Damenvereinigung, deren Vorsitzende traditionsgemäß die Kaiserin sei, heutzutage die Frau vom Otto Habsburg, die Regina Habsburg, die mit unsrer Mutter befreundet sei, weil ihr Bruder, bevor er Mönch wurde, als Student in Freiburg in sie verliebt gewesen sei, oder umgekehrt.

Ich fühlte mich überrollt. Zwar hatte ich mitgeholfen, auf Ibiza eine deutschsprachige evangelische Gemeinde aufzubauen, aber sehr fromm war ich nicht. Ich fühlte mich nicht bereit, ernsthaft an einer Marienwallfahrt teilzunehmen, erst Recht nicht unter der Ägide des ultramontanen Erzhauses Habsburg. Meine Schwester erinnerte mich daran, dass ich bei historischen Diskussionen stets gegen Preußen und für K-Kanien argumentiert hätte.

Das stimmte zwar, richtig wohl fühlte ich mich dennoch nicht.

Wir gingen früh zu Bett, denn am nächsten Morgen um 6 Uhr sollten wir auf dem Heldenplatz den Bus besteigen.

 

Wen meinte Bonhoeffer?

Es muss ein Anfall von midlife-crisis gewesen sein, als ich 1997 den Segelschein machte. Ich dachte, das Leben berge keine Herausforderungen mehr an mich, also suchte ich mir eine.

Als ich meiner Mutter von der bestandenen Prüfung berichtete, begann sie sofort zu klagen, das sei ja schrecklich, und wie ich ihr denn sowas antun könne.

Ich bat sie, sich zu erklären: „Ach, da muss ich ja jetzt andauernd Kränze ins Mittelmeer werfen“. Offenbar erwartete sie, dass man als Segler mehrmals ertrinken kann.

Richtig gesegelt bin ich nie, obwohl ich mir eine Jolle gekauft hatte. Der Baum knallte mir bei Wendemanövern immer an den Kopf, weil er einfach zu tief hing. Meine Kinder behaupteten, mein dicker Bauch hindere mich am schnellen Wegducken.

Wie dem auch sei, es lag kein Segen über der Angelegenheit. Bald verkaufte ich die Jolle und meine Mutter war erleichtert.

Nun habe ich in der kommenden Woche vor, meinen ersten richtigen Segeltörn auf der Adria vorzunehmen. Skipper ist ein Vetter, der behauptet, segeln zu können. Wir, das sind noch drei weitere Verwandte, meine Frau und ich, sind nun sehr gespannt auf das, was auf uns zukommen wird.

Dass die Sache doch etwas mulmig ist, merkte ich daran, dass ich meinem Patensohn in Rentweinsdorf von dem Törn berichtete und ich ihn, schließlich ist er Chef der Familie, bat, sollten wir umkommen, nach Split zu reisen und dort für jeden eine Kranz in die Adria gleiten zu lassen.

Seine Antwort war entwaffnend: „Onkel Hans, da runter zu fahren, ist viel zu teuer, die Dinger schmeißen wir in den Kappelsee“.

Es muss der Heilige Geist gewesen sein, der mich in dem Moment an Bonhoeffers Gebet denken ließ:

„Von guten Mächten wunderbar geborgen…“

Seither nagt der Verdacht in mir, Bonhoeffer könnte mit den guten Mächten doch nicht die Familie Rotenhan gemeint haben.

Die Hammerzehen Ihrer Majestät

Als ich in Marburg studierte wohnte ich für 75 DM in einem kleinen Zimmer in der Weidenhäuser Straße. Eines schönen Tages stand ich in der Sparkasse Schlange hinter einer sehr altmodisch gekleideten Dame. Dass es sich wirklich um eine Dame handelte, bemerkte ich daran, dass sie ganz offensichtlich, nicht gewohnt war, Schlange zu stehen. Als sie dran war, kramte sie einen zerknüllten Brief aus der Tasche und bat den Kassierer, ihn ihr vorzulesen, sie sei fast blind. Der Kassier lehnte das natürlich ab und so setzte ich mich mit ihr in eine Ecke und erfüllte ihre Bitte. Der Brief war gerichtet an Manon Gräfin zu Solms Laubach. Kein Wunder, dass sie nicht Schlange stehen wollte…

Der Mops ist alter Damen Freude, und so besuchte ich sie oft in ihrem Altersheim. Ich wohnte im Haus deneben. Sie lebte dort eher kümmerlich unter lauter vermeintlichen Kriminellen, die ihr ständig das Joghurt aus dem gemeinschaftlichen Eisschrank klauten.

