Aufklärung in Franken

Unser Vater hat meinem Bruder und mir ein Aufklärungsbuch vorgelesen, das, nachdem klargestellt worden war, dass wir schwangeren Frauen die Einkaufstüten hochtragen sollen, in dem Satz gipfelte: „Das heißt aber nicht, dass ihr anderen dicken Frauen die Einkaufstüten nicht hochtragen sollt.“

Man sieht, mit der sexuellen Aufklärung war es nicht weit her in Rentweinsdorf. Eltern, die Lehrer und der Pfarrer machten sich Sorgen um die Tugend aber in erster Linie missbilligten sie ungewollte Schwangerschaften, wussten allerdings nicht, was dagegen zu unternehmen sei.

Man darf dabei nicht vergessen, dass es in den 50er noch üblich war, dass eine Braut, die heiraten „musste“, dies in einem schwarzen Kleid tat. Wenn sie doch weiß heiratete und das Kind eben zu früh kam, verkündete der Pfarrer von der Kanzel herab: „Die kirchlichen Ehren haben sich erschlichen…“

Nun ist es ja so, dass Entwürdigungen und Abkündigungen von der Kanzel herab weder der Natur Einhalt gebieten, noch ein wirksames Antikonzeptivum sind. Und so brach sich auch in Rentweinsdorf das Bahn, was letztlich zum Erhalt der Menschheit notwendig ist.

Besonders begehrt waren die im Nordflügel des Schlosses wohnenden Dienstmädchen meiner Mutter. Unter den jungen Burschen des Dorfes und der Umgebung war die Kenntnis darüber welche Stufen der „drübern Drebbn gnerdsn“ unersetzliches Fachwissen und diese Expertise wurde in jugendlicher Solidarität untereinander weitergegeben, durchaus mit Billigung der betroffenen jungen Damen.

Irgendwann aber raffte man sich im Gemeinde- und im Kirchenrat dazu auf, das zuzulassen, was anderswo längst Gang und Gäbe war. Die Sache mit dem Storch, sollte ein Eingeladener Experte vor der Jugend des Dorfes klarstellen und dabei sollte auch die Empfängnisverhütung zur Sprache kommen.

Doch kaum war der Gedanke geboren, meldeten sich auch schon die üblichen Bedenkenträger. „Des könnd ihr mid unnera Kinner ned gamach! Ihr bringd sa ja blos auf dumma Gedangn.“

Diesem Argument konnten sich weder Lehrer und Pfarrer noch Kirchen- und Gemeinderat verschließen, und so wurde der Experte gebeten, den Eltern beizubringen, wie sie „es“ ihren Kindern beibringen sollten.

An einem lauen Frühlingsabend traf man sich im „Juchendheim“ und der aus Nürnberg angereiste Herr erklärte den verblüfften Eltern die wissenschaftlichen Zusammenhänge dessen, was sie bisher unwissenschaftlich praktizierten. Aufklärung für Erwachsene sozusagen. Inwieweit er auch Rat vermittelte, wie man das Wissen an die eigenen Kinder weitergeben sollte, ist nicht überliefert.

Das Thema führte zu hitzigen Debatten in den verschiedenen Gasthäusern, Einkaufsläden, Metzgereien und natürlich über den Gartenzaun hinweg. Schließlich sah man sich genötigt, eine erneute Versammlung einzuberufen, um darüber zu sprechen, welchen Schaden der Nürnberger Experte angerichtet haben könnte. Man traf sich wieder im „Juchendheim“ und es schien, als ob die Teinehmerzahl seit dem letzten Ereignis gestiegen sei, denn so manche Omma wollte auch mitreden können.

Man war sich bald einig, dass die Sau aus Nürnberg nur Verwirrung gestiftet habe. Wie man derlei den eigenen Kindern nahebringen sollte, war allen schleierhaft. Da meldete sich der Hannfrieder aus dem Öberdorf, um seine Meinung zu sagen:

„Ich bin do nei, weil der Pfarrer gsochd hod, ich söll do nei. Aber ich sooch euch aans: Nix Neus hob ich galernd!“

Sofort erhob sich ein lautes Stimmengewirr, aus dem nur eines wirklich verständlich rüberkam: „Aff, blöder Aff, ned du söllst nuch wos lerna, dei Kinner söllns lerna.“

Ein Gedanke zu „Aufklärung in Franken“

  1. Das nenne ich mal „Gnade der späten Geburt“ 🙂 Mir als jüngstem wurde „woher kommen die kleinen Jungen und Mädchen“ auch noch von unsrem Vater bei chemisch reiner Abwesenheit der Mutter vorgelesen, aber auf meine mehr oder weniger unbewußt schlüpfrigen Fragen stand er tapfer Rede und Antwort. Auch wenn einem danach der ganze Affenzirkus nicht als extrem erstrebenswert ersdchien:-) Aber man lernt jaauch ohne Eltern!

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