Während des Krieges war Groga, unser Großvater aus Thüngen, irgendetwas beim Geheimdienst gewesen. Ab und zu zog er seinen schweren Mantel an und setzte seinen Jagdhut auf. So ging er in die Allee vor dem Schloss und wartete auf den BND Chef Gehlen. Nach einer halben Stunde kam er zurück, alles war sehr geheim aber natürlich war es überaus wichtig.
Heute würde man sagen, Groga war ein großer Verschwörungstheortiker. Am Telefon sprach er in Abkürzungen. „W. hat mit L. gesprochen“. Allen war klar, dass Onkel Woff und Tante Liesel gemeint waren.
Eines Tages kam ein Brief aus Polen. Willy Brandt war kurz zuvor vor dem Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos niedergekniet. In dem Brief bat ein Sammler von Bier Etiketten um Proben aus der Thüngener Brauerei. „Kommt nicht in Frage, das ist bestimmt ein Spion“. Schorsch und ich haben dann heimlich doch Etiketten und ein paar Bierdeckel nach Polen geschickt. Erstaunlicherweise wurden daraufhin weder das Brauen noch die Auslieferung der Produkte der Schlossbrauerei Thüngen sabotiert.
Am schönsten und am dauerhaftesten aber war sein Verdacht, ein Flüchtling aus Ostpreußen, der im Ort gestrandet war, könnte ein Wilderer sein. Nennen wir ihn Dabar. Herr Dabar hatte die Angewohnheit tägliche längere Spaziergänge über die Thüngener Flur zu machen. Dabei traf er zwangsläufig mit dem Herrn Baron zusammen, der ebenfalls täglich mit seinem Mercedes 170 nach dem Rechten sah.
Es war dies ein uraltes Ungetüm von Auto. Im TÜV Bericht stand: „Zustand bedenklich, Pflege verbissen.“
Groga suchte immer mit dem Feldstecher nach Wild, sah aber öfters nur den einsamen Wanderer. Das ärgerte ihn zunehmend, weil er erstens eben kein Wild sah und zweitens, „was sucht der Kerl in meinem Jagdrevier?“ Langsam baute sich unser Großvater um den Dabar einen Popanz auf. Und wir machten uns einen Spaß daraus.
Damals gab es eine Hamsterplage und Schorsch und ich jagten sie, indem wir den Bau mit Wasser füllten und so den Hamster zur Flucht zwangen. Sehr erfolgreich waren wir nicht, aber beim Abendbrot erzählten wir, wir hätten den Dabar gesehen. Ganz steif sei er gegangen, und mitten im Sommer habe er einen langen Mantel angehabt. Die Geschichte war von A bis Z erfunden. Ihre Wirkung war dennoch mit einer Atombombe vergleichbar. Groga fuhr noch mal hinaus, wir lotsten ihn irgendwo hin und der Zufall wollte es, dass tatsächlich ganz hinten bei der Buchenhöll eine Gestalt zu sehen war. Groga zückte das Fernglas und wir hörten ihn nur murmeln „der Dabar, der Dunnerkeilsfregger!“
Mit aufheulendem Motor fuhr er auf den Wilderer zu und als wir nah genug dran waren, sahen wir, dass er mit kurzer Hose und Unterhemd bekleidet war. Groga drehte bei, bestand aber darauf, dass der Dabar für morgen das Terrain sondiere.
Nie wurde ein Wilderer noch Spuren von Wilderei entdeckt. Aber der Dabar war und blieb einer, der mit abgesägtem Stutzen Hase, Reh und Schnepfe unwaidmännisch meuchelte, um sich seinen Ranzen zu füllen.
Wir liebten unseren Großvater sehr. Auch wegen seiner Schrullen. Mein Vater, sein Schwiegersohn, nannte so etwas „berechtigte Eigentümlichkeiten“.
Meine Kinder sagen unterdessen, ich hätte auch so was. Ich lass sie es nicht merken, aber irgendwie bin ich stolz darauf, in mir Grogas Gene zu entdecken.