Es hat nach den klassischen Demokratien in Athen und Rom lange gedauert, bis sich wieder die Überzeugung breitmachte, dass Abstammung kein Garant für Grips oder Führungsfähigkeiten ist. Besonders Europa musste immer wieder depperte, halbdemente, psychisch kranke und brunsbieslblöde Herrscher über sich ergehen lassen. Manchmal bemerkte das der Untertan gar nicht, manchmal bezahlt er es mit dem eigenen Leben. Der Ausbruch des ersten Weltkrieges ist ein beredtes Beispiel dafür.
Danach waren sich Europas Völker einig, dass wenn man schon Könige hat, dann sollen die bittschön nicht mitreden dürfen. Sie werden auf den Posten einer moralischen Instanz verschoben, den, so muss man sagen, die meisten von ihnen auch professionell ausfüllen.
Man begann dem Beispiel aus den USA folgend auch auf dem alten Kontinent die Regierenden zu wählen, und das ging auch immer gut, bis auf eine verheerende Ausnahme: Adolf Hitler. Der kam auf demokratische Weise an die Macht, dann aber kümmerte er sich nicht mehr um Gewaltenteilung, um Rechtsstaat, um Anstand und Moral. Er fand sogar ein Parlament, das zuschaute und ihn ermächtigte, das Parlament zu missachten.
Die Konsequenz war der 2. Weltkrieg. Danach war es umso mehr die Überzeugung der Völker, diejenigen, die sie regieren sollten, selbst auszuwählen und zu beaufsichtigen. Eine zunächst mit Scheelaugen betrachtete vierte Macht kam zur Exekutive, zur Legislative und zur Judikative hinzu. Es war die freie Presse, die alle drei überwachte. Oft genug hat sie seither bewiesen, dass die drei klassischen Mächte sich eben doch nicht so effektiv gegenseitig kontrollieren, wie wir dies alle wünschen.
Dass wir unsere Politiker wählen, dass keiner ein Amt ohne demokratische Legitimation ausüben kann, das ist eine lang erkämpfte Errungenschaft.
Nun haben wir seit gut 100 Tagen einen Mann im Weißen Haus sitzen, dem es in derart kurzer Zeit gelungen ist, sich über alle demokratischen Regeln hinwegzusetzen.
Wie geht das denn?
Ich habe neulich ein interessantes Interview gelesen, in dem ein britischer Politologe sagt, dass seit gut 100 Jahren Bernie Sanders der erste US Politiker sei, der versucht habe, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden, ohne sich diesen Posten durch Geld zu erkaufen.
Der Mann hat Recht. Die Abermillionen an Wahlspenden für die Bewerber um das höchste Amt in Washington DC sagen zumindest eines aus: Der wählende „kleine Mann“ ist, wenn es hoch kommt, Stimmvieh.
Ist das einer Demokratie würdig?
Ich glaube immer mehr, dass wir uns abgewöhnen sollten, in den USA noch eine Demokratie zu sehen. Zurzeit klappen ja nicht einmal mehr die „checks and balances“, die zwischen den Wahlen das Funktionieren einer Demokratie sicherstellen sollen.
Die US-Amerikaner betrachten ihre Heimat als „the land of the free“. Das hört man immer wieder: „Wir können hier machen, was wir wollen“.
Aber wer will dort schon abends auf dunkler Straße einem Polizisten begegnen? Wer will dort schon in den Verdacht geraten, eine Straftat begangen zu haben? Wer will sich schon willkürlichen Einreisebeschränkungen ausgesetzt sehen? Wer will schon in einem Land leben, wo es immer wieder zu gewalttätigen Rassenkonflikten kommt? Wer will schon wegen einer Lüge, die dem UN Sicherheitsrat aufgetischt wurde, im Irak sein Leben lassen?
Irgendwie scheint es aus europäischer Sicht so zu sein, dass die Mechanismen, die eine Demokratie wach und am Leben erhalten, in den USA nicht mehr richtig funktionieren.
Ich schreibe aus europäischer Sicht und erhebe beileibe nicht den Anspruch, hier sei alles Gold und eitel Sonnenschein.
Auch wir müssen aufpassen! Dass die Wahl eine hehre Errungenschaft ist, wissen viele Mitbürger schon nicht mehr. In mehreren europäischen Staaten haben wir erst kürzlich erlebt, dass Wahlen unvorhergesehen, knapp oder besorgniserregend ausgehen können.
Das Volk ist der Souverän. Aber der Souverän ist das ganze Volk. Wer nicht zur Wahl geht, oder wer Rattenfängern auf den Leim geht, der hat sich als Souverän abgemeldet.
Das erleben die Menschen in den USA gerade am eigenen Leib.