Frau Wagner war meine erste Lehrerin. Sie war mit dem Konditor Wagner in Ebern verheiratet und kam immer mit dem Rad nach Rentweinsdorf. Damals wurde der Marktplatz in Ebern neu gepflastert und unsere Lehrerin stöhnte immer, die Arbeiter, die die Steine verlegten, wüssten wenigstens, was sie am Tag geschafft hätten, sie aber wisse nie, wie viel sie in unsere Holzköpfe hineingebracht habe. Wir hatten es aber auch schwer, denn plötzlich wurden wir mit der Tatsache konfrontiert, dass es außer dem b,d,g auch noch ein harddes b, ein harddes d und ein harrdes g gab. Und an der Wand hing ein großes Schild, auf dem das Wort „tut“ durchgestrichen war. Wie wollte man denn einen Satz bilden, in dem kein „tut“ vorkam? „Der Bedä, wo hinder die Bosd wohna dud“… von vorn bis hinten plötzlich alles falsch.
Später bekamen wir ein Follein Frange als Lehrerin. Sie kam aus Norddeutschland, also weidä drohm wie Bad Brüggenau und sie verstand uns nicht. Nach den Sommerferien kam sie wieder und hieß auf einmal Frau Bandelon. Wir konnten uns den Namen nicht merken und mein Freund Berthold meitne trocken: „S wär bessä, wenn sa Lufballom häserd.“
Rechnen beschränkte sich mehr oder weniger auf und-rechnen und weg-rechnen und ging so von statten: „Irene, wie viel fehlt von 7 auf 10?“ Mädchen, die es nicht wussten, drehten am Schürzer, Buben, die es nicht wussten, spielten mit den Aufschlägen ihrer kurzen Lederhose, so dass die dort gelagerten Popel rausfielen. Wenn Gefahr bestand, dass man gleich aufgerufen würde, hob man die Hand und rief, „Frollein, ich muss amol ausdrädn“. Zu diesem Zweck musste man um das Schulhaus herumgehen. An der Rückseite befand sich ein Verschlag mit geneigter Regenrinne. Händewaschen konnte man dort nicht. Wie zum Hohn hing an der Tür zum Klassenzimmer ein Plakat, auf dem wir entzifferten: „Nach dem Stuhlgang, vor dem Essen, Hände waschen nicht vergessen!“ Lesen konnten wir es, verstanden haben wir es nicht, weil Stühle bekanntlich nicht gehen können.
Einmal im Jahr kam der Bilzmarddl. Er brachte uns bei, welche Pilze giftig sind und welche nicht. Er machte es an der Knolle fest, die mit waren giftig, die ohne nicht, oder auch umgekehrt. Dann hob er ein Bild hoch und fragte: „Is der Fregger ädserd gifdich oder ned?“ Und wir antworteten im Chor. „Dieser Bilz ist gifdich, weil er eine Gnolle had.“
Und natürlich kam auch der Niggelaus. Alle hatten Angst vor ihm, nur ich nicht, denn er hatte den umgedrehten gefütterten Pelzmantel meines Vaters an, den umgedrehten Fußsack meines Großvaters auf dem Kopf und auch sonst war er meinem Vater sehr ähnlich.
Natürlich lernten wir auch die Himmelsrichtungen: Osten ist hinter Treinfeld, nach Süden geht’s auf Bamberch, Westen ist hinter Salmsdorf und Norden ist hinter Ebern. Noch heute orientiere ich mich danach, was mich nicht immer auf der direttissima ans Ziel bringt, wie ich zugeben muss.
Später bekamen wir es mit der deutschen Grammatik zu tun, etwa der Beugung von Tu-Wörtern. Wir wurden aufgerufen und mussten ein bestimmtes Verb beugen: „Renate, beuge das Wort schlachten.“ Und die Renade beuchde: Er schlachded, er schlachdedde, er had geschlachded, starg gebeuchd.“ Dann kam ein anderer Schüler mit dem Wort schimpfen dran und der beuchde: „Schimbfen, er schambfde, er had geschumbfen, sehr sdarg gebeuchd.“
Das Erwachen auf dem Gymnasium war grausam. Ich war plötzlich der dümmste in der Klasse. Neulich fand ich einen Brief der Pree, der Klassenlehrerin der Sextaner im Landheim Schondorf, in dem sie meinen Eltern riet, davon abzusehen, mich bis zum Abitur zu quälen…