Ihr Vater war kaiserlicher Regierungspräsident in Elsass-Lothringen gewesen, und hatte zu Lebzeiten eine schöne Rente. Nach seiner Pensionierung lebte die Familie in einer stattlichen Villa mit Park am Rande Marburgs. Da anzunehmen war, Manon werde heiraten, hatte sie nichts gelernt und nie gearbeitet. Aufs Alter ging dann das Geld aus. Ihr Bruder, Ernst Otto, kam für sie auf, hielt sie aber knapp, was sie ihm übelnahm.

In der Weidenhäuser Straße kannte man sie nur als die Vogelgräfin, weil sie eine spezielle Vorliebe für diese Tiere hatte, aber nicht für alle. Auf den breiten Sims vor ihrem Fenster, streute sie im Winter reichlich Vogelfutter. Meisen, Spatzen, Kernbeißer und Kreuzschnäbel waren willkommen, aber wehe, eine Taube wagte sich an den Futterplatz. Wenn das passierte, nahm die Vogelgräfin einen extra bereitstehenden Becher kalten Wassers und schüttete ihn über das arme Vieh.

Sie wollte mich zu ihrem Erben machen, denn Karl Ottochen war wegen scheinbaren Geizes in Ungnade gefallen, ebenso ihre Patennichte, denn die war geschieden und deren Schwester, da dement, kam auch nicht in Frage. Schließlich brachte ich sie dazu, ein Testament zugunsten der geschiedenen Patennichte zu errichten, und argumentierte, ohne sie würde sie im Winter gar nicht gehen können, denn:

Die Patennichte war mit einem Mann verheiratet gewesen, der eine Fabrik für Holzbeine betrieb. Trotz stattgehabter Scheidung ließ er es sich nicht nehmen, im Winter jede Woche eine Kiste Sägemehl per Post an die Gräfin zu schicken. Wenn sie auf die Straße ging, hängte sie sich einen Leinensack mit Sägemehl um den Hals. Vor jedem Schritt streute sie eine Handvoll davon auf die Straße und so hatte sie das Gefühl sicher zu gehen. Die Weidenhäuser Straße nahm an dem Spektakel Anteil.

Ich wohnte damals zur Untermiete bei einem Herrn, der im Erdgeschoss des Hauses eine Schusterei betrieb. Eines Abends lud er mich auf ein Glas Bier ein, und als ich seine Wohnung betrat, hatte er einen Anzug aus Schlangenleder und offenbar sonst nichts an. Ich fand, dass damit mein Aufenthalt in der Weidenhäuser Straße seinen Höhepunkt erreicht hatte und mietete mich zur Untermiete im Forstamt ein. Es stellte sich heraus, dass dies just die Villa des alten Grafen Solms war. Ich arrangierte einen Besuch in Manons altem Elternhaus und war von Stund an „persona gratisima“ sowohl bei der Forstamtsgattin als auch bei der Vogelgräfin.

Manon liebte es, in die Konditorei eingeladen zu werden. Oberhalb der Stadt gab es ein Ausflugslokal, wo Damen mit Hutnadel verkehrten. Dort erzählte sie mir mit Stentorstimme Geschichten, denen die erwähnten Damen gebannt zuhörten. Es handelte sich ausschließlich um Begebenheiten aus dem mitteldeutschen Hochadel. Büdingens, Ysenburgs, Stolbergs und Solmse wurden in Anekdoten und unbeschreiblichen Abenteuern ausführlichst beschrieben. Auch Carmen Sylva, die dichtende rumänische Königin aus dem rheinischen Hause Wied, kam immer wieder vor. Manon erzählte mit überlauter Stimme, Carmen Sylva sei einmal in Berlin zum Arzt gegangen, weil sie an Hammerzehen litt. Im Café war es mucks Mäuschen still geworden, als sie fortfuhr: „Der Doktor hat gleich gesagt, da kann man wenig machen, aber seien Majestät froh, hat sie doch nur Hammerzehen. Hämorrhoiden sind viel schlimmer und fangen auch mit H an.“

Ein Raunen ging durch den Saal…

Logik ist nicht immer Logik

Logik ist die Lehrer von der Folgerichtigkeit des Denkens. Es ist logisch, dass der Stein birst, wenn man lang genug mit dem Hammer draufhaut. Es ist auch logisch, dass das Hungergefühl nachlässt, wenn der Mensch etwas isst.

