Die männlichen Glieder der Familie Rotenhan haben sich militärisch fast nie hervorgetan. Schön brav zu Hause blieben sie im Dreißigjährigen Krieg, wurden aber in dessen Folge, sehr zu meinem Ärger, evangelisch. Das war politisch opportun, sonst aber nichts.
Auch in den napoleonischen Kriegen tat sich niemand militärisch hervor, man trauerte der verlorenen Reichsunmittelbarkeit und dem verlorenen „Souveränitätl“ nach. Offenbar war das Beschäftigung genug.
Die Bedeutungslosigkeit der Familie Rotenhan ist geradezu legendär. Mein Vater redete sich die Sache schön, als er behauptete, nur bedeutungslose Familien schafften es, 800 Jahre alt zu werden. Damit hatte er insofern Recht, als im Lauf der Geschichte, niemand je auf die Idee gekommen ist, auf die Rotenhans neidisch zu sein und ihnen am Zeug flicken zu wollen.
Doch dann kam das 19. Jahrhundert!
Die großen Konflikte waren ausgeräumt, Europa in eine neue Form gegossen. Wie wir heute mit unserer Nachkriegsregelung dachten die Menschen, der Wiener Kongress habe zwar nicht alles gut geregelt, dafür aber dauerhaft.
Dauerhaftigkeit ist der Feind der Evolution, und nach dem 20. Januar werden wir Gelegenheit haben, dies hautnah miterleben zu dürfen.
Aber bleiben wir im vermeintlich friedlichen 19. Jahrhundert. Da war nach Napoleon zunächst so wenig los, dass sich sogar Rotenhans aus der Dickung wagten. Man wurde Politiker, Staatsbeamter und auch eben Soldat. Plötzlich wimmelte es nur so von Hauptmännern, Oberstleutnants, ja Obristen. Bei festen und Familientreffen sah man Orden, und Lametta, denn einige der Töchter hatten sogar Generäle geheiratet. Man war stolz auf die bedeutenden Schwiegersöhne. Es bohrte aber ein Stachel im Fleische der Familie: Wo blieb der General Rotenhan?
In der Not frisst der Teufel Fliegen, und als Onkel Ludwig am Ende doch noch General wurde, zwar nur der Infanterie und zu allem Elend auch noch im bayerischen Heer, atmete man auf und sah sich endlich aufgenommen in den Kreis der Familien, die das Geschick der Welt auf dem Felde der Ehre formen.
Der Bundeskanzler Erhard hat einmal zum Entsetzen der Presse gesagt „Wir sind wieder wer!“. Damals sagten Rotenhans: „Wir sind wer!“
Die Beförderung zum Generalmayor geschah im Jahre 1905. Schon ein Jahr später reichte Onkel Ludwig seinen Abschied ein. Offenbar hatte es sich bei der Generalswerdung um den sogenannten „goldenen Händedruck“ gehandelt.
Einer der Schwiegersöhne, Wilhelm Freiherr von Egloffstein, war preußischer General, auch nur der Infanterie, dennoch er galt etwas in der Familie. Bis zu dem Tag, als man in Rentweinsdorf eine „Sommerpartie“ vorhatte. Mehrere Leiterwagen mit je zwei Pferden fuhren auf den Schlosshof und Tante Else, die Generalin, organisierte die Verladung von Proviant und Personen. Geschrei und Durcheinander wurden von der durchsetzigen Dame im Zaum gehalten, als etwas Außergewöhnliches geschah: Jemand wagte es, sich einzumischen. Onkel Wilhelm, der Gemahl und General schlug vor, die Kisten mit dem Kirschsaft in den gedeckten Wagen zu laden, wegen der Sonne und so.
Da drehte sich Tante Else zu ihm um, drückte ihm etwas Längliches in die Hand und verwies ihn mit knappen Worten auf den ihm gebührenden Platz:
Du hältst den Schirm und den Mund!