Unsere Französischkenntnisse waren noch rudimentär, als mein Vetter Schorsch und ich beschlossen, einen gemeinsamen Patenonkel in Frankreich zu besuchen. Bis Paris kamen wir mit einer Mitfahrgelegenheit. Die französische Dame hatte ein deutsches Nummernschild und fuhr wie eine gesengte Sau. „Das mache in Frankreich immer so, damit die Franzosen auf die „boches“ schimpfen können“.
Als wir nachts in Paris ankamen, ließ sie uns irgendwo raus und wir legten uns unter den nächsten Busch in unsere Schlafsäcke. Im Morgengrauen weckten uns zwei Flics auf, die mit allen Anzeichen des Entsetzens klarmachten, wir könnten froh sein, mit dem Leben davongekommen zu sein. Wir waren mitten in der Stricher- und Drogenszene gelandet.
Wir packten unsere Sachen zusammen und liefen zum nahen Triumphbogen. Außen, auf einer der Bänke stellten wir den Camping Gaz Kocher auf und machten Kaffee. Mit der Blechtasse in der Hand überwand ich die Gefahren des Verkehrs auf der Place de l’Étoile, weil ich mir den Arc de Triomphe etwas näher anschauen wollte. Dort wurde ich fast verhaftet, weil die Wachhabenden dachten, ich wolle meinen Kaffee über der ewigen Flamme wärmen.
Schorsch hatte kurz vor unserer Abreise den Film „Zur Sache, Schätzchen“ gesehen und wollte unbedingt, dass ich ihn mir auch anschaute. Ich wand ein, dass wir doch gar nicht wüssten, wie der Film auf Französisch hieße. „Ist doch vollkommen klar: “A la chose, chérie“. Der Film war offenbar noch nicht synchronisiert worden, und so sahen wir uns an einem verregneten Nachmittag einen Film von Louis de Funès an, den wir nicht verstanden. Ich erinnere mich noch, dass viel Rad gefahren wurde. Danach folgten wir dem rat des Kellners auf einer Terrasse und tranken ein Pollanäre. Groß war das Erstaunen, als er zwei Gläser Paulaner Bier brachte.
Nach einigen Tagen Paris, Schwindelgefühl auf dem Eiffelturm und Enttäuschung vor der Mona Lisa (die ist ja so winzig) inbegriffen, fuhren wir mit der Bahn nach Chérence zu unserem Patenonkel. Der war aber grad in Deutschland. Immerhin erlaubte uns der Hausdrachen, unser Zelt auf dem Rasen vor dem Haus aufzubauen. Sie berichtete, dass in einer Höhle im Steilufer der Seine ein Clochard wohne. Den wollten wir uns natürlich anschauen. Als wir dessen Behausung näherkamen, griff uns ein riesiger deutscher Schäferhund mit lautem Gebell und Geknurre an. Schorsch blieb stock steif stehen und rief „ne pas, ne pas“, während ich meine Angst vor Hunden nicht zügeln konnte, und einen Salto rückwärts in den Abgrund vollführte. Ein Dornbusch fing mich auf. Schorsch war wütend, weil er mich aus den Dornen befreien musste und ich mich vor Lachen nichtmehr ein bekam. Die „ne pas Nummer“ war einfach zu komisch.
Von nun an trampten wir. Chartres, Orléans, Lyon und schließlich Annecy, wo wir beschlossen, umzukehren.
Wir hatten geübt, die Autofahrer für und einzunehmen. Durch Gesten versuchten wir den Grad unserer Verzweiflung, nicht mitgenommen zu werden, auszudrücken. Einmal hielt ein riesiger LKW und heraus sprang ein winziges Männlein. « Il ne faut pas faire la grimace, quand on n‘arrête pas », schrie er uns an. Dann verschwand er wieder in seinem Führerhaus und brauste davon. Ein andermal hielt ein englischer Kleinbus. Old Swan Boys Club stand darauf. Die etwa zehn „boys“ wollten von uns Geschichten aus dem zweiten Weltkrieg hören. Sie konnten alle britischen Generäle auswendig und hatten überhaupt kein Verständnis dafür, dass uns das Thema weder interessierte noch wir uns darin auskannten. Für uns war neu und fremd, Gleichaltrige zu treffen, die vor Nationalstolz fast platzten. (Fortsetzung folgt)