Mein Großvater hatte eine Köchin, die Helga und eine Sekretärin, das Freuln Kühl. Und er hatte die Dorett. Deren Status war ungeklärt. Ihre Bedeutung aber übertraf die der beiden anderen um Längen. Unaufgefordert bekamen wir von ihr ein Stück Würfelzucker, wenn wir sie in der Küche im Mittelstock des Nordflügels besuchten. Das war in den Fünfziger Jahren ein Segen, den „Schleckereien“ gab es einfach nicht.
Die Dorett war unverheiratet. Das war unüblich und verführte zu Spekulationen. Hinzu kam, dass die Dorett im Sommer nackt in der Baunach schwamm, an der Linder Brücke etwa 100 Meter bachaufwärts. Damit wir sie dabei nicht beobachteten, erzählte sie uns, der Bobbelootz bewache ihr Nacktbaden. Nun ist ja allgemein bekannt, dass der Bobbelootz ein kinderzerfleischendes Ungeheuer ist, und so mieden wir den Ort.
Ihr wurde auch nachgesagt, sie sei mannstoll. Das wurde an der folgenden Episode festgemacht: In Rentweinsdorf begann ein junger, unverheirateter Kaplan seinen Dienst. Der machte seine seelsorgerlichen Besuche in Salmsdorf, Treinfeld, Lind und Losbergsgereuth zu Fuß. Dorett, stolze Besitzerin eines Fahrrades, folgte ihm und umkreiste die schwarz gewandete Gestalt des Gottesmannes. Der, eigentlich ganz in seine fromme Lektüre vertieft, bemerkte die damals noch fesche Dorett und fühlte sich in seiner Sittlichkeit bedroht.
Wie erwehrt sich ein Geistlicher der Fährnisse des weltlichen Lebens? Auf Lateinisch natürlich, denn es ist ja nicht die Dorett, die Böses will, sondern der sie umtreibende Leibhaftige.
Und so schleuderte er ihm ein „apage satanas“ entgegen. Sei`s dass der Teufel an dem Tag kein Latein verstand, jedenfalls ließ die Dorett nicht von ihrem Opfer ab und so musste sich der arme Mann bei meinem Großvater beschweren.
Die Dorett wurde vermahnt.
Mein Großvater war krachtaub, aber er wusste ganz genau, wann die Dorett an seiner Tür lauschte. Er bat dann seinen Gesprächspartner, weiterzureden und schlich auf erstaunlich leisen Sohlen zur Tür, riss sie auf und fing die Dorett in seinen Armen auf. Die strich ihre Schürze glatt und ging in die Küche zurück, als sei nichts geschehen.
Die Dorett litt schrecklich darunter, dass ihr Dienstherr über Monate „auf den Tod“ lag und nicht sterben konnte. Eines Morgens im Winter wurde sie bei meinen Eltern vorstellig und sagte: „Die jungen Herrschafdn meinen‘s sicher gud, aber bei die Bauern wär scho längst amal a Fensdä offen gabliem.“
Nach dem Tod des Großvaters bekam die Dorett unten auf dem Hof eine kleine Wohnung. Dort besuchte ich sie oft und gerne, denn statt eines Stückchens Zucker steckte sie mir nun „a Fuchzicherla“ zu und sie brachte mir bei, wie man Pfannkuchen macht, mit Umdrehen in der Luft!
Die Dorett hat die Kindheit von uns fünf Geschwistern begleitet und auch ein Bisschen überwacht. Das war das Schöne an der damaligen Zeit: Das Dorf war unser großer Abenteuerspielplatz, niemand passte auf uns auf und dennoch wären Viele zur Stelle gewesen, wenn doch einmal etwas passiert wäre, an vorderster Stelle sicher die Dorett.
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