Folklore oder gälische Verwünschungen?

Wenn man von Inverness aus nach Norden fährt und dann links, kommt man notgedrungen nach Ullapool. Es gibt nur diese eine Straße. Der kleine Ort liegt am Loch Broom. Über dem Ort liegt eine gespannte Erwartung, die wohl daher rührt, dass alle wissen, dass ganz sicher gar nichts passieren wird. Es gibt eine Fähre nach Stornoway auf den Äußeren Hebriden und wenn die ablegt, dann umfängt den Betrachter das Gefühl, am Ende der Welt alleingelassen worden zu sein.

Brigitte und ich logierten im Caledonian Hotel dem ersten aber auch dem einzigen Platz am Ort. Es war im Frühsommer und bitter kalt. In Ullapool regnet es an 207 Tagen im Jahr. Als es einmal nicht regnete, aßen wir auf der Kühlerhaube des Mietwagens fish ’n‘ chips. Nicht vorher und nicht nachher haben wir bessere gegessen.

Plötzlich kam ein Rumoren auf den Ort zu. Ganz von Ferne näherte sich auf der Straße, die nach Inverness führt, ein riesiger Kühllastwagen. „Pescados Muñoz, San Sebastián“ stand darauf. Wir trauten unseren Augen nicht. Im Hafen rangierte der Laster umständlich neben einen der dort vertäuten Fischkutter und schon begann die Umladerei riesiger Kisten. Ich war absolut sicher, Augenzeuge einer Drogenschmuggelei größeren Ausmaßes geworden zu sein. Trotz aller Bitten meiner treusorgenden Ehefrau, mich da rauszuhalten, wollte ich die Sache genauer wissen. Es stellte sich heraus, dass die Fischer kein spanisch und der Trucker kein Englisch sprachen. Ich dolmetschte und versuchte dabei, einen Blick in die Kisten zu werfen. Einer der Fischer bemerkte das und ich glaubte schon, mein Stündlein habe geschlagen. Doch der Mann forderte mich auf, genauer hinzuschauen. Offenbar war er stolz auf seinen Fang. Und tatsächlich: In den Kisten befanden sich nur viele Fische und viel Eis. Der Trucker sagte mir, noch am Abend werde er irgendwo auf die Fähre gehen und zwei Tage später werde er in Bilbao ausschiffen. Dann sei die Ware immer noch frischer als das, was von den Fangbooten im Atlantik käme.

Abends bot das Caledonian Hotel einen schottischen Folklore Abend an. Es ging mit Haggis los. Das ist eine Schafsblase gefüllt mit Innereinen – gewöhnungsbedürftig. Sogar die Schotten mögen diese regionale Spezialität nicht. Man sagt, sie machten damit Weitwurfübungen. Danach wurde jeder gefragt, wo er herkäme: Exeter, Nottingham, Manchester und dann kamen wir dran: Spain. Keiner glaubte uns. Anschließend traten einige Mädchen auf, die unter musikalischer Anleitung eines zu haarigem Wildwuchs neigenden Mannes tanzten und sangen. Mir wurde immer mulmiger zu Mute. Der Eindruck drängte sich auf, ein von den Bergen herabgestiegener Druide und sein Gefolge sprächen über uns Verwünschungen aus und wir hielten es für gälische Folklore.

Nach unruhiger Nacht buchten wir am nächsten Morgen eine Rundreise zu den Inneren Hebriden. Vorbei an Fischzuchtbecken tuckerten wir geführt von einem unablässig brabbelnden Kapitän an den vielen Inseln vorbei. Es war wieder einer von diesen 207 Tagen. An der Insel Tanera Mòr mussten wir aussteigen. Der Regen kam nun waagerecht, man war sofort durchnässt und eilte daher zum einzigen Island Pub. Die Insel darf ihre eigenen Briefmarken herausgeben, die aber nur dann gelten, wenn sie auf der Insel abgestempelt werden. Der Trick funktionierte, denn alle kauften zur Briefmarke auch noch eine Ansichtskarte.

Der Ausflug war als „seal watching tour“ verkauft worden. Der Kapitän behauptete, die braunen Punkte am Strand einer entfernt liegenden Insel seien Seelöwen. Wir waren froh, dass er uns glaubte, dass wir es ihm glaubten. Unterdessen war die See so rau geworden, dass eine Annäherung an die Seelöwen eine Herausforderung an unsere Magenstärke gewesen wäre.

In Ullapool im Licht der untergehenden Sonne wieder fish `n‘ chips“ auf der Kühlerhaube unseres Mietautos.

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