Antiislamismus

Wenn Wasser nicht mehr weiter kommt oder darf, sucht es sich einen neuen Weg.

Angesichts des bedingungslosen und begründungslosen Antiislamismus in den sozialen Netzen, frage ich mich, ob dieses derzeit noch tolerierte gesellschaftliche Verhalten nicht einfach eine Ersatzhandlung für etwas ist, was man nicht mehr soll oder darf.

Ich spreche vom Antisemitismus.

Wer sich schnell im gesellschaftlichen Aus wiederfinden will, der outet sich als Antisemit. Wir müssen ja nicht so tun, als ob es diese nicht mehr gäbe, es gibt sie zu Hauf und in wachsendem Maß. Aber wenige nur geben sich als Antisemiten zu erkennen.

Sich allerdings als Antiislamist zu erkennen zu geben, wird je nachdem, in welchen Kreisen man sich bewegt, mit Applaus bedacht.

Ehen zwischen Muslimen und Christen schrecklich zu finden, blöde Witze von Bratwurst essenden und Bier trinkenden Moslems zu machen, das geht durch. Wenn man die vorgetragenen Meinungen hinterfragt, kommt bares Nichtwissen über den Islam zutage. Oft auch werden Suren des Koran zitiert, von denen alle Welt weiß, dass sie kämpferisch sind, von der muslimischen Theologie aber unterdessen ebenso eingeordnet wurden, wie das alttestamentarische „Zahn um Zahn“. Schließlich gibt es Antiislamisten, die sagen, sie hätten lange in arabischen Staaten gelebt und wüssten deshalb aus eigener Anschauung, wie böse der Islam ist.

Ich habe lange genug im evangelisch-pietistischen Unterfranken gelebt, um zu wissen, wie eine Religion zu einer menschenfeindlichen Einschüchterungsmaschine umfunktioniert werden kann. Dennoch käme ich nie auf die Idee, das Christentum als böse zu brandmarken.

Es gibt keine böse Religion, es sind wir Menschen, die sie zu bösen Zwecken missbrauchen.

Antiislamismus und Antisemitismus haben gemein, dass man sich an der fremden und unverstandenen Religion hochranken kann. Es ist ja noch nicht allzu lange her, da war es eine Katastrophe, wenn es zu einer evangelisch-katholischen Mischehe kam. Also, um wie viel „schlimmer“ ist es, jemanden in die Familie zu bekommen, dem erstmal erklärt werden muss, was es mit dem Pfingstwunder auf sich hat, der unter dem Weihnachtsbaum nicht mitsingen kann und unvermittelt einen Monat lang tagsüber weder isst noch trinkt.

Fast alle Anti-Haltungen richten sich gegen das Fremde. Vor dem Fremden hat man Angst. Deshalb wird es abgelehnt.

Viele Menschen brauchen einen Angstgegner. Es fällt mir schwer, zu verstehen, wie man Angst vor einer fremden Kultur oder einer fremden Religion haben kann. Geschieht das aus einem Gefühl der eigenen Schwäche heraus?

Was haben wir denn vom Fremden zu befürchten? Das Fremde bereichert kulturell und wirtschaftlich. Den Islam oder welche Religion auch immer zu verunglimpfen bringt gar nichts.

Und hier kommt mein „ceterum censeo“: Hetzen führt zu nichts. Wir müssen die Zugezogenen auf die bei uns geltenden Werte leiten: Gleichberechtigung, Menschenwürde, Schutz von Minderheiten, Respekt vor dem Anderen.

Aber mal ganz unter uns: Haben die jüdischen Mitbürger, die vor dem Holocaust Deutschland lebten, diese Werte nicht auch ganz selbstverständlich gelebt? Waren sie nicht integriert? Wie konnte es dann sein, dass aus dem deutschen Volk von Bildungsbürgern ein Volk wurde, das es tolerierte, dass in seinem Namen gemordet wurde?

Ich sehe Parallelen und mache mir große Sorgen um die geistige Verfassung meiner deutschen Nachbarn.

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