In den vergangenen Monaten aber mussten wir erleben, dass es ganz offensichtlich diesseits und jenseits des Atlantiks zwei verschiedene Denkschulen gibt, die die Folgerichtigkeit unseres Tuns unterschiedlich bewerten.

In Europa ist es verfestigte Überzeugung, dass eine allgemeine Krankenversicherung gut ist für alle Menschen und, wenn sie nur konsequent verwaltet wird, zur Verbesserung der Gesundheit der Menschen führt.

Nicht so in den USA. Dort denkt man, dass eine allgemeine Krankenversicherung die Menschen entmündigt, dass dies ein Anschlag auf die Freiheit des Bürgers sei, mit einem Wort: Sozialismus.

Der diffusen Angst der US Bürger vor dem, was sie Sozialismus nennen, was wir als Sozialdemokratie verstehen, könnte man begegnen, indem wir als Europäer nachweisen, dass die gehabten sozialdemokratischen oder sogar sozialistischen Regierungen in Europa dann nicht allzu schlecht waren, solang sie sich im demokratischen Wertesystem bewegten.

Davon aber will man jenseits des großen Teiches nichts wissen, selbst dann nicht, wenn sich nun herausgestellt hat, dass die Abschaffung der allgemeinen Krankenversicherung schwieriger ist, als deren Einführung.

Unsere Logik sagt, dass Amokläufer an ihrem Tun behindert werden, wenn der Zugang zu Waffen beschränkt ist. Wenn ein Verrückter eine Waffe hat, ist die Chance, dass er sie benutzt größer, als wenn ein Verrückter keine Waffe hat.

Selbst die Verletzten von Las Vegas aber sagten, nicht die Waffe sei gefährlich, sondern der Verrückte dahinter. Die Logik würde gebietet, wenn dem so ist, den Verrückten abzuschaffen. Da das nicht so ohne Weiteres geht, sollte man halt die Waffe abschaffen, oder zumindest ihren Erwerb erschweren.

Die Waffenlogik geht sogar noch weiter: Wären alle Besucher des Konzerts in Las Vegas bewaffnet gewesen, hätte man dem Schützen schnell den Garaus gemacht. Eine angesichts der ausgebrochenen Panik geradezu hirnrissige Idee.

Der 45. Präsident hat im Wahlkampf versprochen, „never ever“ die Waffengesetze zu ändern. Man kann nur hoffen, dass er mit diesem Versprechen ebenso sorglos umgeht, wie mit allen anderen. Ansonsten müsste man ihm vorwerfen, er nehme den Schusswaffentod von jährlich 33.000 US Bürgern billigend in Kauf. Dies erfüllt in europäischen Rechtsystemen den Tatbestand er Beihilfe zum Mord.

Das wird dem Herrn im Weißen Haus ziemlich egal sein, zeigt aber, dass Logik eben nicht Logik ist.

Von Zenon bis Kant rotieren die bedeutenden Denker dieser Welt in ihren Gräbern.

Stolz auf Soldaten

Als neulich der unsägliche Ausspruch rundging, man könne auch als Deutscher stolz darauf sein, was unsere Soldaten in den beiden Weltkriegen geleistet haben, kam mir dieser Satz zunächst vollkommen normal vor.

In meiner Kindheit habe ich nichts anderes gehört. Mein Großvater war kaiserlicher Berufssoldat gewesen, mein Vater war Gleiches in der Wehrmacht, meine Großmutter war eine in der Wolle gefärbte Militaristin und meine Mutter wurde sauer, als ich die einmal fragte, weshalb die Deutschen denn dauernd Kriege verlören, immerhin die beiden letzten.

Dem stand in keiner Weise entgegen, dass ich alle vier abgöttisch liebte, ich hatte als Kind keine Wahrnehmung, die dem widersprach, was um mich gedacht und geredet wurde.

Soldat zu sein, war eine riesige Ehre, in der Bibliothek standen bebilderte Bücher, die 1914 bis 1918 in den hehrsten Farben schilderten, unsere Großmutter las uns abends auch Bücher von Pearl S. Buck vor, aber das Leben auf dem U-Bott oder dem Panzerkreuzer wurde uns von ihr vor dem Schlafengehen ebenso nahegebracht.

Vom Gefühl her ist mir all das ganz nah, was die Neonazis nun wieder propagieren. Ich bin sicher, dass die Mehrheit der Deutschen, die in den 50er Jahren aufgewachsen sind, ebenso wie ich eine tendenziell rechtslastige Erziehung erhalten haben.

