Ceterum censeo Britanniam permanere

Je mehr ich an den Brexit denke, desto unwohler wird mir, desto betrübter bin ich und desto mehr muss ich daran denken, wieviel ich dem Vereinigten Königreich zu verdanken habe.

Da waren natürlich als erstes die Beatles, zuvor hatte ich nur die Schlagerparade des Bayerischen Rundfunks gehört. Ich verstand kein Wort aber dennoch öffneten uns John, Ringo, Paul und George das Herz und den Kopf, wohin wusste keiner von uns, aber es war spürbar.

Später flog ich mit meinem älteren Bruder nach London um in Guildford bei der Familie Gaultry unser Englisch aufzubessern. Der Vater arbeitete beim Geheimdienst, das war aufregend. Wir wurden ins Theater geführt, Shakespeare natürlich. Im Kino gab es in der Pause Eis der Marke „Dairy Maid“ und beim Chinesen fragte der Kellner ob wie „lice“ (Läuse) zum Bami Goreng haben wollten. Der Hausherr brachte uns vor dem Aufstehen Tee ans Bett und nachmittags gab es immer den obligatorischen afternoon tea mit köstlichem Gebäck. Wir erlebten vor dem Fernsehgerät der Familie das „third goal, no goal“ Drama. (1966)

London war für uns Dörfler aus Unterfranken überwältigend. Alle Versuche die Guards vor White Hall aus der Fassung zu bringen misslangen kläglich. Später wurde ich kurzzeitig verhaftet, weil ich auf dem Mittelstreifen der Mall den Horse Guards nachgelaufen war.

Als unsere Kinder in Schottland im Internat waren, haben wir immer an den Elterntag eine Woche Highlands drangehängt. Nirgends gibt es schönere Strände als dort, zum Baden ist es zu kalt. Die Schotten gehen dennoch ins Wasser. Nirgends gibt es schönere Einsamkeiten und die Erfahrung, wie sehr zwanzig Hirsche auf einem Haufen stinken, muss man nicht unbedingt machen. Beide Kinder geben zu, dass die Zeit in Gordonstoun zu ihrer Menschwerdung entscheidend beigetragen hat. Da kann man als Eltern doch nur dankbar sein!

Später hatte ich beruflich viel in Nottingham bei den Kollegen von Geldards zu tun und lernte die konzentrierte Lockerheit kennen, mit der britische Anwälte ans Werk gehen. Später studierte unser Sohn David dort und als wir ihn besuchten, machten wir zu seinem Verdruss „sight seeing“. Unvergessen, wie der Turm der Kathedrale von Ely aus dem Dunst der flachen Landschaft wächst. In der noch mittelalterlich gebliebenen Stadt stellten wir fest, dass am Abend in der Kathedrale das Requiem von Brahms gegeben werde. Englische und deutsche Musiker führten es auf. David meinte, das sei etwa so, wie wenn Madrid gegen Barcelona spielt, das dürften wir uns nicht entgehen lassen. Er hat dann im Hotel ferngesehen und Brigitte und ich hatten ein Musikerlebnis, an das wir noch in der Todesstunde denken werden. Ich habe „Aussöhnung“ nie zuvor erlebt, dort, in der einzigartigen Kathedrale von Ely, war sie spürbar. Kultur, Musik und die Verheißung „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth“ machten spürbar, dass wir alle zusammengehören und zusammen gehören wollen auf unserem Teil der Erde, den uns Gott als Wohnung gegeben hat.

Und immer wieder London. Unzählige Theaterbesuche, die Museen, Portobello Road. Einmal überraschte uns sogar ein Bombenalarm in einem kleinen italienischen Restaurant. Als ich mit Angelo gerade handelseinig geworden war, dass er für die Zeit des Alarms den Wein billiger ausschenkt, kam ein Bobby herein und sagte, wir könnten jetzt wieder auf die Straße gehen.

Die Brexit Verhandlungen werden – wie jede Scheidung – schmerzhafte Wunden schlagen. Man könnte das ja begreifen, wenn die Scheidung notwendig wäre und wenn die Zukunft für alle leuchtend erscheinen würde. Aber unterdessen haben fast alle erkannt, dass der Brexit so unnötig ist wie ein Kropf, dass er allen nur schadet und womöglich das zerstört, was die Zuhörer in der Kathedrale von Ely gespürt haben.

 

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