Wir Kinder hatten einen Spielschrank. Es war eigentlich ein etwas tiefer geratenes Regal mit einem Vorhang davor. Letzterer hatte den Vorteil, dass man die Unordnung dahinter nicht sah, aber er störte halt beim Rausnehmen der Spielsachen und noch mehr beim Aufräumen.
Im Spielschrank wurden unsere Modellautos aufbewahrt, aber auch Bauklötze, zwei große LEGO Kästen, Werkzeug, Bälle und eine Burg, die wir aus Holzteilen immer wieder anders zusammenbauen konnten.
Jeden Abend mussten die Spielsachen in den Spielschrank geräumt werden. Das fand ich vollkommen idiotisch, denn am nächsten Morgen würden wir ja alles wieder herausnehmen. Noch heute empfinde ich Aufforderungen wie etwa meinen Schreibtisch aufzuräumen als reine Schikane, denn wo ich arbeite, da herrscht nun mal kreative Unordnung, zumal ich gelernt habe, dass sich manche Sachen von alleine erledigen, wenn man sie nur lange genug rumliegen lässt.
Kurz, ich hatte zu dem Spielschrank ein zwiespältiges Verhältnis, einerseits war er unnötig und lästig, andererseits waren aber unsere Spielsachen darin.
Irgendwann begannen mich Scheren zu interessieren. Ich fand es faszinierend, wie zwei an sich stumpfe Dinger im Zusammenwirken richtig scharf wurden. Nichts war vor mich sicher, überall schnipselte ich herum und eines Tages schnitt ich ein großes Loch in den Spielzeugschrankvorhang. Natürlich fiel der Verdacht auf mich, aber ich leugnete standhaft. „Wennstes doch warst, kriegste ne Schelle“ drohte meine Mutter. Einige Tage später schnitt ich mir selbst die Haare. Meine Mutter war entsetzt und zu dem ästhetischen Desaster kam hinzu, dass ich nach Beweislage der mit dem Vorhang gewesen sein musste. Meine Mutter war außer sich und schickte mich zur Strafe für den Rest des Tages ins Bett.
„Du hast aber gesagt, ich krieg ne Schelle!“, versuchte ich das Unglück von mir zu wenden. Meine Mutter musste lachen und schickte mich zu meinem Vater, der mir die Schelle verpassen sollte. Sie viel eher milde aus.
Eine andere Taktik verfolgte mein jüngster Bruder. Den hatte meine Mutter im Verdacht, irgendetwas Verbotenes getan zu haben. Es folgten inquisitorische Verhöre und drakonische Strafandrohungen. Das alles war sehr zeitaufwendig und hinderten den Buben daran, mit seinen Freunden im Dorf zu spielen. Immer wieder kam Mutter darauf zurück. Irgendwann brach sie die Mauer seines Leugnens auf. Er gab zu, der Missetäter zu sein und bekam die angekündigte drakonische Strafe.
Einige Tage später stellte sich heraus, dass er es gar nicht gewesen sein konnte. Mutter war zerknirscht und Vater bat seinen Sohn zu einem Gespräch unter Männern, denn er machte sich ernste Sorgen und en Geisteszustand des achtjährigen. Behutsam ging er das Problem an, um dann eben doch zu fragen, weshalb er denn um Himmels Willen etwas zugegeben hätte, was er gar nicht verbrochen hatte?
Antwort: „Ich wollt halt endlich meine Ruh haben!“