Es ist unseren Lehrern zu verdanken und dann natürlich auch den 68ern, dass unsere Generation aus dem Cocon der Nachkriegsdenke herausgefunden hat.

Als die Mauer fiel, war mir sofort klar, dass dies auf die Dauer zu einem Rechtsruck in der deutschen Politiklandschaft führen würde. Wo das Denken gelenkt wird, wird der Bodensatz des alten Denkens nicht weggespült, und wo der Staat per se den Antifaschismus für sich gepachtet hat, ist Vergangenheitsbewältigung nicht notwendig. Dann blubbert eben weiter das Gerede, dass es in den Nazi- Jahren noch Arbeit, Wohlstand, Ordnung und Ehre gab. Übrigens, und das mag ein Knackpunkt sein, das war für einen Arbeitslosen aus Hoyerswerda gefühlsmäßig zum letzten Mal so „beim Adolf“ so.

Da kommt es gut an, wenn einer sich mal wieder traut und einen „man-wird-sowas-doch-noch-mal sagen-dürfen“ Satz rauslässt. Nicht umsonst stand auf den blau-roten Wahlplakaten „Trau dich, Deutschland!“

Die Beißhemmungen entfallen zunehmend und wir, die wir einen intellektuell anderen Weg zur deutschen Vergangenheit gefunden haben, stehen mehr oder weniger hilflos herum. Die „Waffen“, die wir bisher in der politischen Auseinandersetzung gebraucht haben, taugen plötzlich nicht mehr. Ich meine das Wort. Wer nicht zuhören will, kann nicht diskutieren. Dabei ist das gesprochene oder geschriebene Wort das einzig legitime Mittel, das in der demokratischen Auseinandersetzung gebrauch werden darf. Wir dürfen nicht zulassen, dass Demagogie, Pöbelei, Hass und Gewaltbereitschaft normal werden.

Wir in Deutschland haben immerhin allen Grund, sehr zufrieden zu sein mit unserer Bundeswehr. Mit wenigen Ausnahmen hat sie sich stets als demokratisches Heer verstanden und benommen.

 

A Fichürla wie a Deichmolch

Bei Kindern ist immer irgendwas Mode und das wird dann bis zum Abwinken betrieben, sei es Fahrradfahren, Ritterles, Fangerles, Fussball oder Versteckerles. Bei meinen Vettern in Thüngen war lange Zeit das Fangen und Halten von Teichmolchen große Mode. In Eimern, Weckgläsern oder Bierflaschen wurden die bedauernswerten Viecher gehaltern, manchmal auch in Freigehegen, die den zusätzlichen Reiz brachten, die Lurche über Nacht am Abhauen zu hindern, was meist misslang. Tagelang standen wir in moddrigen Pfützen und Tümpeln, um mit der Hand oder mit einem kleinen Netz die Teichmolche wieder einzufangen, die uns in der Nacht zuvor abhandengekommen waren.

Es war Sommer, wir hatten nur kurze Lederhoden an und waren alle braungebrannt, als kämen wir gerade von der Adria zurück. Auf dem Thüngener Schlosshof versuchten auch unsere Tanten, braun zu werden. Sie lagen züchtig im einteiligen Badeanzug auf Liegestühlen. Bewegungslos und mit geschlossenen Augen dienten sie dem Gott der Schönheit.

Natürlich schauten wir, die vorpubertären Burschen, uns genauer an, was da geboten wurde, wobei der Gedanke, die Tanten mit Wasser zu bespritzen, das Verlockendste an dem ganzen Unternehmen war. Allerdings trauten wir uns das nicht und spielten weiter Teichmolch-Dompteure. Die eher plumpen Tierchen gediehen in unserer Obhut und unserer Phantasie zu wunderschönen  Geschöpfen, wir bewunderten ihre Behändigkeit und Eleganz im Wasser und belachten ihre Unbeholfenheit auf dem Sand.

Eines Tages sonnte sich Tante Christa auf dem Schlosshof, und, unerhört, sie tat es im Bikini. Zunächst aus der Distanz dann zögerlich näherkommend betrachteten wir dieses außergewöhnliche Schauspiel mit Interesse. Irgendwann bemerkte sie uns und öffnete die Augen. Verlegen standen wir nun rum, bis einer von uns die Situation so erklärte und entschärfte:

„Danbde Grisda, du hasd fei a Fichürla wie a Deichmolch!“

Neulich haben wir ihren 85. Geburtstag gefeiert und dabei festgestellt, dass ihr „Fichürla“ unverändert geblieben ist.