Moishe Pischeles

Es stehen drei Juden im polnischen Stedl zusammen. Da kommt gravitätisch streitend ein vornehmer Herr im schweren Zobelmantel vorbei.

„Das ist Maurice de la Fontaine, ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann“, sagt Schmul.

„Naja“ entgegnet Herschel, „er hat sich heraufgearbeitet, als wir gemeinsam die Banklehre machten, hieß er noch Moriz Wasserstrahl.“

„Nu“, meint Aaron, „ich hab‘ ihn noch gekannt als Moishe Pischeles“.

Wie fast alle jiddischen Witze hat auch dieser eine Vorgeschichte: Als die polnischen Juden durch die andauernden Teilungen des Landes mal preußisch, mal russisch, mal österreichisch wurden, reichte der Vatername, etwa Moses Abrahamsohn, nicht mehr aus, „richtige“ Nachnamen mussten her. Die jeweiligen Beamten aber machten sich einen Spaß daraus, den jüdischen Neubürgern blöde, spaßige oder erniedrigende Nachnamen zu geben.

Nur zu gut ist zu verstehen, dass viele Juden, sobald sie es sich durch sozialen Aufstieg leisten konnten, diese Namen loswerden wollten. So war es im vorvergangenen Jahrhundert üblich geworden, den Nachnamen zu ändern, zu „dignifizieren“, wofür der obige Witz ein wunderbares Beispiel ist.

Der reiche Schatz an jiddischen Witzen ist in jüdischen Familien stets präsent, und so ist und war es üblich, Menschen durch ein Witzzitat als Person darzustellen, auch dann wenn die äußeren Umstände wirklich nicht danach waren. Als in einem KZ einer der Gefangenen ein Orchester aufbauen wollte, hieß er selbstverständlich sofort Moishe Kalisch. Und das kam so.

Samuel Seligmann, er wohnt im polnischen Stedl, besucht seine zu Geld gekommene Verwandtschaft, die sich in Breslau assimiliert hat, das heißt, man hat jüdische Gepflogenheiten durch solche der christlichen Umgebung ersetzt. So veranstaltet man im Haus der Verwandten eine Soiree, ein Quartett spielt Mozart. Samuel steht verloren in einer Ecke, da erbarmt sich seiner eine der eingeladenen Damen und fragt ihn: „Sind sie musikalisch?“ „Nein, ich bin nicht der Moishe Kalisch, ich bin der Samuel Seligmann.“

Und noch eine wunderbare Geschichte: Max Liebermann hat die Familie des Bankiers Soundso portraitiert. Als das Bild fertig ist, ergeht Einladung und „tout Berlin“ erscheint in der Villa des Herrn Generaldirektors. Man steht vor dem Gemälde, auf dem der Hausherr samt Frau, Kindern und dem Schoßhund der Hausfrau dargestellt sind. Vor Ehrfurcht erschauernd steht die Menge der Gäste schweigend vor dem Meisterwerk. Da tropfen in die Stille die kargen Worte: „Der Tate ist gesind, der Hund ist gesind…“ Schallendes Gelächter, das Bild wurde nie wieder öffentlich gezeigt.

Dahinter verbirgt sich der folgende Witz:

Abe Mendelsohn fährt nach Frankfurt, er muss zum Arzt. Der sagt ihm, er benötige eine Urinprobe. Er möge in die Apotheke gehen, dort werde man das Weitere veranlassen. In der Apotheke gibt man dem Mann ein Fläschchen, in das er bitteschön hineinpinkeln möge. Im Übrigen koste das zwanzig Mark. Abe findet das teuer und bittet sich Bedenkzeit aus. Einige Tage später kommt er zurück und übergibt dem Apotheker zusammen mit einem Zwanzigmarkschein das bis oben gefüllte Fläschchen. Er werde auf das Ergebnis warten. Am Abend kommt er wieder und erfährt vom Apotheker zu seiner Freude, alles sei in Ordnung. Abe stürzt darauf zum Telegrafenamt und kabelt nach Hause: „Die Mame ist gesind, der Tate ist gesind, der Joschele ist gesind, der Hund ist gesind.“
Manchmal habe ich den Eindruck, dass viele Mitmenschen in Deutschland gar nicht wissen, welchen reichen Schatz an Kultur, an Esprit und an Weisheit wir durch den Holocaust zerstört haben.

 

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